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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (2) — 1920

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Nr. 171 - Nr. 180 (27. Juli - 6. August)
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ff
2. Blatt. — Freitag, 6. August 1820.

Friedrich Engels.
(Gcstorhen am 6. August 1895.)
Von A. Conrady.
Dec große Sozlaiist, der vor 25 Jahren starb, wirb heute von
gar vielen im Munde geführt, -die seines Geistes nie einen Hauch
gespürt. Wenn er heute noch einmal unter uns treten könnte, er
würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen bei all dem
blühenden Unsinn, der km Namen des „Marxismus" verbrochen
wird. And da er als Miturheber des wissenschaftlichen Soziakis-
w.us mit seinem Namen die politischen Verirrungen -derer decken
!v!l, hie das deutsche Proletariat nach Kräften in den Sumpf füh-
ren, da würde er in seiner drastischen Art den Musionspolitikern
loder Sorte — und wenn sie sich noch so revolutionär gebärdeten
7^ die Wahrheit geigen. Denn sein stark entwickelter Wir'klichk-eits-
stnn hat nie etwas anderes als Spott gehabt für politische Phanta-
sten, die, unbekümmert um die Realitäten der geschichtlichen Situa-
tion ein Nirgendheim in den Wolken gründen zu können wähnen.
Sein wissenschaftlicher Sozialismus stand im Gegensatz zu jedem
Utopismus, nicht nur insofern als Engels von detaillierten, g-edank-
nchen Vorwegnahmen zukünftiger, sozialer Entwicklungen nichts
wissen mollte, sondern auch dadurch, daß er sich der Unmöglichkeit
bewußt war, ein noch ferneres Kampfziel in einem Sturmanlauf
Zu erreichen, ohne den dazwischen liegenden Hindernissen Rechnung
zu tragen, und ohne sich im Zwischengelände nach und nach der
Punkte zu bemächtigen,, die ein etappenweises Vordringen ermög-
lichen. Als vielseitig geschulter Kopf war er sich darüber klar, daß
Mch in sozialen Kämpfen, wie in militärischen, ein abschnittwcises
Vorrücken eine Rolle spielst Und ganz fern lag ihm der Gedanke,
durch bloßes fasziniertes Hinstarren aus die weitere Zukunft die An-
forderungen der Gegenwart aus den Augen zu verlieren und dabei
etwa gleichzeitig den Boden unter den Füßen zu verlieren, auf -dem
die Zukunft allein aufgebaut werden kann.
Engels kam von der deutschen Philosophie her, und von ihr
empfing sein Sozialismus, nachdem er im Jahre 1842 Sozialist
geworden, sein erstes Gepräge. Aber er unterschied sich baldigst
himmelweit von den änderen philosophischen Sozialisten, indem
or seine Ideen ganz anders auf -den Boden der Tatsachen zu begrün-
den lernte. Er hatte sich, als er in den Bannkreis des Kommunis-
mus kam, die Erwartung suggerieren lassen, daß die -englische Ge-
frer-alstr-eiksbewegung von 1842 die Eröffnung der sozialen Revo-
kutwn darstellte. Seine erste journalistische Arbeit aus Manchester
für die „Rheinische Zeitung" galt dann dem Nachweis, warum
diese Erwartungen enttäuscht werden mußten, aus Gründen d-cr
wirtschaftliche,, Lage und der sozialen Verhältnisse. Kurz, er ver-
kwsie sich in das Studium der Entwicklung und des Zustandes der
englischen Industrie und Arbeiterklasse, sowie überhaupt in die
^Wische Geschichte und Nationalökonomie. Er erkannte, daß der
^Mische Sozialismus in- der Luft schwebte, weil ihm das Verhalt-
es zur Politik, zu den sozialen Tageskämpfen fehlte, während die
proletarische Bewegung des Chartismus zwar praktische Politik
fr>eb, aber das Ziel der „sozialen Glückseeligkeit" nicht klar zu um-
lchreiben vermochte. Die Verschmelzung von Sozialismus und
Arbeiterbewegung bezeichnete Engels als notwendig in seinem b-e-
ruymton Buche von 1845 über die, Lage der arbeitenden Klasse
'n England. Zweck im übrigen- ist laut dem Vorwort, die Lage der
Arbeitenden Klaffe als den tatsächlichen Boden und Ausgangspunkt
Aker sozialistischen Bewegungen der Gegenwart festzustellen. Er
will dadurch den Urteilen über die. Berechtigung der sozialistischen
Neorien einen festen Boden geben, um allen Schwärmereien und
Phantastereien für und «wider ein Ende zu machen. Die Notwen-
ALkeit, zur Kenntnis der Tatsachen und damit zu realen Grund-
wgen zu gelangen, betont dies Vorwort immer wieder; — die
7rutsche Theoretiker -hätten von der wirklichen Welt wohl viel zu
wenig gekannt, als haß die wirklichen Verhältnisse sie unmittelbar
Reformen dieser schlechten Wirklichkeit hätten treiben sollen, und
H weist zum Beweis dafür auf die philosophische Herkunft der
Burschen SoziaAsten hin.
