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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 8
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Benn, Joachim: Arthur Schnitzlers episches Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0300

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Arthur Schmhlers episches Werk.

pressionistischen Darstellungsweise, derer sich der Dichter
bedient. Die ist nicht viel niehr als eine raffinierte
Stimmungsmalerei mit all den Schwächen, die der
Flüchtigkeit des Stimmungshaften den bleibenden Ele-
menten unserer Seele gegenüber auch im Leben an-
haftet. Während die stilisierende Dichtung namlich zu
Anfang den Charakter ihres Helden stets durch An-
gabe von Geschlecht und Alter, Herkunft und Schicksal
in Kürze mit solcher Deutlichkeit bestimmt, daß bei
jeder künftigen Wendung der Handlung die Gefühle
dieses Helden ihr gegenüber und seine Maßnahmen sich
ohne weiteres von selbst ergeben, so daß die Handlung
fortlaufen und ein einprägsames Profil bekommen kann,
unterläßt die impressionistische Dichtung die einführende
Charakterisierung und bedient sich dafür der detaillierend-
sten, der difserenziertesten Ausmalung einzelner Stim-
mungsmomente. Jn der ersten Novellette, die auf
hundert Seiten die wechselnden Stimmungen eines
Schwindsüchtigen bis zum Tode ausmalt, wird diese
lyrisch-nervöse Stimmungsmalerei sogar so breit, daß
sie die peinlich - scharfe, poesielos - skeptische Pointe, in
die sie wie alle diese Geschichten ausläuft, etwas ab-
schwächt und einige Poesie rettet: Echte Poesie, die sich
auch in der Gesamtform aussprechen muß, wird die
Novellette dadurch doch nicht, denn die Enttäuschung
des Helden, der erleben muß, daß die Frau in seiner
Todesstunde nicht mit ihm sterben will, wie sie ver-
sprochen hatte, diese Enttäuschung ist zu oberflächlich
gesehen, zu wünschenswert für den Leser, der diesem
blassen Helden kein warmes und bewunderndes Gefühl
entgegenbringt, als daß sie tragisch wirken könnte; sie
weckt nur Abneigung gegen die Unehrlichkeit dieses
Milieus. Jn den übrigen Novelletten, wo die Pointe bei
konzentrierterer Durchführung der Handlung ungedämpft
bleibt, wird sie jedesmal zum gellenden Schlußschrei;
aber es ist die Dramolettbühne des Kabaretts, von dem
er kommt, und er soll aufpeitichen, nicht die Seele be-
wegen, wie der Schrei von der Bühne. Jn den sentimen-
talen Tagebuchblättern, die „Blumen" überschrieben sind,
gesteht sich ein Mann, durch die Treulosigkeit der Ge-
liebten zuerst in seiner Eitelkeit gekränkt worden zu sein:
Das ist symbolisch, denn das Gefühl, aus dem heraus
diese Geschichten entstanden sind, ist flach, ist eitel,
und kennt nicht den Schmerz, sondern nur die Gebärde
des Schmerzes.

Das ist der Formtypus, von dem aus sich Schnitzler
auf den Weg nach echter und reiner Poesie machte und
im Jahre 1900 zuerst einmal bei der vollkommenen
Formlosigkeit anlangte. Das Büchlein vom „Leutnant
Gustl" ist eine 40 Seiten umfassende Wiedergabe der
abrupten Gedankengänge eines Leutnants, der am
Schluß eines Konzertes mit irgend einem Bürger in
Streit kommt und beschließt, sich den Gesetzen des Standes
getreu zu erschießen, da er von diesem Gegner keine Ge-
nugtuung bekommen kann; bis er sich munter wieder
dem Leben zuwendet, als sein Gegner und damit der
einzige Mitwisser seiner Erniedrigung noch in der Nacht
am Schlagfluß stirbt. Diese ganze Darstellung enthält
kein einziges erzählendes Wort, sondern ausschließlich
durch Striche und Punktreihen getrennte Gedanken-
reihen und ist also ein psychologisches Stenogramm; als
solches hat es denn ausschließlich psychologisch-wissen-

schaftliche Werte, denn es ist vollkommen stimmungs-
los, und es ist verständlich, daß Schnitzler von diesem
Pole zu dem entgegengesetzten der sentimentalen No-
velle kam:

Jhrer Grundform nach unterscheidet sich dieser neue
Typus bei ihm noch nicht allzusehr von der alten Novel-
lette, denn auch diese Geschichten enden noch in eine scharfe
Pointe und rücken die Handlung durch die Verwendung
des Gespräches, der Rückerinnerung zu sehr auf die Haupt-
punkte zusammen, anstatt zu erzählen. Aber was sie
über die früheren Arbeiten erhebt, ist die stärkere Au-
neigung, die der Dichter jetzt seinen Geschöpfen schenkt.
Dieses Gefühl ist noch keineswegs männlich-fest und
ernsthaft, sondern sentimental-verblasen und also in
einem tiefen Sinn unwahr, allein es hindert den Dichter
doch an der literatenhaften Ausnutzung menschlicher Kon-
flikte für den literarischen Bluff, der die erste Periode
charakterisiert. Darum konnte er auch noch im selben
Jahre 1900, in dem alle diese Novellen entstanden, zu
seiner ersten dichterisch ernst zu nehmenden Arbeit
kommen, zu der Geschichte von der Witwe „Frau Berta
Garlan", die in herbstlicher Liebessehnsucht aus ihrer
Witweneinsamkeit neue Verbindung mit einem Jugend-
geliebten sucht und dabei so niederdrückende Erfahrungen
macht. Form im prägnanten Sinn des Wortes besitzt
auch dieses Buch noch nicht, denn um als Roman zu
gelten und zu wirken, fehlt es ihm an Breite des Blick-
feldes, und als Novelle ist es wieder nicht konzentriert
genug. Dafür läßt die nun außerordentlich fein aus-
gebildete impressionistische Schilderung hier zum ersten
Male Wesen entstehen, die nicht skeptisch öder sentimental
verflacht, sondern runde Menschen sind; und wcnn der
Dichter dabei zum erstenmal menschliche Mängel wirklich
gesehen, mit unbeirrbarem Auge wahrhaft abgetastet
und tief empfunden hat, so hat er auch zuni erstenmal
alle Güte und Reinheit der Sehnsucht empfunden, die
ebenfalls im Menschen liegt.

Damit ist Schnitzler nach vieljährigem Ringen endlich
an den Quell der Dichtung gekommen; denn selbst für
den Fall, daß er den Ehebruch noch entschiedener als
bisher zum Hauptthema seiner Dichtung machen wollte,
blieb Voraussetzung einer echten poetischen Leistung,
daß er zu einem positiven, einem liebend gläubigen Ver-
hältnis zu seinen Menschen kam: Bewußt oder unbewußt,
vom Standpunkt der Moral her konzipiert, wird die Dar-
stellung des Ehebruches immer in eine psychologisch-
moralistische Auseinandersetzung endigen müssen, die,
gleichgültig, zu welchem Resultat sie komme, so inter-
essant sie denkerisch sein kann, mit Poesie garnichtS zu
tun hat. Wer den Ehebruch dichterisch behandeln will,
kann es nur, indem er ihn als ein schicksalhaftes, in
natürlichen und also nicht zu bewertenden Ursachen be-
gründetes Ereignis sieht; indem er gleichsam einen
Mythos daraus macht, wie man auch eine so notwendige
Erscheinung wie den Wechsel von Sommer und Winter
nur als Mythos behandeln kann. Und das ist ihm in
der merkwürdigen Geschichte von „der Fremden" ge-
lungen, die da so seltsam beginnt: „Als Albert um
sechs Uhr früh erwachte, war das Bett neben ihm leer,
und seine Frau war fort. Auf ihrem Nachttisch lag ein
beschriebener Iettel. Albert langte nach ihm und las
folgende Worte: Mein lieber Freund, ich bin früher

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