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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.
März-Heft.
schriebene Bildnis eines Edelmannes. (Hanfstängl,
S. 75) in der National-Gallery zu London, wo an
derselben Stelle zu Bussen der stehenden Ritterfigur
ein Buch liegt, das, aufgeschlagen, eben herunter-
gefallen zu sein scheint. —
Bei dem Vergleiche von Rembrandts „Opfe-
rung Isaaks" in München und Petersburg ist sehr
zu bedauern, dass das von Stock gestochene Rubens-
bild mit derselben Rembrandts Auffassung in
manchem verwandten und wohl früher- entstandenen
Darstellung nicht wenigstens erwähnt wurde (das
Original ist wohl das Bild in Cannstadt), obgleich
es für die Datierung, wie auch für die Kompo-
sition der Bilder eine Reihe interessanter Fragen
auslöst.
Zu den Glanzpunkten des Buches gehört der
Vergleich der Madonna des Kanonikus Pala des
Jan van Eyk in Brügge mit der späteren Kopie
des Bildes in Antwerpen, sowie des Christus von
Mantegna in der Brera mit der Figur in Rem-
brandts Anatomie im Rijksmuseum in Amsterdam.
Der Vergleich von Rubens’ und Bouchers
Raub der Oreithyia ist eine kitzliche Sache. Vom
Standpunkt des Raumproblems lassen sich eine
Reihe Gemälde von Rubens namhaft machen, die
der Rolle und Auffassung der Oreithyia Bouchers
durchaus entsprechen. (Vergl. die Himmelfahrt in
der hl. Kreuzkirche in Augsburg und den Raub
des Ganymed im Prado.) *)
Im ganzen bleibt das Buch jedenfalls von
symptomatischer Bedeutung für die Richtung in
unserer neueren Kunstwissenschaft. Man spricht
soviel von dem Einfluss der Naturwissenschaft.
Aber unsere Kunstgeschichten kommen, eingekeilt
in den historischen Rahmen, über das rein Didak-
tische und das Referat des Eindruckes des Kunst-
werkes nicht recht hinaus. Damit hängt es auch
woh] zusammen, dass der Schwerpunkt der Kunst-
geschichte sowohl bei den Studierenden, als den
lehrenden Zunftgenossen noch zu ausschliess-
lich im Wissen, als vielmehr im Sehen gesucht
wird. Wölfflin hat uns gelehrt, dass eine glück-
liche Auswahl von Bildwerken, in entwicklungs-
geschichtlicher Reihe angeordnet, von tieferer Wir-
kung sein kann, als langatmige „Analysen“. Volls
Buch stellt leider infolge der bedauerlichen Be-
schränkung im Stoff und der Vernachlässigung
einer grosszügigen organischen Anordnung der Bil-
der im Dienste einer klaren entwicklungsgeschicht-
lichen Idee nur einen Ansatz zu dem dar, was
unserer Kunstgeschichtsschreibung not tut. Wer
*) Ein Druckfehlerverzeichnis wäre wohl an-
bracht gewesen. Lustig ist die Unterschrift unter
dem Münchener Bilde von Rubens, die Gefangen-
nahme Simsons darstellend: „Wien, Gemäldegalerie.“
schenkt uns endlich eine Kunstgeschichte, die, nach
solchen Prinzipien angeordnet, doch nicht des
Lichtes vergisst, „das den Diamanten blitzen macht“,
die Kultur und Völkerpsychologie dabei doch als
gleichwertige Faktoren gelten lässt, die sich wie
die Schale um den Kern gruppieren? Voll scheint
mir in Reaktion gegen die moralisierenden Ten-
denzen oder rhetorisches Phrasentum die reale
Bedeutung dieser Faktoren für das Verständ-
nis des Kunstwerkes zu unterschätzen. Die Er-
kenntnis, dass Form nur Mittel zum Zweck, dass
Kunst nur ein Teil eines grösseren Ganzen ist,
bleibt doch ein heiliges Feuer, das der akademische
Lehrer in sich und andern wach zu halten die
Aufgabe haben muss. Da aber kann man Voll
nur rückhaltlos zustimmen, wenn er sich dagegen
verwahrt, dass das Kunstwerk nicht bloss zur
Illustration des vorgetragenen Stoffes herabge-
würdigt werden soll. Das pädagogische Talent des
Verfassers, seine Sachlichkeit und Gründlichkeit
werden dem Buche auch in dieser Fassung viele
Freunde erwerben.
