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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (2) — 1920

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Nr. 141 - Nr. 150 (22. Juni - 2. Juli)
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Lagrözsitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Sppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen, Adelsheim, Boxber-
Tauberbifchofsheim und Wertheim.

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn Z.sv Mk. Anzeigenpreise:
Die einspaltige Petitzelle (36 mm breit) so Pfg., Reklame-Anzeigen
(YZ nun breit) 2.2« Mk. Lek Wiederholungen Nachlaß nach Tarts.
Geheimmittel-Anzeigen werden nicht ausgenommen.
Eeschästsstunben: 8—>/,6 Uhr. Sprechstunden der Redaktion: 11-12 Uhr.
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Heidelberg, Donnerstag, 2. Lu« 2920
Nr. 249 * 2. Jahrgang

Verantwort!.: Mr innereu. üu-erepolltik,VolkSw!rtschaftu. Feuilleton: Dr.
S.KrauS: für Kommunale- u. soziale Rundschau: I.Kahn: für Lokale-:
O.Geibelr für die Anzeigen: H. Hoffmann, sämtlich in Heidelberg
Druck und Verlag der llnterbadischen Verlagsanstalt G. mb. H., Heibelberg
Geschäftsstelle: Schrdderstraßr 3».
Fernsprecher: Anzeigen-Annahme 2613, Redaktion 264?.

Bankerott der Sozialdemokratie?
Vo» Dr. Werner Peifer.
Mehr als drei Wochen trennen uns nun schon von den Reichs-
lagswahten des 6. Hum. Heute, da wir den Ereignissen der letzten
Zeit gegenüber eine gewisse Distanz einnehmen können, läßt sich fest-
stellen, bah wohl noch niemals in der Geschichte der Svzialdemv-
kratie auf chren Schuster» ein so ungeheures Matz von Verantwor-
tung gelastet hat wie in der jüngst vergangenen Zeit, ikn die Rich-
tigkeit der Politik der Sozialdemokratie in den ersten achtzehn Mo-
naten der Revolution nachzuweisen, dazu bedarf es kaum eines Hin-
wesses auf das bekannte Wort Wilhelm Liebknechts, der ein-
mal erklärt«, er ändere gegebenenfalls, falls Li« Verhältnisse dies be-
dingten, sein« Ansicht binnen 24 Stunden. Nach dem Ausfall der
Nerchstagswahlen aber ergab sich 'die Notwendigkeit einer Aende-
rung der sozialdemokratischen Politik. Noch können wir nicht wissen,
zu welchen Ergebnissen die Nichtbeteiligung der Sozialdemokratie
an der Regierungsbildung führen wird. Wenn wir aber eine
Grundsatzpolitik — im besten Sinne/des Wortes — treiben wollen,
so dürfen wir auch nicht allzu viel und nicht allzu ängstlich nach die-
sen Ergebnissen fragen, falls wir uns nicht berechtigten Vorwürfen
einer prinzipiellen Erfolgspolitik ausgesetzt sehen
wollen.
Der Beschlich der Sozialdemokratie, sich nicht an einer Regie-
rung zu beteiligen, in der die erzreaktionär« schwerindustrielle
Deutsche Volkspartei vertreten ist, und ihr« Weigerung, an der bis-
herigen Koalition teilzunchmen, da dies aus demokratischer Erwä-
gung heraus nicht mehr möglich war, ist, soweit man das zur
Munde übersehen kann, bis auf verschwindende Einzelstimmen -von
allen Parteigenossen im Reich mit grosser Freude begrüßt wor-
den. Was von Anfang der Kris« betont wurde, hat sich bestätigt:
hie arbeitende Bevölkerung hätte kein Verständnis dafür gehabt,
wenn dis von ihr gewählten Vertreter mit ihren Feinden, den Ver-
tretern des Großkapitals, in einer Regierung gemeinsame Politik
gemacht hätten.
Anders ist der Beschluß von feiten der bürgerlichen Parteien
aufHensminen worden. Je nach Parteiangchörigkeit bezeichnete man
die ablehnende Haltung als „unfreundlichen Ast", als Scheu
vor der Verantwortung, als Rücksichtna-Hm« auf kleine Partei-
interessen und schließlich — seitens der Ganzreaktionäre — als Zu-
sammenbruchs- und Bankerott erklärung der Sozialdemokratie.
Gerade diejenigen, die das sagen, haben die geringste Berechtigung
zu derartigen Behauptungen. Denn niemals sind der Werbever-
suchs um unsere Partei, der Lockungen und Versprechungen so zahl-
los gewesen wie in den jüngsten drei Wochen. Niemals — das
habe ich wiederholt im „Vorwärts" zum Ausdruck gebracht, und
mochte es auch hier nachdrücklichst unterstreichen — ist die Sozial-
demokratie stärker gewesen als in der Zeit, da die sich freiwillig a«s-
geschaltet Hal.
