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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (2) — 1920

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Nr. 171 - Nr. 180 (27. Juli - 6. August)
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.samt 60 Millionen zur Verfügung stehen werben. Das Saus ver-
tagte sich hierauf bis zum Oktober. Präsident Loebe schließt die
Setzung, indem er der Hoffnung Ausdruck gibi, daß die Ereignisse
jenseits der Grenzen und die Verhandlungen in Genf ebenso wie
die Lage im Innern ihn nicht zwingen möchten, das Haus früher
wieder zusainmenzuderusen, als es der normale Geschäftsgang mit
sich bringen würde. »
Politische Ueberficht.
Vom Bölkerbundsrat.
San Sebastian, 3. Aug. (Wolff.) Die öffentliche Sitzung
des Vöikerbundrats wurde Dienstag Vormittag eröffnet. Der Rat
annullierte den Artikel Z der Resolution vom 16. Januar, welcher
der Regierung des Saargebiets sämtliche Kosten der Grenz-
kommission aufbürdet. Auf diesen Bericht Titton-is hin wurde be-
schlossen, auf die Tagesordnung der ersten Völkerbundversammlung
hie Frage der B ^o ck a d e m a ß n a h m e n zu setzen. Der Rat
schlag: her Versammlung vor, eine internationale Blockadekommis-
sion für die Organisation eines Aktlonsplanes zu ernennen. Der
Rat beschloß, die Bereinigten Staaten zur Teilnahme an der inter-
nationalen Derkehrskonferenz einzuladen, sowie allen anerkannten
Regierungen die Tagesordnung der Konferenz und das diesbezüg-
lich orientierende Material zuzustellen. Nach Anhörung des Be-
glich,'es von Cunha beschloß der Rat, den Plan der internationalen
Konferenz für Hygiene auf Schaffung eines internationalen Amtes
für Hygiene zu genehmigen.
Sa» Sebastian, 4. Aug. (Wolff.) Der Rat des Völkerbundes
hielt gestern Nachmittag eine Geheimsitzung ab, in deren Verlauf
Sir D.rummond den Bericht über die Heimschaffung
der Kriegsgefangenen verlas. Sodann wurde in Anwesen--
heit eines polnischen Ministers die Lage Polens geprüft, die in-
folge der Ausbreitung des Typhus in diesem Lande bedrohlich ist.
Bourgeois teilte darauf die Ergebnisse der Arbeiten des inter-
nationalen Komitees der juristischen Sachverständigen für die Er-
richtung eines internationalen ständigen Gerichtshofes mit.
Gestern fand auch die erste Sitzung der ständigen beratenden
Kommission für die Militär-, Seeschiffahrt?- und Luflschiffahrts-
fragen in Anwesenheit zahlreicher Sachverständiger statt. Auf der
Tagesordnung standen folgende Fragen: 1. Gebrauch giftiger Gase
als Kviegswafsen, 2. Abkommen über die Kontrolle und den Ver-
kehr mit Waffen und Munition. Dem Büro der Kommission, das
aus drei Unterkommissionen, einer Militär-, einer See- und einer
Lustschiffahnskommission besteht, soll abwechselnd sechs Monate von
Belgien, Brasilien und England präsidiert werden. Den Unter-
kommissionen sind als Unterstaatssekretäre je ein Franzose, ein Bel-
gier und ein Italiener beigegeben worden.
San Remo, 4. Aug. (Wolfs.) Der V öil k e r b u n d s r a t
beschloß, auf einen Bericht Bourgeois, die Veröffentiichrmg der den
Völkerbund betreffenden Dokumente durch den Ausschuß der inter-
nationalen Universität zu Brüssel zu subventionieren.
Badische Politik.
Vom Landtag.
Die Ausweisung des Studenten Fritz Groß
in Heidelberg.
Die sozialdemokratische Fraktion hat folgende
kurze Anfrage im Landtag eingerercht:
Nach Zeitungsmeldungen wurde der Heidel-
berger Student Fritz Groß aus Wien am
Freitag, den 3V. Juli wegen angeblicher staatr-
und (deutschfeindlichen Aeußerungen aus Vaden
ausgewieseu. Ist die Regierung bereit, dem
Landtag über die besonderen Gründe, die sie zu
dieser Ausweisung veranlaßt haben, nähere
Aufklärung zu geben?
