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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 6.1906/​1907

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Schur, Ernst: Die Zulassung der Frauen zur Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.52068#0445

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Die Werkstatt der Kunst

keäaklem: I)eUn>ag. VI. Jakrg. k)ekt 32. 6. Mm 1907.
In ctieseni r^sile unserer LeUsckrift erteilen wir jeäern Künstler äss freie Mort. Mir sorgen äasür, üsss keinerlei
Angriffe auf Personen ocler GenossensckLften sbgeclruckt wsrclen, okns class vorder clsr Angegriffene clis Möglicltkeit gekabt
Kälte, in cternselbsn IZeste zu erwiciern. Vie kieäaktion kält sick vollstänclig unpartsiisÄ» uncl gibt clurck äsn ?Ibclruck keineswegs
— eine Nebereinstirnrnung rnit clen aus cliese Meise vorgetragenen Meinungen zu erkennen. -------

Oie Zulassung cler grauen zur KkacLsmle.

Ab und zu kommen in den Verhandlungen
unserer Parlamente Themata von entscheidender
kultureller Bedeutung zur Sprache und wir spüren,
daß die große Linie der Entwicklung berührt wird.
In der Sitzung vom s6. April war dies der
Lall, als der Abgeordnete Wünsterberg, den mo-
dernen Kunstunterricht behandelnd, sagte:
„Manche Kreise wünschen das weibliche Geschlecht
van diesem Unterricht auszuschließen. Ich würde das für
einen großen Fehler halten. Selbst wenn es richtig wäre,
daß die Frauen in ihrer Mehrzahl nicht so leistungsfähig
sind wie die Männer, so muß ihre Teilnahme am künstlerischen
Leben unseres Volkes doch unter allen Umständen gefördert
werden; denn im Pause ist die Frau in den meisten Fällen
unbestritten die Trägerin des Geschmackes, und es ist für
die Kunst und das Kunsthandwerk wichtig, daß die Frauen
ein Verständnis sür das haben, was natürliche und gesunde
Schönheit bedeutet."
vielleicht ist das niedrige Niveau unserer chaus-
kultur und Wohnkunst eben deshalb eingetreten, weil
der Frau nicht Gelegenheit gegeben war, sich in
gründlicher weise zu unterrichten. Und darum ge-
lang es den Fabrikanten, soviel schlechtes Zeug,
Talmiware, süßlichen Kram in das paus einzusühren,
unter dem Schutz der Frau, deren Geschmack im
Kleinlichen, Anekdotenhaften, Kindlich-Kindischen be-
fangen blieb.
Doch nicht das ist das wichtige. Es ist nur
die Einleitung.
„Damit muß ich — so fährt der Redner fort —
leider zum vierten Male — in diesem Pause die Forderung
wiederholen, daß man der Elite der Frauen, den bestbegabten,
auch zu der höchsten Kunstlehranstalt des Staates, zu der
Akademie der Künste, den Weg öffnen soll, perr Geheimrat
Schmidt hat im vorigen Jahr erwähnt, daß die sämtlichen
Kunstlehranstalten von 700 Frauen besucht waren, während
nur 350 Männer an denselben Schulen unterrichtet wurden.
Ja, meine perren, wenn das der Fall ist, dann kann der
Staat sich um so weniger der Pflicht entziehen, ein gleiches
Recht sür beide Geschlechter walten zu lassen; denn das
wird auch niemand von Ihnen, selbst wenn er diese Be-
strebungen nicht in allen Teilen billigt, sür berechtigt halten,
daß heute ein junges Mädchen sechs- bis siebenmal soviel
auswenden muß wie ein junger Mann, um ganz dieselbe
Bildung zu erwerben, nur mit dem Unterschied, daß es dem
jungen Mann leicht gemacht wird, und daß das junge
Mädchen es schwer hat, sür mehr Geld dieselbe Bildung
zu erlangen."
Und wenn gesagt wird, daß in der Akademie
nicht mehr Plätze seien, so wendet Wünsterberg sehr-
richtig ein, daß auch bei den Wannern eine strenge
Kontrolle aus die Befähigung hin ausgeübt werden
müßte. Dadurch würde auch nur der männlichen

Elite Zutritt gewährt und es wäre Platz geschaffen.
Zugleich wäre ein gutes Stück Mittelmäßigkeit und
künstlerischen Proletariats dadurch von der Akademie
verbannt. Es ist eigentümlich, daß der Wertmaßstab
hier immer nur bei den Frauen angelegt wird,
während es sich in der Tat um ökonomische Be-
dingungen handelt.
-i-
Im vorigen Jahr hatte eine Reihe bekannter
Künstlerinnen eine Petition um Zulassung zur Aka-
demie eingereicht. Wan muß es als einen Fortschritt
ansehen, daß die Frauen lernen, sich zusammenzu-
schließen und selbständig ihre Forderungen zu ver-
treten. Die soziale Lntwicklungssorm des Zusammen-
schlusses von Berufsgruppen zur gemeinsamen Durch-
setzung der Ziele gewinnt auch hier Einfluß. Das
ist bemerkenswert. Gerade in der Kunst ist ein
gemeinsames Vorgehen ost erschwert und die Künstler
selbst lassen es ost an Einigkeit fehlen. Die Künst-
lerinnen geben damit ein gutes Beispiel und zeigen,
daß in ihnen das Bewußtsein sozialer Reise lebendig
ist. Sie fordern sich ihr Recht, begründen es und
wenden sich ohne Vermittlung direkt an die maß-
gebende Stelle — ist das nicht schon ein Beweis
kulturellen Fortschritts?
Von diesen Frauen allerdings ist die Wehrzahl
der Wärmer, in deren pänden die Entscheidung lag,
durch eine kulturelle Entwicklung getrennt, die an
diesen spurlos vorübergegangen zu sein scheint.
Denn über die Berechtigung dieses Verlangens
kann unter Einsichtigen kein Zweifel sein. Der
Gründe, die dafür sprechen, sind so viele, daß ein
Diskutieren überflüssig erscheint, wenigstens für jeden,
der die soziale und kulturelle Entwicklung unserer
Zeit einigermaßen übersieht. Es hieße, bekannte Tat-
sachen wiederholen, wollte man all das noch einmal
anführen, was für die Gleichberechtigung der Frauen
spricht. Zudem — die Entwicklung geht ihren weg
und kümmert sich nicht viel um persönliche Gegen-
gründe und Abneigung des einzelnen. Nur zeit-
weilig wird der weg noch gehemmt. Dann bricht
die Natürlichkeit, die Gesetzmäßigkeit der Entwicklung
zu höheren, differenzierteren Formen wieder durch.
And tatsächlich sieht man ja überall, selbst in sonst
so ängstlich behüteten staatlichen und städtischen In-
stituten den modernen Geist allmählich eindringen,
wenn er auch zuerst nur widerwillig empfangen wird.
 
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