Die „regierungslose, di« schreckliche Zeit" ist nun vorüber. Wir
haben wieder «in« Regierung, und was für eine! Wenn jemand
oder etwas in den verstossenen Tagen «ine geradezu kläglichen Ban-
kerott gemacht hat, so ist «s die Bourgeois e, die das Höchst-
lächerliche Bild hilfloser Verlegenheit in ihren zahllosen Versuchen
bot, 'doch noch eine Regierung zustande zu bringen. Schließlich ge-
lang es ihr denn auch, und die jetzige Regierung bezeichnet sich stolz
als Kabinett der Mitte, als Vertretung der Mittelparteien, ön sei-
nem Trauerspiel „Die Schutzstehsnden" sagte Euripides, der
arotze griechisch« Tragiker, vor mehr als 2000 Jahren:
Drei Bürgerklassen gibt es: was die Reichen anbetrifft,
Sie nützen niemand, trachten nur für sich nach mehr.
Die Armen, die des Lebensunterhalts ermangeln.
Sind ungestüm und richten, schnödem Neide zugewandt.
Aus die Begüterten der Scheelsucht Pfeile,
Getaucht in Zungengift anlockender Verleite«.
Der Mittelstand ist nur der wahre Bürgerstand,
Kür Zucht und Ordnung wachend, die das Volk gebot.
Oh wohl Euripides auch heute noch diese Hochachtung vor dem
MittMande empfinden würde? Wir möchten es starr bezweifeln.
Die Sozialdemokratische Fraktion hat es ab gelehnt, der
neuen Regierung ihr Vertrauen ausznsprechen, und auch dieser
Beschluß, der bekanntlich mit allen gegen fünf Stimmen angenom-
men de, wird bei allen Parteigenossen freudige Aufnahme fin-
den. . hat dagegen beschlossen, dem Mittelblock mit Rücksicht arss
die außenpolitischen Vorgänge, insbesondere auf die Konferenzen
von Spaa, im Augenblick keine Schwierigkeiten zu bereiten. Die
Haltung, die sie ein-nimntt, ist also ein« abwartende. Sie gebraucht
zwar die ihr zur Verfügung stehenden Waffen im AugeMick nicht,
ne denkt aber nicht daran, sie aus der Hand zu legen. Die Angst,
die aus der bürgerlichen Presse hinsichtlich der Stellungnahme der
Sozialdemokratie im Reichstage den kommenden DiiMn gegenüber
zum Ausdruck kommt, ist für alles andere eher ein Beweis als für
den Bankerott der Sozialdemokratie. Einen Bankerotteur schiebt
Ma» besserte, aber man fürchtet ihn nicht. Die Sozialdemokratie
denkt gar nicht daran, ein für allemal darauf Verzicht zu leisten, die
Geschicke des Volkes in eigene Hand zu nehmen. Wenn der gege-
bene AugeMick da sein wird, so wird sie die schwere Aufgabe über-
nehmen und die im November 1918 begonnene Politik zur restlosen
Befreiung der Arbeiterklasse von dem kapitalistischen Joch fortsetzen.
Zur Stunde hält sie diesen Augenblick nicht für gekommen.
Wann er da sein wird, läßt sich nicht Voraussagen, aber er kann
schneller kommen als wir — und vor allem als unsere Gegner —
es vermeinen. Aus die Zukunft haben wir unser Augenmerk zu
Achten und die Vergangenheit nur so viel heranzuziehen, als wir
°us ihr lernen können. Denn nichts wäre irriger als die Behaus-,
2un.g, daß die Sozialdemokratie frei von Fehlern war. So viel
Kiffen wir bestimmt: schon -einmal ist die Stunde für die Sozial-
demokratie gekommen, im November 1918 nämlich, sind sie wird
-wieder kommen. Dann aber werden unsere Gegner aufhören, von
dsr bankerotten Sozialdemokratie zu sprechen, und werd«» mit
Schrecken erkennen müssen, daß sie lebt, ja, daß sie lebendiger ist als
ir zuvor. " . "

Ak ZWk U MmMUMW.
Stellung der Kommuiratverbände zur Zwangs-
wirtschaft.