Mit denen, die bei diesem Ausgangspunkt stehen blieben,
wahrend er im Zusammenwirken mit Marx sich immer weiter von
Wem „wahren Sozialismus" entfernte, -ist er bald unbarmherzig
As Gericht gegangen, wegen ihres Verweilens im Dunsthimmei
?.er philosophischen Phantasie und ihres totalen Mangels an Wir-k-
ftchkeitssinn und Tatsachenkenntnis. Er verwarf sie, mit Marx zu-
mmm-e-n,. im „Kommunistischen Manifest" wegen ihres Mangels
an politischem Verständnis, womit sie, am Vorabend -einer bürg-er-
uchen Revolution, gegen die Fortschrittsfvrderungen -des Bürger-
"ws sich wendeten und damit im reaktionären Sinne wirkten,
-schnn Engels und Marx sahen es als notwendig an, -den Kampf
mr die bürgerliche Freiheit und die nationale Einheit' zu unterstüt-
Aw Sie schloffen sich, im Frühling des Jahres 1848 nach
Autschland zurückgekehrt, der demokratischen Partei an, als einzige
„wir waren

Ern harter Tag. §
Ein Stimmungsbild aus dem badischen Landtag.
Abg. W. schreibt in der „Karlsruher Zeitung" über -die letzte Frei-
^siUzung des Haushaltausschusses:
bei- 8 Uhr! Der Ausschuß für Rechtspflege und Verwaltung tritt
tn»L b zusammen; um 9 Uhr beginnen die Frakiionssihungen; bis dahin
e° , M seine Arbeiten erledigt haben. In den Frakt-ionsfitzungen geh!
-f wbhaft her; die letzten Beschlüsse sind zu fassen, die letzten kurzen An-
ballen formulieren, denn der Landtag will Mitte nächster Woche in
„st. deiß ersehnten Ferien gehen. Km 11 Uhr werden die Minister, dis
den Sitzungen ihrs.. Partei anwvhncn, abberufen; es findet eine
«Ung des Staatsministeriums statt.
h^.Rr den Vormittagsstunden tagt zugleich auch eine sogen. Knterkom-
sasiw!, des Hausbaltsausschusles, die sich damit abmüht, Richtlinien zu
ka>, < wie man die fernere Beratung des ersten Nachtrages, der be-
Uun öie Einstufung der badischen Beamten in die Besvldu-ngsord-
Un, Zwecke bat, produktiven und zielsicherer gestalten könne. Erst
sP st«1 Khr ist sie fertig. Die Fraktionen beschäftigen sich noch mit die-
" Ergebnissen und gehen nach 1 Ahr auseinander.
. Auf -^4 sthr ist die große Sitzung des Haushaltsausschusses cm-be-
fast atze Minister sind -erschienen. Die Hagenschicß-Angelegen-
' wird vor Eingang in die Tagesordnung des längeren besprochen;
in Gemüter erhitzen sich. Man sucht nach einem Ausweg, um Klärung
ft.Vfr strittigen Frage zu schaffen. Dazwischen fällt eine Anfrage der
v^wLemokratischcn Fraktion, wie den Arbeitslosen in Baden Hilfe ge-
'-cht wenden könne.