Da der Landtag erst im Oktober wieder Zusammen-
tritt, wird die sozialdemokratische Fraktion uni schriftliche
Beantwortung bitten und die Antwort seinerzeit dann in
oer Parteipresse bekannt geben.
Schlußsitzung des Landtags.
Der Landtag hielt gestern seine letzte Sitzung vor den
Ferien. Eine Reihe wichtiger Gesetze, darunter der 1. Nach -
trag zum Staatsvoranschlag 1920 sorpie einige
Petitionen wurden erledigt. Finanz Minister Köhler
hielt eine längere Rede über die derzeitige Finanzlage
Badens, aus der wir morgen die wichtigsten Gedanken
bringen werden. Sobald dieses wichtige Finanzerpose uns
im Wortlaut vorlihgt, werden wir es zum Abdruck bringen.
- Siedelüngs- und Landbank.
Durch die Presse sing dieser Tage die Nachricht, daß die Un-
tersuchung über das Hagenschieß-Unternehmen während der Land-
tagspaufe dem Landesständischen Ausschuß übertragen worden fei,
der zusammen mit dem bereits bestehenden Ausschuß der Abgeord-
neten Duffner, Hoffmann und Müller die Angelegenheit weiter
Lerfolgen solle. Die Meinung, welche sich allgemein daran geknüpft
hat, geht nein dahin, daß es sich hierbei um eine Ergänzungskom-
mission oder überhaupt um eine neue Kommission handelt. Diese
Meinung.ist irrtümlich. Der Landesständische Ausschluß ist recht-
mäßige Vertretung des Landtags während der Ferienzeit, feiste
für spezielle Zwecke eingesetzte UntersuchungskommWon. Hie Äst-
wickelung des ganzen Handels kann also im engsten Anschluß an die
bereits stattgefundenen Untersuchungen erfolgen. Niemand ist das
lieber als der. Bank selbst; denn jede verzögerte Erledigung der gan-
zen Affaire würde ohne Zweifel von Privat-Interessenten ausge-
nutzt werden, um die Bank und das ganze Siedelungsversahren
weiter zu schädigen
Zum Fall Siedelüngs- und Landbank.
Der vom Aufsichtsrat der Siedelüngs- und Landbank mit der
llntersuchung über die Gefchäftssühruns dieser Bank betraute kauf-
männische Sachverständige, vereidigter Bücherrevisor Wilhelm
R u f aus Heidelberg, fällt über den finanziellen Stand dieses Ist-
stituies folgendes Urteil:
„Seit Wochen beschäftigt sich die Presse aller Richtungen mit
der Badischen Siedelüngs- und Landbank und den bei dem Unter-
nehmen herrschenden Zuständen. Vorkommnisse aller Art find von
der Presse registriert, zutreffendes und unzutreffendes ist behauptet
worden und vielfach wurden Diskussionen angestellt, die sich mit
-dem finanziellen Stand des Unternehmens und mit der Frage be-
faßten, ob die Badische Siedelüngs- und Landbank überhaupt noch
lebensfähig oder dem Untergang geweiht sei.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß Mißstände mancher Art sich
der dem Unternehmen bemerkbar gemacht haben und daß bei dem
Aufbau des Hagenschieß-Unternehmens schwere Fehler beWna-en
wurden. Immerhin kann ich aufgrund meiner durch die Priismtg
der Bücher und der Gefchäftssührung erworbenen Kenntnis der
Verhältnisse im Gegensatz zu anderen Behauptungen feststellen,
daß der finanzielle Stand des Unternehmens zu Befürchtungen
keinen Anlaß gibt, sofern man nur der derzeitigen Geschäftsführung
Gelegenheit gibt, ihre Organisation-,- und Reorganifationsyläne in
Ruhe zur Durchführung zu bringen. Die Geschäftsführung ist be-
müht, sich beim Ausbau des Hagenschieß-UnterMhmens diejenigen
Beschränkungen auszuerlegen, die durch die Knappheit der zur Ver-
fügung stehenden Mittel geboten sind, sie ist ferner bemüht, eine
Verminderung der Kosten für unproduktiv« Leistungen herbeizu-
führen, dcw-'Hag-ensch'eß-er Betrieb aus dem Stadium des unpro-
duktiven in das produktive in aller Bälde überzuleiten, den Ver-
waltungsapparat einfacher und billiger zu gestalten und -die viel-
fach wahrgenvmmenen Kvmpetenzstreitigkeiten innerhalb des Vcr-
wallungskörpers zu befestigen.