Karlsruhe, 30. Juni. Gestern fand im Ministerium
des Innern eine Konferenz der Vertreter und Leiter der
bah. Kommunalverbände statt, die zu der beabsichtigten
Umgestaltung der Zwangswirtschaft Stellung nahmen. Der
Minister des Innern Remmels kielt den einleitenden
Vortrag, aus dem zu erwähnen ist, daß wir in der Kohlen-
frage auch im nächsten Winter noch mit Schwierigkeiten zu
rechnen haben, da die Anlagung von Kohlenreserven im
Oberrhsin bis jetzt noch nicht möglich war. Trotzdem der
Getreidepreis sich in den nächsten Monaten auf 1700 bis
1800 Mk. für . die Tonne steigern wird, glaubt das Reich
ohne weitere Brotpreiserhöhung bis zum nächsten Frühjahr
auszukommen. Der Minister führte weiter aus, die Bevöl-
kerung würdige leider nicht, was sie bezüglich der Ernäh-
rung den Kommunalverbänden zu danken hätte. Mit Recht
hätten diese im Frühjahr Lebensmittelreserven angelegt,
denn es hätten auch andere Verhältnisse eintreten können.
Der Minister glaubte, daß nach der Zusammenkunft in
Spaa es in Deutschland besser werden kann.
In der Aussprache wurde von Vertretern der Kom-
munalverbände bedauert, daß bei den verflossenen Wahl-
kämpfen verschiedene Parteien den Wählern die strikte Auf-
hebung der Zwangswirtschaft versprochen hätten. Wenn
man m der Bevölkerung die Beseitigung der Ksmmunal-
verbände verlange, dann sei die Frage aufzuwerfen, was
man an ihre Stelle setzen wolle. Die Organisationen der
Landwirte hätten noch keine ähnlichen Instanzen geschaffen.
Um die zwangsweise Erfassung von Brotgetreide und Mehl
käme man auch künftig nicht herum. Winter betonten Ver-
treter städtischer Kommunalverbände, erst müßten die Lebens-
mittslpreise abgebaut werden, ehe an einen Abbau der
Löhne der Arbeiter und Beamten gedacht werden könne.
Von Regierungsseite wurde noch mitgeteut, daß auch dis
Frühkartoffeln von der Zwangsbewirtschaftung frei sind.
Kritik wurde geübt, daß manchen Landwirten der ernste
Wille zur Ablieferung fehle und festgeftellt wurde, daß die
neue Erhöhung der Milchpreise keine stärkere Ablieferung
der Milch gebracht habe.
Ein Bauernproieft gegen die hohe« Lebens mrttelpreise.
Hannover, 23. Juni. Die Landwirte in Lippe hielten
eine Protestversammlung gegen den von der Reichsregisrung
festgesetzten Kartoffelpreis von 30 M. für den Zentner ab.
Sie haben sich entschlossen, für ihre Kartoffeln der neuen
Ernte nur 12 M. für den Zentner zu nehmen. Der Magi-
strat der Stadt Hannover hat einen energischen Protest an
die Reichsregierung gerichtet gegen die hohen Kartoffel- und
Fleischpreiss. Er verlangt die sofortige Herabsetzung der
Preise für Kartoffeln auf mindestens die Hälfte des festge-
setzten Preises. Der in Hannover festgesetzte Preis über-
steigt den Preis, den man bisher rm Schleichhandel be-
zahlte, bedeutend.
Einigung zwischen Käufer und Händler.
Karlsruhe, 1. Juli. Zwischen dem hiesigen Haus-
frauenbund und den Händlern ist eine Einmurch zustande
gekommen, wonach von heute ab wieder Obst auf den
Markt kommen wird, dessen Zufuhr die Händler bekannt-
lich einstellten, nachdem infolge der hohen Qbftpreise der
Käuserstrsik erklärt worden war. In einer Versammlung
erklärten die Vertreter des Obftgroß- und Kleinhandels,
alles aufzubieten, die Preise so niedrig wie irgend möglich
zu halten.
Lroensmittölunruhen.
Aus Würzburg wird gemeldet, daß es aus diesem
Anlaß zu schweren Unruhen gekommen ist. Ein Waffen-
laden wurde geplündert. Die vor dem Rathause ange-
sammelte Menschenmenge wurde nach dreimaliger Aufforder-
ung durch Schüsse vertrieben. Cs gab 2 Tote und 4 Ver-
letzte. Gestern wurde der Kriegszustand vschsingt; die Lage
ist immer noch gespannt.
Ferner kam es in Ravensburg zu erneuten Unruhen
und zu Zusammenstöße mit der Reichswehr. 1 Toter und
eine Anzahl Verwundeter war zu verzeichnen.
In Mainz ist man jetzt zu einer Preisvereinbarung
gekommen.
