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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 8
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Benn, Joachim: Arthur Schnitzlers episches Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0301

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Arthur SchniHIcrs episches Werk.

aufgewacht als du. Adieu. Jch gehe fort. Ob ich zurück-
kommen werde, weiß ich nicht. Leb wohl. Katharina."
Vielleicht ist diese Geschichte von einer dammerhaften
Frau, die nie mit festen Füßen, mit sicherem Lebens-
willen also im Dasein steht; die einem Manne zum
Schicksal wird, der, gleich dammerhaft, aus der Sinn-
losigkeit heraus, die in ihrer Eristenz liegt, vom Tage der
Hochzeit ab seine Güter traumhaft für sie vergeudet, bis
sie ihn nach 14 Tagen ohne alle Vorbereitung verläßt,
um nach kurzem, abenteuerlichem Iusammensein mit
einem anderen, Unbekannten, erst wiederzukehren, als
er sich schon getötet hat: Vielleicht ist diese Geschichte
etwas allzu hastig, in zu langen Abschnitten erzählt,
gleichsam als wenn der Dichter jetzt, wo der Quell der
Dichtung endlich floß, gescheut hätte, die Sätze abzu-
brechen: Dichtung ist es und als Kunst kaum geringer als
die chinesischen Märchen, die Legenden, von denen hicr
kürzlich gesprochen wurde. Das Große ist erreicht, Gegen-
wärtiges als Märchen, als Legende zu sehen, in der sich
die Ieit nicht mehr erbärmlich und jämmerlich, sondern
in der Würde eines tragischen Schicksals spiegelt. —
Kein besserer Beweis, daß es sich hier um eine bewußte
Uberwindung früherer Gemütszustände und früherer
Formanschauungen handelt, als die Tatsache, daß
Schnitzler dasselbe Schicksal etwa gleichzeitig von der
anderen Seite, als Groteske behandeln konnte: Die Ge-
schichte des dämmerhaften „Freiherrn v. Leisenbogh"*,
der zwölfmal erleben muß, daß sein Protege, die Sänge-
rin, einen anderen Liebhaber wählt als ihn, bis sie ihm
eine einzige Nacht gewährt, weil ihr geweissagt wurde,
daß ihr nächster Geliebter schnell sterben werde, setzt eine
Uberlegenheit der Gesinnung und des formellen Könnens
voraus, die schon Meisterschaft genannt werden kann.

Was Schnitzler mit der „Fremden" in der Form einer
Anekdote gelungen war, den Wechsel in den Liebes-
beziebungen zum Mythos zu machen, das hat er voni
Jahre 1905 ab noch einmal in der breiteren Form des Ro-
mans vcrsucht, und man darf zugeben, daß das städtische
Leben als ein unaufhörlicher Wechsel von Liebesver-
bindungen Tausender angcsehen ein Gegenstand für die
epische Dichtung ist wie kaum ein anderer. Schnitzlers
Roman „Der Weg ins Freie" hätte auch alle Aussicht
gehabt, etwas Großes zu werden, wenn der Dichter
nicht versucht hätte, mit dem ins Mythische gesteigerten
umfassenden Liebesroman eine Darstellung von den
Konflikten zu verknüpfen, die sich gerade in Wien aus
dem Nebeneinander der jüdischen und der deutschen
Stammesglieder ergeben. Auch hierin liegt vielleicht
ein Thema für eine große epische Schöpfung, und das
eine Thema hätte sich sicherlich mit dem anderen ver-
knüpfen lassen, wenn es dem Dichter gelungen wäre,
auch das Rassenthema handlungsmäßig zu gestalten. So
ist Schnitzler in der theoretischen Auseinandersetzung
stecken geblieben, sür die die vorkommenden Konslikte
nur den Wert gelegentlicher Jllustrationen besitzen: Nicht
weniger als ein Sechstel des ganzen Buches mögen
Reden über das jüdische Problem einnehmen, die nicht
mehr die symbolische Bedeutung haben, den Charakter
der handelnden Personen zu verdeutlichen, sondern als
geschlossene Abhandlungen aus dem Ganzen heraus-

