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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 9
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Benn, Joachim: Gräfin Bustrupp, [1]: Novelle
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Bab, Julius: Die Kinematographen-Frage
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0339

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Die Kinematographen-Frage.

aber mit ausdrucksvollem Liebesblicke zum Parterre
hinabnickte. Mit banger Ahnung wandte sich dic Gräfin
schnell wieder den Herren zu und bemerkte eben noch,
wie der Graf seinen Kopf mit entschiedenem Rucke zur
Seite drehte und anscheinend erzürnten Gesichtes rasch
auf einen in der Nähe freistehenden Stuhl zuging,
während die Augen der anderen Offiziere nun alle zu-
gleich auf sie gerichtet waren, im Augenblick seltsam
ernst, ja ängstlich geworden.

Da schwankte ihre Stimme einen Augenblick lang,
dcnn sie glaubte gefühlt zu haben, daß diese Frau einem
Manne zunickte, dem sie noch vor kurzeni gehört hatte,
und konnte nach solchen Beobachtungen, die hinzuge-
rechnet, die sie in den letztcn Wochen gemacht hatte, kaum
noch daran zweifeln, daß das ihr Gatte sei; aber dcr ver-
sammelten Stadt gegenüber fand sie die Kraft, mit
unveränderter Ruhe weiter zu sprechen. Sie vermochte
auch lächelnd den nach ihrer Abschiedsverbeugung mehr-
fach ausbrechenden lauten Beifall entgegenzunehmen
und sich später im Saale ihren Bekannten zuzugesellen,
um mit ihnen den Vorführungen zu folgen, bleich noch,
doch mit der überzeugenden Entschuldigung, Puder
und Kohlenstriche hätten sich nicht ganz cntfcrnen lassen.
Erst vom Mahle, das die Angehörigen des Regimentes
und einige Gäste vereinigen sollte, und dem darauf
folgenden Tanze schloß sie sich mit anderen auü und wies
für den Heimweg auch entschieden die Begleitung deö
Grasen ab, der mit ängstlich forschendem Blicke nach den
Gründen ihres Unwohlseins fragte. — Jn ihrer Wohnung,
endlich auch vom Mädchen allein gelassen, das auf
sie gewartet hatte, verließ sie bald ihr erleuchtetes Schlaf-
zimmer und trat in daö danebenliegende ihres Gattcn,
das dunkel war; von da schritt sie weiter zu ihrem eigenen
Wohnzimmer und dem des Grafen, die ganze Reihe
der Räume hindurch, in denen sie die vergangenen
Monate miteinander verlebt hatten, wobei sie hier über
ein Möbel strich und dort zu einem Bilde aufsah. Jm
letzten, dem Empfangszimmer, ließ sie sich plötzlich mit
zitternden Knieen niederfallen und legte sich, bleich bis
in die Lippen, mit ausgebreiteten Armen auf den
Teppich: Bei aller Klugheit ihrer Augen und allem
Ernste ihrer Gesinnung hatte diese junge Frau in ihrer
behüteten Jugend die Grausamkeit des Lebens noch nie
zu fühlen bekommen; so tat es ihr wohl, in dieser Stunde,
wo sie unklare Ahnungen von ihr zum ersten Male an
sich furchtbare Wahrheit werden sah, die ungewohnte
Härte des Bodens unter sich zu haben und aus solcher
Tiefe in den Raum wie m einen fremden zu starren.

(Fortsehung folgt.)

ie Kinematographen-Frage.