Radolfzell, 1. Juli. Die hiesige „Volksstimme"
nimmt Stellung zu der erfolgten Demonstration, die zur
Sprengung der Vauernvereinssammlung führte. Obwohl,
schreibt sie, die Vorkommnisse erklärlich sind, wenden wir
uns gegen diese Methoden und stellen fest, daß die Leitung
unserer Parteien die Gewalttätigkeiten auf's schärfste miß-
billigt.

Deutscher Reichstag.
Fortsetzung der Programrndrbatte.
Berlin, 30. Sum.
Auf die -ersten der an »er -Spitze der heutigen Tagesordnung stehen-
r^n Interpellationen erklärt« Vizekanzler Dr. Heinz«, daß di«
Regierung bereit fei, die Interpellationen über dl« Vorbereitun-
gen zum Generalstreik, über die Brvtversorg-ung km
rheinisch-westfälischen Industriegebiet und über di« Erböbun.a der
-tbensmittelpreise -in den nächsten T^grn zu beantworten.
Der Antrag Les Teschäffs?kß!?_'tz«s«'.i-schuss-es aus Aufhebung der
gegen den -^bgeovdneten Mittwoch (U.S.P.) vevyänHte FestungSstrase fÄr
die Dauer der Sitzungsperiode wurde einstimmig angenommen.
Als erster Redner der Regierungspartei kommt Herrn Trimborn
zu Worte:
Wir sind in eine neue Periode unserer politischen Entwicklung ein-
getreten. Die -Grundlage unserer Tätigkeit muß die Reichsverfas-
sung sem. , Wir sind heute noch trotz aller Kritik der festen Ueberzeu-
gung, daß die alte Regierungskoalition die einzige Möglichkeit zum Wie-
deraufdau war. Wir beklagen es, baß -die Sozialdemokratie aus der
Koalition ausgetreten ist. Es ist unser Bestreben, die Basis -der Regie-
rung möglichst zu -verbreitern. Wenn Abg. Her-gt das Richtzustandeköm-
men einer gesamten bürgerlichen Koalition mir zur Last legt, erkläre ich
demgegenüber, daß für uns nur eins Koalition der Mitte in Frage kommt.
In Spaa muß unseren -Gegnern klar gemacht werden, daß Deutschland
nicht Lebenslust und -Leberishvffnung gewinnen kann, wenn ihm nicht die
Leben-Möglichkeit gegeben wird.
Gegen unerfüllbare Forderungen der Gegner muß die Regierung
entschieden Verwahrung «inlegen. Unser einziges Mittel ist die Be-
rufung auf u n f e r g u t e s Recht. Wo dieses Recht verletzt wird,
muß eine feste Strafe diktiert werden und das güt namentlich gegenüber
Polen. Die von der Entente zugcbilligten 100 000 Mann können aber
unsere Rechte nicht schützen, zumal da die inneren Unruhen in unserem
Vaterlande noch nicht ganz vorüber sind. In Zukunft müssen auch di«
Einnahmen und die Ausgaben in Einklang gebracht werden. Wir müssen
prüfen, ob nicht an Beamten gespart werden kann.
Ferner nahm der Abgeordnete der Deutschen Volkspartei Dr.
S1 resemann das Wort. Er führt unter anderem aus, daß scharst
Kritik geübt worden sei an dem parlamentarischen System. Wir dürfen
hier nicht -ve-gesikn, daß di< Verhältnisse hier Lei uns ander« sind als kn
England. Wäre di« Entwickkmg anfangs der Sechziger Jahre bei unl
dahin gegangen, daß Bismarck und di« Mehrheit des Preußischen Abge-
ordnetenhauses sich auf einem Wege befunden hätten, dann hätten sich
voraussichtlich unstre politischen Verhästu-iste ganz anders gestaltet. Alst
Parteien sollten- den Zwang in sich fühlen um die Verantwortung zu
übernehmen, damit auch die Regierung gestützt sei. Als d«r Wahlausgang
sich noch nicht genau übersehen ließ, da habe ich ausdrücklich betont, Latz
die RegieruWsbi-ldun-g mit den MehrheitsfvziaWen zu Stand« kommen
müßte.
Der jetzige Zustand ist mit eigenem Willen der SozialdeAiskrati«
entstanden. Wenn der Adg. Hergt sagt, Dr. Heinze habe die Mute zu
früh ins Korn geworfen, so stimm« ich sachlich mit ihm überein, nicht aber
in -der. Kritik an Herrn Dr. Heinze. Tine ganzbürgerlichaKoali-
t i o n war tatsächlich unmöglich. Eine Koalition mit de» Deutsch-
nationalen war aber eine Unmöglichkeit.