b- . Endlich sind diese Vorfragen erledigt. Die eigentlichen Beratungen
zhUsien. Der Vorsitzende der Haushaltskommission entwickelt die
)c,Muie„ für die weiteren Verhandlungen wegen der Einstufung der
Machen Beamten. Im Mittelpunkt -der Aussprache steht die Frage:
..beheben wir das entstehende Defizit? Vorschläge folgen, Gegen-
iw^N'de; wie bewahren wir den badischen Staat vor einer Verschul-
Der Ernst der Situation ist erkenntlich. Denn- schließlich sind
ztz" Haushaltsausschuß eben auch die Interessen der -Steue-azcchler (bei
ckejl Fürsorge für die Beamten) nicht außer acht zu lassen. Lin Ber-
Furanzministeriums, der -in den letzten Tagen -in Berlin weilte,
i>xf"Net von den Schwierigkeiten, mit welchen die Reichsr-eg-ierung bei
1^', Auslegung der Besoldungsordnung für die Postbeamten und die -Ei-
semlwn-er zu rechnen hat. Der badische Minister des Innern macht Mit-
neuen Forderungen einer badischen Beamlengruppe. Düst««
"vule lagert über b.eser Sitzung des Haushaltsausschusses. Wee soll


der fortgeschrittenere Flügel -der Partei, aber immerhin ihr Flügel,"
sagte Engels. Die Erkämpfung der Demokrat! e war
für -ihn -immer die Vorbedingung für -den- Ausbau einer neuen Ge-
sellschaft, und wenn er mitunter von Diktatur des Proletariats ge-
sprochen hat, so hat er -dabei an keine wundertätige Pferd-ekur ge-
dacht, sondern an die Herrschaft des allgemeinen Stimmrechts in
der demokratischen Republik.
So fern dabei der Engels von 1848 den- landläufigen Illu-
sionen der bürgerlichen Demokratie stand, so sind- ihm doch eine
zeitlang optimistische Selbsttäuschungen unterlaufen, vor allem die,
daß er sich der Hoffnung hingab, auf die bürgerliche Revolution
sehr bald die proletarische folgen zu sehen. Als aber die Volks-
bewegung dann immer entschiedener rückläufig wurde, setzte er sich
zusammen mit Marx darüber ins Reine, daß, von proletarischer Re-
volution ganz zu schweigen, nicht einmal die bürgerliche -ihre un-
mittelbare Fortsetzung und Vollendung finden -könne. Sie richteten
also ihre Londoner Tätigkeit im Kom-mumstenbunde darauf ein,
daß Versuche, nun Revolution zu „machen", zum Gegenteil des
Zwecks führen müßten-, daß also vor der Hand nur von propagan-
distischer Tätigkeit die Rede sein könnte. Damit liefen sie bei denen
übel an, die -erwähnten, ein baldiges Wiederlosgehcn erzwingen zu
können. Engels har noch -im Alter mit -einer gewissen Bitterkeit
davon gesprochen, wie sie damals -in Acht und Bann getan wurden
ais Verräter an der Revolution. Achselzuckend zog er sich von der
sinnlosen Revolutionsprahlerei der Londoner Emigration zurück. -Er
ließ dem Vaterland erst wieder ein politisches Lebenszeichen zukom-
men, nachdem 1859 die Zeitläufte auch für Deutschland wieder -kri-
ttsch geworden waren. Seine beiden Schriften: „Po und Rhein",
,,Savoyen> Nizza und der Rhein", sind charakteristisch für feine
Art, mit den Tatsachen zu rechnen- und danach, nicht nach etwelchen
allgeme-inen Schlagworten, sein- Handeln einzurichten. Gegen
sranzvsi-schc Rheingelüste macht er ebenso entschieden Front, wie
schon- einmal im Jahre 1840 als junger Mann. Ihre Durchsetze
würde nach seiner Auffassung Deutschland den Franzosen gegenüber
total ohnmächtig machen, und dann würde, wie 1813, Rußland der
natürliche „Befreier" Deutschlands, natürlich nicht um Gottes
Lohn.