Einer zielbewußten, tatkräftigen aüf Verminderung der Ver-
waltung--- und Betriebskosten bedachten Gefchäfls'Ieitung wird es
in Bälde gelingen, das Unternehmen dahin zu bringen, daß es sei-
nen- Aufgaben gerecht zu werden vermag, sofern nur von feiten der
Presse und der Finanzwelt die Geschäftsführung in ihren Bemü-
hungen- unterstützt wird und sofern sie nicht weiterhin unter Miß-
trauen und Angriffen aller Art zu leiden hak."
Dieses Gutachten des vereidigten Bücherrevisors sei allen
denen zur Lektüre empfohlen, welche jetzt gar nicht laut genug au§°
schreien können, daß die Badische Siedelüngs- -und Land-bank so-
zusagen aus dem letzten Loch pfeife. Wenn beispielsweise die
„Süddeutsche Zeitung" in ihrer Samstagsausgabe von einem
„Badischen Panama" spricht, zu welchem sich di« ganze Märe der
Siedelüngs- und Landbank auswachse, so wolle sie gefälligst von
folgendem- Kenntnis nehmen:
Bei der Panama-Affäre wurden di« Spargroschen der fran-
zösischen Rentner in die Milliarden hinein auf betrügerische Weise
vergeudet; durch die Geschäftsoperationen der Siedelüngs- und
Landbank -ist noch niemand um einen Pfennig gekommen und es
wird'auch niemand einen- Pfennig verlieren. Im Gegenteil: Der
Bank werden nach Verkauf ihrer Holzbestände und Holzwerte noch
genug finanziell« Mittel zur Verfügung stehen, um sie dem eigent-
lichen Zweck entsprechend, d. h. zur Ausführung des Siedeiungs-
plancs im Hagenschieß zu -verwenden.
Soziale Rundschau.
Einigung zwischen Aerzten und Krankenkassen-
verbänden.
Die Verhandlungen zwischen der ärztlichen Landes-
zentrale und der Arbeitsgemeinschaft badischer Kranken-
kassenverbände wegen Abschluß eines neuen Mantelvertrags
zur Regelung der Verhältnisse von Krankenkassen und
Aerzten sind gestern zu Ende geführt worden. Es kam
eine Einigung auf folgender Grundlage zustande:
Für eine Sprechstundenberatung apr Tage sind vier
Mark, bei Nacht acht Mark zu bezahlen. Die Gebühr
für einen Besuch beträgt am Tage sechs Mark, bei Nacht
zwölf Mark. Als Wegegebühren werden pro Doppel-
Mometer bei Tag bis zu sechs Mark, bei NM bis zu
zehn Mark bezahlt. Für Einzelleistungen werden auf
die Sätze der badischen Gebührenordnung vom Jahre 1918
bei Gebühren bis zehn Mark 100°/., bei Gebühren über
zehn Mark 186 °/g Zuschlag gewährt. Die Honorare
gelten vom 1. April dis 31. Dezember 1920.
Betriebsräte gegen Kapitalschiebung und
Steuerhinterziehung. s
Mr Zeitung „Deutscher Eisenbahner" flog das folgende
Rundschreiben auf den Tisch:
Mitteilungen des Deutschen Industrie- und Handelstages.
Ber 1 in, den 15. Juni 1920.
Vertraulich.