Dr. Schiffer (Dem.) führte im einzelnen aus: Innere Einheit sei
di« Hauptsache, darum müsse die Sozialdemokratie nicht beiseite stehen
bleiben. Gefühlsmäßige Regungen spielen heute keine Roll«, nur die
Liebe zum Vaterland« mutz bestimmend sein. Daß gegen die Deutsch-
Nationalen sowohl im Innern Deutschlands wie auch im Auslände
ein gewisses Mißtrauen herrsche, sei wohl erklärlich. Das sei auch der
Grund, weshalb ein Zusammenarbeiten mit ihnen nicht möglich war. Dar
wäre auch ein Verstoß gegen den demokratischen Gedanken
gewesen, denn er sei bei den Wahlen nicht geschlagen, sondern nur die
demokratische Partei. Die Stellung der Deuffch-Nat onalen sei trotz
ihres Sieges noch viel schlechter geworden. Sie ständen allein aus weiter
Mur. Schiffer ging sodann zur Besprechung des Regierungsprogramms
über und gab der Hoffnung Ausdruck, daß das Kabinett von Dauer
sein werde. Unsere auswärtige Politik dürfe nicht unter der inne-
ren leiden. Der Krieg und der Frieden von Versailles hat nur künst-
liche Gebilde geschaffen, die wieder auseincmderstrcden. So kann cs
kommen, daß wir mit unserer geschwächten Kraft jetzt gleichsam wie eine
Münze unter den Mächten ausgeboten -werden. Wir werden ganz Un-
erhörtes durchmachen mässen, aber unser Tod, unser Niedergang wird
den der ganzen Wett nach sich ziehen. Wenn die Sozialdemokraten auf
die IntcrucLÄnale rechneten, würden sie sich genau so verrechnen wie
191-8. Was in Spaa verhandelt werden soll, werden unser« Feinde zu
bestimmen haben und wir wollen nicht große Töne ansch-lagen. Wir
wollen mssere Karten offen aus den Tisch legen, da wir nichts zu ver-
bergen haben, und -wollen die Tatsachen sprechen lasten. Erkennen
die Gegner die Macht dieser Tatsachen nicht an, so werden wir Rein
sagen müssen, auch wenn die Konsequenzen noch so schwer sind, denn
wir dürfen nichts versprechen, was wir hinterher nicht zu -halten ver-
mögen. Schiffer sprach dann die Zustimmung der Demokraten zu dem
innerDolitischen Pregramm der Regierung aus, dickt aber mA seinen ern-
sten Bedenken über di-e wirtschaftlich« Krisis nicht zurück «nb forderte die
Beseitigung der Zwangswirtschaft, die allerdings planmäßig er-
folgen müsse, die aber endlich auch in die Tat umgeseht werden müsse.
Die Grunssätze der Regierung müßten sein: Wahrheit, Entschlös-
se n h e i t und Tatkraft.
Dr. Heim (Bayr. Volksp.) verlangt eine unverfälschte Bitanz
unserer tatsächlichen Lage für die Unterhändler in Spaa und er zeigt in
einigen andeutenden Linien, wie eine solche Bilanz ausfehen müßte.
Bayern wolle und werde für sich selbst sorgen, wenn es nur seine Ruhe
habe. Frankreich will mit dem Verlangen nach Herabminderung des
Heeres Ruhe und Ordnung in Deutschland planmäßig vernichten. Mr
den Ausbau der Landwirtschaft brauche die Regierung ein Programm
Das Brot werb« noch tcur«r werben. Jetzt ergebe sich, daß der Hamster-
preis niedriger sei, als der offizielle Preis. Unsere Zwangswirtschaft sei
erschüttert Lurch den Mangel an Autorität. Wir brauchen eine '«stahrli-,
sierung der Produktionskosten, aber auch der Profite. Der Zentralismus
hat uns in Deutschland nicht stärker gemacht, sondern das Wiedererstarkkn
unserer Wirtschait verhindert. Wir sollten uns als Deutsche in -der Er-
kenntnis zufammcnfindeu, daß wir in einer furchtbaren Lage sind, deren
Tiesstalld wir noch nicht erreicht haben.
Die kleineren Fraktionen haben sich von vornherein auf ,e
einen Redner beschränkt und werden diesen erst in der nächsten Sitzung
ddrschicken. Vor Schluß der heutigen- Sitzung teilte der Präsident L öv«
noch mit, daß die Unabhängigen ein M i ß t r a u e.n sv o t u m gegen d>«
Regierung beantragen. , ,,,
Nach 6 Uhr vertagte sich das Haus auf Donnerstag 1 Uhr.
 
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