Die klein-deutsche Politik Bismarcks war auch durchaus nicht
Engels Fall. Als aber die Schlacht bei Kömggrätz geschlagen war,
sah er die Entwicklung in Deutschland so entschieden in di-e Rich-
tung des klein-deutschen Bourgevifieplanes gebracht, „-daß wir -ebenso
güt wie andere die vollzogene Tatsache anerkennen müssen, ob sie
uns gefallen mag oder nicht." Liebknechts Idee, sie rückgängig zu
machen, sah Engels nicht als WirMchkeitspolitik an, -So war er
auch mit Liebknechts Haltung beim Ausbruch des 70er Krieges ein-
verstanden. Das Gebotene schien ihm, sich der nationalen Bewe-
gung anzuschließen, so lange sie sich auf Verteidigung Tcu schlands
beschränke, dabei aber di-e Einheit der Interessen der deutschen und
französischen Arbeiter hervorzuheben. Engels sah den- Krieg als
einen solchen um die nationale Existenz an, in dem Deutschland -im
Falle des Unterliegens -auf Jahre, vielleicht auf Generationen kaputt
gehen würbe: „Von -einer selbständigen Arbener-beweg-ung ist denn
auch keine Rede mehr, der Kampf um Herstellung der nationalen
Existenz absorbiert dann alles, und bestenfalls geraten die deutschen
Arbeiter ins Schlepptau der französischen." Die Liebknechlsche
Neutralirätsidee würde nach Engels- Ansicht bald wieder zum
Rheinbund sichren, und -da sollte Liebknecht einmal sehen, was er
in dem für eine Rolle spielte, und -wo die Arbeiterbewegung bliebe:
„Ein Volk, das immer nur Hiebe bekommt und Tritte ist allerdings
das Wahre, um eine soziale Revolution zu machen, und dazu in
Wilhelms geliebten Kleinstaaten."
Es wäre reizvoll, den Ueberblick über Engels politisches Ver-
halten bis zu seinem Tode fortzuführen. Dos Gesagte muß aber
hier genügen, um seine Art, proletarische Realpolitik zu machen,
zur Anschauung zu bringen. Die Nutzanwendung auf die Gegen-
wart ergibt sich von selbst. Nur soviel mag bemerkt sein, daß er sich
nie damit abg-e funken- hätte, Deutschland unter die Botmäßigkeit
des ausländischen Kapitals zu setzen, sondern mit alle Hebel in Be-
wegung gesetzt hätte, um ein -solches Joch mit allen zweckdienlichen
Mitteln abschütteln zu helfen, gerade als Voraussetzung für die
Emanzipation des Proletariats. Das hätte ihm gefehlt, mit anzu-
sehen. wie Deutschland mit gnädiger Erlaubnis der Ent-en- e von
der Luft lebt, und dabei noch Luftschlösser von schleuniger Verwirk-
lichung des vollen Sozialismus zu bauen. Er war ein Vorkämpfer
des internationalen -Sozialismus im wahrsten Sinne, aber gerade
darum nicht Leugner der nationalen Verantwortlichkeilen. Und
allzeit war er bereit, -die aus der Logik der Tatsachen sich ergeben-
den Konsequenzen zu ziehen.
Politische Ueberficht
Geist von 1914.
Erinnert man sich noch des Geistes von 1914? Wo wir gegen
die „degenerierten Franzosen", die „englischen -Schufte", die „russi-
schen Wutkisäufer", die „japanischen Affen" usw. kämpften? Dieser
herrliche Geist ist neu erwacht: „Sowjetrußlands Heere geben den
polnis ch en Banditen den Todesstoß. So zu lesen in -der
Hamburger K o m m u n i st i s ch e n A r b e i l e oz e i 1 u n 'g
vom 31. Juli fettgedruckt auf der -ersten Seite. Geist von 1914,
neuerweckt von Lauffenberg-Wolfheim!
i man aus diesem Labyrinth von Forderungen und Wünschen einerseits
! und den- Staatsnot-wen-d-i-gkeit-en andererseits he-a-uskommen?
Den: Finanzministcr Köhler -entringt sich das schwere Wort: Meine
Herren, das ist heule wirklich ein harter Tag! Allen Anwesenden hat
er damit aus dem He-gzen gesprochen. Ein harter Tag, dieser 30. Juli
1920. Was helfen aber Klagen? -Also weiter im Text! Die Richt-
linien werden akzeptiert. Es -ist 7 -Uhr abends! „Meine Herren, um
8 Uhr wieder antretc-n; es beginnen die Verhandlungen mit den Bert-e-
tern des Beamtenbundes."