Betriebsbilanz nach tz 72 des Betriebsräte-
g e f e tz e s. -
Wie wir bei Besprechungen im Reichsarbeitsministerium und
Nelchsiusttzministerium feststellten, sind zwar die Vorarbeiten zu
dem nach 8 72 des Betriebsrätegesehes zu erlassenden Gesetze über
eine Betriebsbilanz und eine Betriebsgewinn- und Verlust-
rechnung bereits begonnen, befinden sich aber noch in dem Stadium
der ersten Erwägungen. Innerhalb des Reichsjustizministeriums,
das für diese Angelegenheit federführend ist, ist ein Referentenent-
wurf apsgearbeitet, indes haben weder zwischen einzelnen zuständi-
gen Ministerien, noch mit den Interessenten Besprechungen statt-
gefunden. Gemäß einem vom Vorstand des Deutschen Indu-strie-
und Handelstages gefaßten Beschlüsse hat der Deutsche Industrie-
und Handelstag entgegen der Auffassung eines Mitgliedes davon
abgesehen-, auf Fertigstellung des Gesetzentwurfes zu dringen, da
»er jetzige Rechtszustand für die gedeihliche Entwicklung der Be-
triebe angemessen zu fein scheint. Es sei u. a. nur daran erinnert,
baß in einem künftigen Gesetze über die Betriebsbilanz Vorschrif-
ten enthalten sein könnten, nach denen fülle Reserven aufgedeckt
werden müssen, um den Arbeitern und ihren Vertrauensleuten
Klarheit in allen Vermög-enseinzelheiten zu gewähren. Kerner ist
nicht ausgeschlossen, daß Einzelaufstellungen über alle Vetmögens-
objrkte gegeben werden müssen, während nach dem Handelsgesetz-
buchssummarische Ausstellungen genügen. Auch hinsichtlich der Ab-
schreibungen würde man vielleicht Kenntlichmachung verlangen und
es für unzulässig erklären, diese vor Feststellung des Gewinns statt-
finden zu lassen. Endlich müßte man auch damit rechnen, daß eine
Spezifizierung des Gewinnes verlangt wird. Diesen Mißständen
gegenüber käme als einziger Vorteil Wohl nur der in Betracht, daß
in der Bilanz -ritze veiKch« Scheidung zwischen dem Privatvermö-
gen und dem geschäftlichen Mrmögen eines Einzelkaufman-ns statt-
finden könnte, was nach her Vorschrift des Handelsgesetzbuches nicht
unzweifelhaft der Fall -ist. Dieser «ine Vorteil, aus den das E-
erwähnte Mitglied mit großem Nachdruck hinweist, erscheint M
aber im Verhältnis zu dem Nachteil so klein, -atz er nicht autd
schlaggebend ins Gewicht fallen kann.
Bemerkt sei, daß -sich auch die Vorarbeiten des nach 8 70 des
Betriebsrätegesetzes zu erfassenden Gesetzes über die Absendung von
Bettiebsratsmitglledern in den Aussichtsrat noch in einem mcht seH-
weit vorgeschrittenen' Stadium befinden. Federführend für dies
Gesetz ist vorläufig das Reichsarbeitsm-inisterium.
G e« st e m ü n - e, den 21. Juni 1980.
Den
Herren Mitgliedern der Handelskammern
zur gefl. Kenntnis ergebenst überfandt.
Die Handelskammer zu Geestemünde
Der Vorsitzende: Der SmHikuz,.
' Pust. Dr. Jung.
Die Befürchtungen des Industrie- und Handelstages zeigen
den Volksgenossen, welch wertvolles Mittel das Betriebrrälegefetz
werden kann gegen Vermögensverfchleierung. Vermög ensschiebunst
und Steuerhinterziehung. Allerdings: ganz kann dieser Nutzen erst
erlangt werden, wenn die Betriebsräte kaufmännisch geschult sind
und nicht etwa mit Industrieherren unter einer Decke spielest.
Der Steuerabzug vom Loh«.
Mit dem 1. August trat das neue Gesetz über den Lohn-
abzug in Kraft. Auch die vorläufigen Ausführung? bo
stimmungen zu diesem Gesetz sind soeben eölassen worden.
Nach den neuen Bestimmungen gilt nun folgendes:
1. Zum Darlohn ist hinzuzürechnen der Wert der Natural-
bezüge, z. B. Kost und Wohnung. Die Höhe dieses Wertes wir- „
durch die einzelnen Landesfinanzäm-ter festgestellt und seinerzeit be-
kanntgegeben werden. Dis zu dieser Regelung sind die Natural-
bezüge einzusetzen- mit dem Werte, der sich aus den.Lohntarssverein-
barungen ergibt. Wo solche Vereinbarungen nicht bestehen, sind
die vom Versicherungsamte festgesetzten örtlichen Preise maßgebend.