* Beide Geschichten stehen in dem Bande: „Dämmcrseelen",
der als Schnihlers schönstes Buch warm cmpfohlcn sci.

treten. Ja, man darf behaupten, daß die Deutlichkeit
der Personen im selben Maße abnimmt, wie ihre Nei-
gung zur Rede wächst, so daß die wichtige Person des
jüdischen Dichters Bermann, in dem die Neigung zu
abstrakter, wirklichkeitsvergessender Grübelei patholo-
gische Entartung wird, unklarer bleibt als jede andere
Figur. Dafür ist die Dichtung geradezu außerordentlich
zu nennen in den Partien, wo das Liebesthema ent-
schieden in den Mittelpunkt gestellt wird. Wie — nicht
anders, als wenn natürliche Erscheinungen in der Ent-
wicklung von Pflanzen seelenvoll geschildert würden —
Keimung und Wachstum, Blüte und Abblut einer
ganzen Reihe von Liebesbeziehungen nebeneinander
dargestellt werden; wie in engem Bezug auf den Ab-
lauf des Jahres die Liebe mit dem Winter in die warmen
Schlupfwinkel der Stadt hinein und mit dem Sommer
in das Weben der Allnatur hinaus gedichtet wird; wie
dabei der Iufall — dem aufs Absolute erpichten Menschen
die niederdrückendste Gewalt der Welt — sich auch als
ein Wille der Natur offenbart, die nicht so ängstlich zu
sein braucht, ausschließlich letzte Notwendigkeiten zu
schaffen: Das ist — auch wenn die Schwäche des Haupt-
helden nicht aller Peinlichkeit entledigt ist — eine sehr
bemerkenswerte Leistung. Einzig der schon durch die
Unzahl von Reden überlastete Ansang ist konstruktiv
mangelhcift, da dort die Hauptgestalten denn doch allzu
primitiv in langem Nebeneinander eingeführt werden;
späterhin bezieht die mit epischem Atem geführte Hand-
lung Personenkompler auf Personenkompler mit be-
merkenswerter Geschicklichkeit in den Gesamtverlauf ein.

Es ist fast unerklärlich, daß Schnitzler schon als Fünf-
ziger unter das in der „Fremden", dem „Leisenbogh",
dem Roman erkämpfte Niveau wieder so entschieden
hinuntergehen konnte, wie er es in seinem neuesten
Novellenbande tut, der in dieser Ausgabe den zweiten
Teil des zweiten Novellenbandes einnimmt. Mit dem
„neuen Lied" erneuert er hier einfach den Typus der
sentimentalen Novelle in impressionistisch-zerrissenster
Darstellung; im „toten Gabriel", im „Tod des Jung-
gesellen", dem „Tagebuch der Redegonda" schreitet er
sogar zu den verschiedenen Formen des Pointenreißers,
zum literarischen Bluff, zum Dramolett des Kabaretts
zurück. Besonders peinlich ist dabei im „Tagebuch der
Redegonda" die Verwendung von Motiven aus dem
Gebiet des Hellsehens und der Gedankenübertragung in
oberflächlich-unverarbeiteter Weise: Gewiß endigt alle
tiefe Dichtung gleichsam mit einem Fragezeichen hinter
dem letzten Satz, und man kann als eine Aufgabe der
Dichtung bezeichnen, dem Menschen die Welt wieder
zum Rätsel zu machen; aber dieses Fragezeichen ist ein
anderes als das, was die Wissenschaft heute noch kalt
und sachlich gestimmt hinter die „Frage" des Hellsehens
macht. Nichts ist unkünstlerischer als ein Rätsel der Wissen-
schaft zum Hauptmotiv einer Dichtung zu machen, ohne
es selbst seelisch zu lösen zu versuchen, wie auch Goethes
Gespenstergeschichten, die hier einst besprochen wurden,
genugsam beweisen: Daß eine liebende Frau mit solcher
Jntensität an dem geliebten Manne hängt, den sie nur
vom Ansehen her kennt, daß sie alle Erlebnisse, die er
nur mit ihr träumt, als wirklich in ihr Tagebuch schreibt,
kann ein wundervolles dichterisches Motiv sein. Die Be-
dingung wäre, daß der Dichter an diese Seelenkraft

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