Wir treten nochmals an und fragen uns im Geiste: Wie sieht heute
w-i-cder -dec „Achtstundentag" der Landtagsabgeordncten rind den- Vertre-
ter der Regierung aus? Etwa 10 Stunden Arbeit haben- wir bereits
hinter uns.
Ilm 8 Uhr ist alles pünktlich zur Stelle. Das g-.-oß-e Ringen be-
ginnt! Der Haushaltsau-sschuß Kal drei seiner Mitglieder zu Wort-
führern bestimmt; alle anderen Landbvten schweigen. Den Vertretern
des Beanttenbundcs und des Lehoerburrdes, welche die Interessen der un-
teren, mittleren und höheren Beamten wahrzunehmen haben, werden die
bisher gefaßten Beschlüsse des HaushaltsauLschuss-es in ihrer Totalwirkun-g
eröffnet. Eie nehmen der Reihe nach das Wort; ruhig und sachlich do:
eine, leidenichasti-icher, heftiger der andere, je nach Veran-lag-un-n und
Temperament, lebhaft bestrebt, seine Mandatgeber gut rind er-f-ol-g.eich zu
vertreten!
Die Sprecher des Haushaltsausschusscs erwidern, nach alter par-
lamentarischk;.- Erfahrung, die -ihnen aste drei in-newohnt, nicht verlegen
auf die ihnen vorgetragcnen Wünsche.
Es wird 9, 10 Uhr. Man ist immer noch im Vorstadium der Be-
ratungen, immer noch bei der allgemeinen Aussprache. -Endlich faßt
man die Deratunzsqegenstände präziser: erstens, zweitens, drittens usw.
Nun geyts rascher. Die Uhr zeigt 2412 Uhr. Der Vorsitzende bei den
Besprechungen verkündet: „Meine Herren, -wir ziehen uns gegenseitig
zurück; in- einen Viertelstunde haben- wir uns wohl gegenseit-ig entschie-
den."
Um 141 Uhr ist alles wieder auf dem Platze. Gegenseitig wird mit-
geteilt, was man beschlossen hat, und von Minute zu Minute zeigt sich,
inan ist sich näher gekommen, man will sich -verständigen, weiter -zusam-
menarbeiten und gemeinsam den Wiederaufbau des armen deutschen Va-
terlandes fortsetzen. Es folge» noch allgemeine Bcmer-kungen- über den
Erundcharakter der Aussprache. Die Beamtenvertreter sehen, daß -der
Haushaltsausschuß -bis zur äußer.,sten Grenze des Ln-tgegenkommen-s
geht. Man denkt gegenseitig und geht auseinander mit dem Bewußt-
sein, die schwierige Frage der Einstufung von mehr als 23 000 Beamten
zu einem einigermaßen befriedigenden Abschluß gebracht zu haben. Es

Die deutschen Unabhängigen vor -cm Moskauer Forum.
Auf dem zweiten Kongreß der Dritten- Internationale trat -der
Italienische Kommunist Serrat! für die Aufnahme der
deutschen „Unabhängigen" ein. Während in Frank-
r e i ch der Boden für eine Revolution -jetzt sich nicht eigne, sei sie
in Deutschland- bereits -eine Tatsache. In Italien stehe die Re-
volution unmittelbar bevor. Italien befinde sich in -einer ernsten
Krise, und die Notlage der Arbeiter und Bauern steige tagtäglich.
Italien- müsse die Entscheidung treffen, wann die Revolution be-
ginnen solle.
Darauf ergriff Leni n das Wort. Er knüpfte an eine Rede
an, die der Führer der deutschen „Unabhängigen", Crifpien,
zuvor gehalten hatte. Diese Rede beleuchte die Lage des rechten
-Flügels der deutschen Unabhängigen. Crifpiens Ansichten über die
Diktatur des Proletariats deckten sich fast vollkommen
mit der Ansicht Koutskys, -der als schärfster Gegner des Bol-
schewismus -den Moskauern besonders verhaßt ist. Als Beispiel
des Opportunismus der Unabhängigen erwähnte Lenin- den langen
Aufschub, der vergangen ist, bevor diese sich von der Scheide-
mann-Gruppe getrennt hätten. Und wie stehe es mit der Anwen-
dung von Terrorismus und Gewalt! Welche Haltung
werke die Partei annehmen, wenn die Diktatur des Proletariats
durchgeführ-t werde, gegenüber den Mördern -von Rosa Luxemburg
und Karl Liebknecht, gegenüber den Offizieren der weißen Garde,
gegen-über dem Preiswucher und -gegenüber Krupp und Stinnes?