Jedoch ist bis zu der Festsetzung durch das Landesfinanzamt als
Wert von Natural- und Sachbezügen kein höherer Betrag als
5 Mark für den Tag, 30 Mark für die Woche, und 135 Mark
für den Monat anzurechnen.
Vom Beter zum Kämpfer.
Von Nikolaus Osterroth.
(19. Fortsetzung.)
Der gutmütige Alte lachte und meinte, von dem Balgen nsit
den Klötzen würde ich bald stark werden. Dann sagte er, ich solle
ausruhen, und gab mir eine Axt mit der Weisung, eine Ecke der
„Kuh" abzuschroien. Aber ich solle mir Zeit dazu nehmen, das
ginge nicht so schnell. Ich solle nur immer mit Ruhe und Kraft in
dieselbe Kerbe hauen und zwischendrein die Axt in den Wasserkübel
tauchen; die nötige Sicherheit würde schon allmählich kommen. Ich
folgte dem Rat des Alten; aber jeder zweite Hieb ging neben die
Schrotlinie, und es wurde wirklich Abend, bis ich die Ecke, etwa 3
Zentner, abgeschrotet hatte. Nicht das Salz zur Suppe hatte ich
verdient, obwohl mir der Schweiß aus den Fugen lief. Der Alte
kachle und meinie: „Nor Geduld, in vier Woche gehts besser; so
hab ich ach agefang." Als die „Kühe" beseitigt waren, wurde das
Hangende bis dicht vor Ort verbaut, und dann wurde am „Stoß"
gearbeitet.
Der Stoß ist etwa 60 Zentimeter lang und 6 Meter breit;
wenn er auf Brusthöhe heruntergehauen ist, sieht er aus wie eine
Pank. Diese wird mit der Hacke hinten von der Wand getrennt,
so daß rings um den „Stoß" ein 20 Zentimeter «tiefer Graben ent-
steht, in den man kaum den Finger eindrücken kann. Damit die
Hacke nicht stecken bleibt, wird nach etwa zehn bis fünfzehn Hieben
ein großer Löffel voll Wasser in den «Graben gegossen; die Hacke
springt dann infolge ihrer Schlüpfrigkeit von dem elastischen Ton
zurück. Diesen Graben zu hauen, war fortan in der Hauptsache
meine Arbeit; die viel Hebung erfordert, besonders oben am Hang-
enden, das durch das Abtrennen des Stoßes zu einem Gewölbe
wird«. Der Stoß wird nun mit der Axt in 25 Zentimeter breite
und ebenso^ tiefe Striemen gehauen, die dann mit der Axt. wagerecht
abgehauen werden. Ist der Stoß bis zur Kniehohe heruntergetrie-
ben, dann werden die Klötze auch unten mit der Axt abgehauen. Je
nach der Dicke der Tonschicht sind die Stollen bis 5 Meter hoch,
so daß die obere Hälfte des Stoßes auf Holzgerüst heruntergehauen
wevden muß, was recht mühevoll ist.
Die schwerste Arbeit ist das „Schroten" mit der Axt und -das
Abhauen der Klötze auf dem Stoß. Länger als drei Stunden ist es
nicht auszuhalten, weil die Hände völlig erlahmen. Die Schicht
ist daher in vier, je zwei Stunden umfassende „Viertel" eingeteilt,
zwischen denen Frühstücks-, Mittag- und Vesperbrot lieben. In
den Iugendjahren zucken dem Bergmann sogar im Schlaf unwill-
kürlich vor Müdigkeit die Arme.
Die adgehauenen Klötze werden hinter dem „Stoß" zwischen
die Stempel geworfen; diesen Zwischenraum nennt man den
„Gang". Ist der Gang vollgeworfen, dann fetzen die jüngeren
Kameraden die Klötze auf die eine- Seite des Ganges in- die Nähe
des Schachtes, so daß man gerade noch durch den Stollen- hindurch-
schlüpfen kann. Mo eine größere Anzahl Leute in einer Grube be-
schäftigt sind, werden zwei Stollen auf den einander gegenüberlie-
genden Seiten des Schachtes gleichzeitig angetrieben, und ein Mann
fetzt dann ununterbrochen die Klötze auf. Zwischendurch hat er
auch oben am Schacht Klötze aufs Fuhrwerk verladen. Dann muß
der arme Teufel oft Jahr« lang 800—1000 nasse, schlüpfrige Klötze
transportieren, von denen jeder einen Zentner wiegt. Davon wird
der Rücken ganz krumm, und die Arme bekommen eine Länge wie
hie der Affen, so daß er sich, ohne sich zu bücken, an den Knien
kratzen kann.