Fritz Burger
Victor Schultze. Geschichts- und Kunst-
denkmäler der Universität Greifswald. Zur
450jährigen Jubelfeier im Auftrage von
Rektor und Senat herausgegeben. Greifs-
wald 1906, Verlag von Julius Abel. (67 S.,
XXI Tafeln.)
Die alte Musenstadt am Bodden hat im letzten
Sommer die Jubelfeier des 450jährigen Bestehens
ihrer Hochschule begangen. Aus diesem Anlasse
hat der Verfasser im Auftrage der akademischen
Behörden das vorliegende Werk erscheinen lassen.
Nach einem Umriss der Universitätsgeschichte
in der Einleitung gibt dieser das Resultat seiner
Forschungen über die bedeutendsten, der Univer-
sität aus alter Zeit überkommenen „Denkmäler"
der Kunst und der Geschichte. So behandelt er
eingehend, mit liebevollem Verständnis alle Einzel-
heiten in den Kreis seiner Betrachtungen ziehend,
die Bildnisse Rubenows, des Stifters der Univer-
sität, deren Chronik, die Entstehung des Univer-
sitätsgebäudes und dessen Vorgänger, die alten
Insignien der Rektorwürde (Kette, Mantel, Ring),
das Universitätssiegel sowie den Lutherbechei-
und den Kroy-Teppich. Die Abschnitte, die sich
mit den letztgenannten Kunstwerken beschäftigen,
erregen besonderes Interesse.
Der Lutherbecher, ein Pokal aus übergoldetem
Silber in der üblichen Pokalform des XVI. Jahr-
hunderts, ist ein Geschenk der Universität Witten-
berg zur Vermählung Luthers mit Katharina von
Bora. Schultze weist die früher angezweifelte
Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.
März-Heft.
schriebene Bildnis eines Edelmannes. (Hanfstängl,
S. 75) in der National-Gallery zu London, wo an
derselben Stelle zu Bussen der stehenden Ritterfigur
ein Buch liegt, das, aufgeschlagen, eben herunter-
gefallen zu sein scheint. —
Bei dem Vergleiche von Rembrandts „Opfe-
rung Isaaks" in München und Petersburg ist sehr
zu bedauern, dass das von Stock gestochene Rubens-
bild mit derselben Rembrandts Auffassung in
manchem verwandten und wohl früher- entstandenen
Darstellung nicht wenigstens erwähnt wurde (das
Original ist wohl das Bild in Cannstadt), obgleich
es für die Datierung, wie auch für die Kompo-
sition der Bilder eine Reihe interessanter Fragen
auslöst.
Zu den Glanzpunkten des Buches gehört der
Vergleich der Madonna des Kanonikus Pala des
Jan van Eyk in Brügge mit der späteren Kopie
des Bildes in Antwerpen, sowie des Christus von
Mantegna in der Brera mit der Figur in Rem-
brandts Anatomie im Rijksmuseum in Amsterdam.
Der Vergleich von Rubens’ und Bouchers
Raub der Oreithyia ist eine kitzliche Sache. Vom
Standpunkt des Raumproblems lassen sich eine
Reihe Gemälde von Rubens namhaft machen, die
der Rolle und Auffassung der Oreithyia Bouchers
durchaus entsprechen. (Vergl. die Himmelfahrt in
der hl. Kreuzkirche in Augsburg und den Raub
des Ganymed im Prado.) *)
Im ganzen bleibt das Buch jedenfalls von
symptomatischer Bedeutung für die Richtung in
unserer neueren Kunstwissenschaft. Man spricht
soviel von dem Einfluss der Naturwissenschaft.
