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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 3
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Hamann, Richard: Die Malerei der Restaurationszeit
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Hesse, Hermann: Zwischen Winter und Frühling: ein Brief von Hermann Hesse
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0117

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Zwischen Winter und Frühling.

können, so vermag doch er anr ehesten noch anf uns
inrponierend zu wirken, weil er nrehr als seine Genossen
über die zeitliche Bedingtheit hinaus eines sich bewahrt
hatte, was ihn mit der großen Aeit deutschen Geistes-
lebens zu Goethes und Schillers Zeit verband, die
Humanität. R. Hamann.

wischen Winter und Frühling.

Ein Brief von Hermann Hesse.

Küblis im Prättigau, Anfang März 1912.

Lieber Freund!

Bei Euch drunten tropft jetzt vernrutlich das letzte
Schneewasser von der Nordseite der Dächer, Du gehst
mit der langen Pfeife im Garten einher und überlegst
Dir den Gemüseplan für den kommenden Sommer, die
Amseln lärmen im Gebüsch und die Hasen im Stall
werden ungebärdig. Und da fragst Du mich, was ich
von diesem Frühling halte, der so früh beginnen will,
ob ich keinen Wildschaden am Obst habe und welcherlei
Blumenkohl ich dies Jahr ziehen werde.

Auf das alles kann ich Dir heute keine Antwort
geben. Die Samenhändlerkataloge liegen noch unaus-
gepackt bei mir daheim, und wie groß die Fliederknospen
schon sind, weiß ich nicht, denn ich bin nicht am See,
sondern in Graubünden und interessiere mich nicht für
Blumenkohl und Raupenleinr, sondern für Frost und
Schneefall, denn ich bin Skiläufer geworden und habe
im Augenblick für nichts zu sorgen als dafür, daß ich
womöglich jeden Abend ohne Schaden an Leib und Ski-
brettern wieder ins Dorf zurückkomme.

Das wundert Dich, gelt? Jch ware auch von mir
aus vielleicht nicht darauf gekommen. Aber meine Frau,
die immer gern in die Berge geht, hat mir zu Weih-
nachten ein Paar Ski geschenkt und mich dadurch zur
Reise genötigt. Es war natürlich ein Danaergeschenk;
denn meine naive Meinung, zunr Skilaufen gehöre
nichts als ein Paar solcher Hölzer,hat mich elend betrogen.
Man braucht nicht nur die Bretter und das Billett nach
Graubünden, sondern man braucht Skistiefel, Skihosen,
Skimützen, Skibrillen, Ziegenhaarsocken und alles mög-
liche, was zusammen eine Menge Geld kostet, und da
meine Frau das alles auch brauchte, hat sie mit ihrem
Geschenk nicht übel abgeschnitten. Jch war denn auch
anfangs etwas mißvergnügt, und als wir daheinr ein
paarnral im weichen Schnee einen Hügel hinabfuhren
und uns die Knöchel wund machten, schien mir dieser
Sport wenig sympathisch. Aber jetzt habe ich doch
Freude daran, wenn auch der eigentliche Sport dabei
mir noch so fremd ist wie am ersten Tag. Jch kann noch
gar nichts und habe noch nicht einmal gute Läufer ge-
sehen, ich kann keine Bogen fahren und weiß nicht, wie
die norwegischen Schwünge aussehen. Für den eigent-
lichen Sport haben wir wenig Talent, dazu muß man
jünger und freier sein und mehr Zeit haben. Darum
sind wir auch nicht nach Sankt Moritz oder Davos ge-
gangen, sondern machen unsere Versuche ohne Gesell-
schaft und ganz unsportmäßig in der Gegend von Küblis,
Pany und Sankt Antünien.

Jch will nicht verachtlich vom Sport reden, der mir
imponiert und sehr schön ist. Aber da es mir das ganze
Jahr hindurch an Arbeit, auch an körperlicher, nicht fehlt,
hätte der Sport allein mich wenig gelockt. Dagegen habe
ich den Bergwinter immer geliebt und bin schon vor
zwölf Jahren, als es in der Schweiz meines Wissens
noch keinen Skilauf gab, zuweilen mitten inr Winter
ein wenig in die Berge gegangen. Da war freilich wenig
zu machen als ein bißchen Spaziergehen und Rodeln,
und es tat mir oft leid, die schönen weißen Berge
in ihrem meterhohen Schnee unzugänglich stehen zu
sehen; denn darin haben die Wintersportler recht: das
Hochgebirg ist im Winter beinahe schöner als inr Sonrmer,
und das Wetter ist viel beständiger.

Wir haben denn auch, als wir hierher kamen, nur
zwei Tage an schrägen Halden geübt und uns an die
Brettchen zu gewöhnen versucht, und sobald wir einen
ordentlichen Hügel hinunter fahren konnten, ohne zu
fallen, und sobald wir heraus hatten, wie nran etwa
in Notfällen bremsen kann, ließen wir den Sport liegen
und gingen unserm eigentlichen Ziele nach. Auf unsrer
ersten Tour kamen wir schon auf zweitausend Meter
und waren sieben Stunden unterwegs, und seither freut
uns die Sache, und wir suchen die Gcgend nach erreich-
baren schönen Höhen ab.

Dazu haben wir natürlich einen Führer mit und
üben alle Vorsicht, und viele schöne Touren können wir
mit unserer Anfängerkunst eben noch nicht machen,
aber wir haben doch schon eine Anzahl von schönen
Wegen genracht und Höhen erreicht, wohin man inr
Winter ohne Schneeschuhe nicht kommen kann. Und das
lohnt sich. Auf einer hohen Alp neben den bis ans Dach
eingeschneiten Hütten zu stehen, wo acht Monate des
Jahres kein Mensch hinkommt und wo viele Stunden
weit nur Schneewildnis und weiße Einsanrkeit ist, das
ist unglaublich schön. Und dann ist es auch für Nicht-
sportleute eine merkwürdige Lust, weite Wege bergab bei
gutem Schnee in erstaunlich kurzen Zeiten hinunter
zu pfeifen, über verwehte Bäche und gefrorene Sümpfe
wegzugleiten wie über glatte Straßen und zwischen
den Stämmen eines stillen, verschneiten Fichtenwaldes
hin sich einen Weg zu suchen. Das Beste ist natürlich,
wie bei allen Touren, das Erreichen eines schönen Zieles
und die Rast. Wir haben in ganz eskimohaften Lagen
unsre Suppe und unsern Tee gekocht, wobei ich es aller-
dings ohne die wunderbaren Aiegenhaarsocken nicht
ausgehalten hätte.

Jm Anfang ist es nicht ohne Mühen. Berganwärts
über eisige Steinpfade außer dem Rucksack auch noch die
zwei recht schweren Bretter auf dem Rücken mitzutragen
und sie dann stundenlang an den Füßen zu haben,
macht Beschwerde, bis man daran gewöhnt ist. Und
wenn der Schnee zu weich oder zu eisig ist, macht das
Ersteigen von steilen Hängen viel Arbeit. Jnr nreter-
tiefen Schnee hat man nach einem ungeschickten Fall
oft fast eine Viertelstunde zu schaffen, bis man wieder
sichtbar ist und aufrecht steht. Unser Führer ist ein guter
Berggänger, aber kein Skikünstler, und läßt uns gewiß
manchen ganz unsportmäßigen Griff passieren, aber er
läßt uns auch lernen und alles selber auskosten und hat
uns nur selten beim Wiederaufstehen geholfen, so daß

///

Ivl

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