Jeden Tag werden einige Stunden lang Klötze am Haspel
hinaufgewunden, was früher in der Regel Frauen oder Mädchen
besorgten — eine geradezu mörderische Arbeit, deren- Folgen- für
die armen Arbeiterinnen häufig Frühgeburten und schwere Erkran-
kungen der Gebärorgane waren. Nach langem Drängen der Berg-
arbeiter hat das Bayerische Berggesetz endlich dieser schmachvollen
Frauenarbeit ein Ende gemacht.
Der Tonbergbau erfordert große Geschicklichkeit, sowohl beim
Hauen des Tons, als beim Schachtabteufen und Verbauen. Biss
ein Bergmann im Hauen die normale Tüchtigkeit erwirbt, vergeht
eine Lehrzeit von fünf bis sechs Jahren. Nach der Militärzeit
wird er dann für voll angesehen.
Ich habe mich redlich abgefchun-den, um den höchsten Grad der
„Vollkommenheit" zu erreichen. Nachdem ich noch zweimal in den
Wintermonaien mit dem Vater die Hausschlächterei betrieben hatte,
bekam ich Mark in den Knochen. Ich war jetzt ein Kerl geworden.
der selbst Respekt hatte vor seiner Kraft und keine Arbeit zu schwer
sand. Aber auch kein Stück Brot und keine Wurst war mir groß
genug. Wenn Jesus bei seinem Brotwunder Kostgänger von meiner
Oualität gehabt hätte, wären keine zwölf Körbe voll übrig geblieben.
Inzwischen war ich allmählich in die Flegeljahre gekommen, und
ich machte diesem Altersabschnitt alle Ehre, unbeschadet meines
Gelübdes gegen die heilige Barbara, das ich noch als vierundzwan-
zigjähriger Mann treu befolgte, obwohl ich mich bis dahin in aller
lci Extremen bewegte.
XVI!.
Die Sozialdemokraten kommen. Die Gründung
desKatyolischenIünglings Vereins. DerKamps
mit dem Antichrist.
„Je näher bei Rom, umso schlechter der Christ." Wo Katho-
liken mit Andersgläubigen Zusammenleben, sporm sie der Ehrgeiz
zur Verinnerlichung an. Sowohl organisatorisch wie propagan-
distisch leistet dann die Klerisei Außerordentliches. In ausschließlich
katholischen Gegenden und Ortschaften, wo diese treibenden Kräfte
fehlen, sieht es -um Religion und Moral recht windig aus. In
meinem Heimatdorfe wäre für den Klerus ein Berg dankbarer
Arbeit gewesen, wenn es ihm ernst gewesen wäre mit seiner angeb-
lichen Sorge um das geistige und irdische Wohl der Gläubigen.
Wieviel soziale Aufgaben waren da nicht in Angriff zu nehmen!
Wie notwendig wäre es gewesen, den scheinheiligen, Relimosität
heuchelnden Grubenbesitzern den Weg der Arbeit und der Pflicht
zu zeigen! Wie dankbar, die Arbeiter vor der moralischen Ver-
sumpfung zu retten, die werdenden Menschen zu bilden und ein
blühendes, an Rohstoffen ungeheuer reiches Gemeinwesen vor dem
Zusammenbruch zu bewahren! Nichts davon! Die Gemeinde war
eine fette, einträgliche Pfründe, und ihre Inhaber sahen nur drei
Aufgaben: die Erbauung einer neuen Kirche, eines neuen Pfarr-
hauses und die Versorgung der Gemeinde mit einigen klösterlichen
Schulschwestern. Sonstige Pflichten sozialpolitischer und moralischer
Natur kannten sie nicht. Die Leute waren ja alle katholisch; Hetzer
gab es keine, und Sozialdemokraten — Gott sei Dank — auch nicht.
Gefahr war also nicht zu befürchten.
Die „Gefahr" kam aber doch. Anfangs der neunziger Jahre,
als ich noch nicht lange in der Grube war, gab es an einem blauest
d
 
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