Lenin behauptete, die Unabhängige Partei umfass^ gegenrevo-
lutionäre Elemente. Line Politik, die"v o r Gewalt
und Terrorismus z u x ü ck s ch r e ck t, sei nicht existenzfähig.
Eine Diktatur des Proletariats ohne Terrorismus und
ohne Gewalt -gegen die schlimmsten Feinde -der arbeitenden
Klasse sei nicht denkbar. „Ihr sagt, daß Kautsky keinen
Einfluß in Eurer Partei hat," so schließt Lenin, „aber Ihr seid
der lebendige Beweis dafür, -daß er großen Einfluß hat,
und daß dieser Einfluß ein sehr schlimmer für -die Masse ist, weil
er eins bürgerliche Tendenz hat. Wir können n -i ch tmi -tKa u -t s-
ky in einer Internationale zusamm-enwirken und wir
wünschen kein n e u e s.Mitglied in unsere kommunistische In-
ternationale aufzun-ehmen, das sich auf Koutskys Siandpunkt
stellt."
Rcichstagsabgeordneter Levi (Kommunist) protestierte heftig
gegen die Aufnahme der deutschen Unabhängigen in die
kommunistische Internationale. Er führte eine Serie von Doku-
menten' an, die beweisen, da die unabhängige Pä'kt-ei systematisch
die revolutionären Richtlinien verletze und sich
zum Wilsomsmus und pazifistischen Sozialismus führen ließe. Der
Schweizer Droz vertrat den gleichen Standpunkt- hinsichtlich der
Schweizer Sozichdemokralie.
Reichstagsabgeordneter Däumig, der Führer des linken
Flügels der deutschen Unabhängigen, schilderte -die Schwierigkeiten,
mit denen seine Gruppe zu -kämpfen habe. -Sein Gesinnungsgenosse
Stöcker, der auf dem Leipziger Parteitag der Unabhängigen eine
Resolution für -die Unterwerfung unter die Moskauer Diktatur vor-
geschlagen hatte, erklärte, die Entscheidung innerhalb der Unabhän-
gigen Partei werde bald getroffen werden. Im übrigen schilderte
er die -verschiedenartigen Verhältnisse Deutschlands und Rußlands.
Rußland verfüge über Millionen revolutionärer Bauern, während
in Deutschland die Bauern geg-enre-volutionär seien. Eine Ent-
scheidung gegen die Unabhängige Partei wäre nicht am Platze.

Soziale Rundschau.
Die internationale SeemannsZonferenz in
Genua.
Von I. Döring.
Die von der intcrnaiivnalen Organisation der Arbeit
(der einzigen bisker arbeitenden Einrichtung des Bölter-
bmrdes, -an der auch Deutschland als vollberechtigtes Mit-
glied mitrvirkt) nach Genua berufene Seemann-skonserenz
ist nach wochcnlangen Beratungen dieser Tage auseinan-
dergegangeu. Der Verfasser 8er folgenden Zellen, der
zweite Vorsitzende des Deutschen Transpvrlarbeit-ervrr-
vandes, hat ihr alsSachverständiger aus den Kreisen -der
Arbeitnebmer beigewohnt. Wie -wichtig die Stimme Ker
Ärbeitychmer in diesen Fragen ist, hat di« Konferenz von
Spa erst jetzt wieder bewiesen. D. Red.