Es heißt nicht den wirklichen Dingen ins
Gesicht sehen, wenn man noch länger bestreitet, daß die
Kinematographentheater heute in Deutschland und wohl
überall ein Kulturproblem von drangendem Ernst dar-
stellen. Diese Bedeutung ihrer Eristenz wird gewiß
nicht bewiesen durch den Larm, den die geschädigte
Konkurrenz-Gewerkschaft der Theaterunternehmer er-
hoben hat, aber sie ist mit dem Hinweis auf das Eigen-

nützige dieser Proteste auch keineswegs entkräftet. Man
kann (wenn auch, keineswegs ohne Übertreibung) sagen,
daß ein gut Teil unserer Theater gar kein höheres Niveau
erreicht als die Darbietungen der Kinematographen-
buden; man kann sich dem (keineswegs ungefährlichen)
Glauben überlassen, daß die Konkurrenz der „Kientöppe"
nur die Auswahl der tauglichsten unter den Theatern
beschleunigen werde — mit alledem trifft man noch gar
nicht das eigentliche Problem. Denn das Außerordent-
liche in der Entwicklung dieses neuen Vergnügungs-
apparates ist es gerade, daß er lokal und sozial Schichten
der Bevölkerung erreicht, die das Theater bisher nie
fassen konnte. Nicht die sozusagen eleganten Lichtspiel-
bühnen in den wcstlichen Quartieren der Großstädte oder
am Marktplatz mittlerer Provinzstädte sind es, die im
Vordergrunde deö Problems zu stehen haben. Die
elenden Buden mit den stechend grellen Bogenlampen
und den brüllend bunten Plakaten vor der Tür, die in den
dunkelsten Ecken der Arbeitervorstadt aufleuchten, und
die plötzlich der staunenden Menschheit von Schneide-
mühl, Samter, Oebisfelde, Quakenbrück und Osterode
ein „Theater" schenken — die sind es, die als Faktoren
der geistigen Entwicklung unseres Volkes schwer ins
Gewicht fallen. Und zwar gerade deshalb, weil sie
keinem Theater Konkurrenz machen, weil sie keinerlei
künstlerischen Genuß anderer Art ablösen, weil sie sich
höchstens mit der gelegentlich durchziehenden Seil-
tanzertruppe oder den periodisch wiederkehrenden Jahr-
marktsbuden zum Wettbewerb stellen. Der Apparat
der Kinematographenbühnen ist so einfach und so leicht
transportabel, ihr Betrieb ist so billig, ihre Etablierung
dank der Jndifferenz der Behörden so bequem, daß sie
Volksschichten erreichen können, die für jede Art künst-
lerischer Unternehmung bisher unerreichbar waren.
Und daß die Filmtheater heute für viele hunderttausend
Menschen an Stelle der Kunst gesetzt sind, daß sie den
Feiertag, den Aufschwung, die Erhebung bedeuten, die
sonst ein Buch, ein Spaziergang oder auch nur eine
Kegelpartie und ein Wirtshaus geboten haben, daS ist
das Bedeutsamste bei der Frage nach Wesen und Wert
der Kinematographentheater.

Wiederum heißt es der Wirklichkeit nicht ins Gesicht
sehen, wenn man in die Diskussion über den Wert der
Filmbühnen tiefberechtigte Auseinandersetzungen mengt,
wie nützlich der Kinematograph als pädagogisches Jn-
strument sein könnte. Ganz gewiß kann der Kinemato-
graph in naturwissenschaftlichen Demonstrativnen Außer-
ordentliches leisten: Er kann uns die Funktionen des
Herzens, die Lebensgewohnheiten der Krebse, den
Betrieb eines HochofenS oder eine Landschast am
Amazonenstrom so anschaulich, so eindringlich, so reiz-
voll vorführen, wie dies überhaupt bisher nicht möglich
war — und das ist zweifellos eine positive Leistung.
Daß er ferner noch amüsanter, eindringlicher und voll-
ständiger als Scherls „Woche" die neuesten Tages-
ereignisse im Bilde vorführen kann, ist wenigstens gegen-
über dem doch schcn durchgedrungencn Laster der aktuell
illustrierten Journale kein weiterer Rückschritt, und mag
als eine Art aufdringlicher Aeitungslektüre in den ent-
legensten Winkeln sogar ein bescheidenes zivilisatorisches
Verdienst haben. Aber leider haben die pädagogischen

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