Aber unsere Kunstgeschichten kommen, eingekeilt
in den historischen Rahmen, über das rein Didak-
tische und das Referat des Eindruckes des Kunst-
werkes nicht recht hinaus. Damit hängt es auch
woh] zusammen, dass der Schwerpunkt der Kunst-
geschichte sowohl bei den Studierenden, als den
lehrenden Zunftgenossen noch zu ausschliess-
lich im Wissen, als vielmehr im Sehen gesucht
wird. Wölfflin hat uns gelehrt, dass eine glück-
liche Auswahl von Bildwerken, in entwicklungs-
geschichtlicher Reihe angeordnet, von tieferer Wir-
kung sein kann, als langatmige „Analysen“. Volls
Buch stellt leider infolge der bedauerlichen Be-
schränkung im Stoff und der Vernachlässigung
einer grosszügigen organischen Anordnung der Bil-
der im Dienste einer klaren entwicklungsgeschicht-
lichen Idee nur einen Ansatz zu dem dar, was
unserer Kunstgeschichtsschreibung not tut. Wer
*) Ein Druckfehlerverzeichnis wäre wohl an-
bracht gewesen. Lustig ist die Unterschrift unter
dem Münchener Bilde von Rubens, die Gefangen-
nahme Simsons darstellend: „Wien, Gemäldegalerie.“
schenkt uns endlich eine Kunstgeschichte, die, nach
solchen Prinzipien angeordnet, doch nicht des
Lichtes vergisst, „das den Diamanten blitzen macht“,
die Kultur und Völkerpsychologie dabei doch als
gleichwertige Faktoren gelten lässt, die sich wie
die Schale um den Kern gruppieren? Voll scheint
mir in Reaktion gegen die moralisierenden Ten-
denzen oder rhetorisches Phrasentum die reale
Bedeutung dieser Faktoren für das Verständ-
nis des Kunstwerkes zu unterschätzen. Die Er-
kenntnis, dass Form nur Mittel zum Zweck, dass
Kunst nur ein Teil eines grösseren Ganzen ist,
bleibt doch ein heiliges Feuer, das der akademische
Lehrer in sich und andern wach zu halten die
Aufgabe haben muss. Da aber kann man Voll
nur rückhaltlos zustimmen, wenn er sich dagegen
verwahrt, dass das Kunstwerk nicht bloss zur
Illustration des vorgetragenen Stoffes herabge-
würdigt werden soll. Das pädagogische Talent des
Verfassers, seine Sachlichkeit und Gründlichkeit
werden dem Buche auch in dieser Fassung viele
Freunde erwerben.
Fritz Burger
Victor Schultze. Geschichts- und Kunst-
denkmäler der Universität Greifswald. Zur
450jährigen Jubelfeier im Auftrage von
Rektor und Senat herausgegeben. Greifs-
wald 1906, Verlag von Julius Abel. (67 S.,
XXI Tafeln.)
Die alte Musenstadt am Bodden hat im letzten
Sommer die Jubelfeier des 450jährigen Bestehens
ihrer Hochschule begangen. Aus diesem Anlasse
hat der Verfasser im Auftrage der akademischen
Behörden das vorliegende Werk erscheinen lassen.
Nach einem Umriss der Universitätsgeschichte
in der Einleitung gibt dieser das Resultat seiner
Forschungen über die bedeutendsten, der Univer-
sität aus alter Zeit überkommenen „Denkmäler"
der Kunst und der Geschichte. So behandelt er
eingehend, mit liebevollem Verständnis alle Einzel-
heiten in den Kreis seiner Betrachtungen ziehend,
die Bildnisse Rubenows, des Stifters der Univer-
sität, deren Chronik, die Entstehung des Univer-
sitätsgebäudes und dessen Vorgänger, die alten
Insignien der Rektorwürde (Kette, Mantel, Ring),
das Universitätssiegel sowie den Lutherbechei-
und den Kroy-Teppich. Die Abschnitte, die sich
mit den letztgenannten Kunstwerken beschäftigen,
erregen besonderes Interesse.
Der Lutherbecher, ein Pokal aus übergoldetem
Silber in der üblichen Pokalform des XVI. Jahr-
hunderts, ist ein Geschenk der Universität Witten-
berg zur Vermählung Luthers mit Katharina von
Bora. Schultze weist die früher angezweifelte