Der erste Versuch des durch den Versailler Friedens-Vertrag
-geschaffen«»- iisi.ernaftvnsft« Arbeitsamtes, die Ardeits-verhältnisse
einer bestimmten Arheitergruppe auf internationaler Grundlage zu
regeln-, ist, wenn auch nicht mit vollein Erfolge, doch als gelungen
zu bezeichnen. Die Schwierigkeiten, die sich der Lösung des Pro-
blems entgegenstellten, schienen anfänglich unüberwindlich. 27 Staa-
ten hatten Delegierte entsandt, davon zwei als offizielle Vertreter
ihrer Regierungen und daneben je einen Vertreter der Arbeitgeber
und Arbeitnehmer. Es liegt auf -der Han-d, daß -eine derarlig zu-
sammengesetzte Körperschaft sehr schwer zu einer einheitlichen Auf-
fassung z-u bringen ist über Maßnahmen, die fast ausschließlich und
in erster Linie im Interesse der Arbeitnehmer liegen.
Das zeigte sich sofort, als der Kongreß in die. Beratung der
Tagesordnung ein trat. Nach einem auf der internationalen Ar-
beitskonfercnz in Washington gefaßten- Beschluß sollte dieser -Spe-
ist 141 Uhr nachts; um 8 Ukr morgens ist mit -der parlamentarischen
Tätigkeit begonnen worden. Was -ist an diesem -einen Tage nicht alles
aus die Abgeordnete!! ein-gestürm-t. Wie sagte der Fmanzmnstster i« der
7. A-b:ndstün-de: Das ist heute ein harter Tag! Und schch« Tag« stehen
nicht- vereinzelt da. Abec trotzdem haben nach der Meinung vieler
Staatsbürger die Rczierungsteute und die Abgeordneten- jederzeit „das
schönste Leben"!

Das RsichstagZhaudbÄch.
Ein unterhalt- -und -lehrsamss Buch verteilt das Reichstag-sbureau
an -die Abgeordneten bei ihrem Eintritt ins hohe Haus: -das Reichstags-
handbuch. Darin sind die Vvlkserwähltcn abgcbildet und jeder und jede
von ihnen hat darin mit-gcteilt, was er oder sie von sich zu sagen für
wichtig finden — wie -gesagt, ein -unterhalt- und le-hrsames Buch. Es
beweisk-siins z. B., daß -die Rei'chslag-US.P.-Fraktisn nicht nur viel
größer, sondern auch diel radikaler geworden als die der Nationalver-
sammlung. In der Nationalversammlung saßen in der 22 Köpfe starken
U.S.P.--Frakt-ion noch sechs, hie ihrer Kirche angehörien; im neuen Reichs-
tag sitze» unter -den 81 U.S.P.ern nur »sch drei Kirchen-angehörige.
Wurm und Haas«, Oskar Lohn und -Frau Hü'bler sink nicht mehr -unter
ihnen. Die Berliner U.-SP.-Orgamsativn aber -hatte -beschlossen, keinen
als Staölvcrordnetenrar-didaien mehr aufzustellen, -der noch einer Kirche
angehöre. Run sind Eichhorn und Luise Ziel; aus der Kirche
ausgetreten.
Ko en en aber bleibt ihnen trotzdem „über". Er stellt mit. daß er
nicht nur ohne Konfession, solcher» auch „nicht getauft" ist. Dunkle Ideen
über die Wichtigkeit -dieses selbständig erworbenen Vorzugs erfüllen^tns.
Aber vielleicht ist es doch gut, daß Kocnen-Bater kein Jude ist, was
Kocn-en-Sohn dann ins Reichstagshandbuch hineingeschricbcn hätte, wäre
unästhetisch. Immerhin, -die Il.S.P.-Fraktivn ist wieder radikaler ge-
worden.
Adolf Geck Hai ais Einjähriger im 5. Bad.stlnf.-Regt. Nr. 113
gedient und besitzt die Qualifikation zum Reserveoffizier..- K uhn! ist
zur See gefahren, Mittelmeer, Nord- und Südamerika, Afrika, hat vor-
übergehend in- Valparaiso (Chile) gearbeitet, bei der Marine gedient und .
würbe dem Auslan-dsgeschwader zugrteili, tag mit dem Kreuzer „Kaiserin
Augusta" während des türkisch-griechischen Krieges zum -Schutze der Deut-
schen vor der Ins-el Kreta, war bei der Einnahme von Kiauifchou dem
Landdetachement -«geteilt und stand während des spanijä-ameriiauischen
Krieges aus den Philippincuinsclu. Er war im Welirricg vorn ersten
-is zum letzten Kriegsiag cingezogen
 
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