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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 150-228)

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Nr. 171 - Nr. 180 (25. Juli - 5. August)
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Dlmatzeitung mit -rn Beilagen: Mer drm Alltag / Srimatwattt WssmMft und Kunst / Aus der MN -er Frau / Ar Ltstftun-r
PMer Sole Ireltag, 2ü. Zuli 1SZS 70. Zahrgang / Nr. 172

//Abessinien muß unser sein"
Ae heikle Aufgabe des Völkerbundes - Sin italienisches Telegramm und eine abessinische Note

Stürmische
Straßenkundgebnngen
DNB. Rom, 26. Zuli.
Die Massenkundgebungen gegen Abessinien,
d" wie bereits in den letzten Tagen in allen
Teilen Italiens vor sich gingen, haben am Don-
nerstagabend durch große Kundgebungen in
allen Stadtvierteln Roms ihren Höhepunkt er-
reicht. In Dutzenden von Ansprachen wurden die
kolonisatorischen Aufgaben und Fähigkeiten des
faschistischen Italien gefeiert und die schärfsten
^griffe gegen Abessinien und seine „Hinter-
männer" gerichtet. Lebhaftes Zischen und Pfei-
son, mit dem die Menge diese Ausfälle häufig
Unterstrich, wechselten mit stürmischen Huldi-
gungen für Mussolini und seine Politik. Nach
diesen Veranstaltungen bewegten sich fast unab-
sehbare Menschenmassen mit Musik und zahllosen
Plakaten gegen die englisch-japanischen Waffen-
iieferanten, gegen den Völkerbund und vor
allem gegen Abessinien durch die Hauptstraßen
Avins und versammelten sich auf der im Stadt-
iunern gelegenen Piazza Colonna, wo der Par-
teisekretär der Stadt Rom die Schlutzansprache
dielt. Ueber die gesamten Kundgebungen wurde
fortlaufend von Marinetti, Mitglied der Aka-
demie von Italien, im Rundfunk berichtet.
Marinetti schloß seinen Bericht mit dem Ruf:
»Abessinien muß unser sein!"
Zu Beginn des Abends hatte vor der franzö-
sischen Botschaft eine Kundgebung stattgefunden,
dei der der französische Botschafter
Ehambrun auf dem Balkon erschienen war und
die Hochrufe auf Frankreich mit dem Ruf „E s
Italien" erwidert hatte. Andere De-
monstranten zogen mit ihren Plakaten an der
^Wischen Botschaft vorüber, ohne daß es jedoch
Zwischenfällen gekommen wäre.

Rat sich auf einen späteren Zeitpunkt vertagen
werde, nachdem er gegen Ende dieses Monats
von den beiden Parteien die Wiederaufnahme
des am 9. Juli unterbrochenen Versöhnungsver-
suches in Scheveningen erreicht haben werde.
Außerdem werden die Besprechungen zwischen
Paris, London, Rom und Addis Abeba bis zum
Zusammentritt des Rates fortgesetzt werden.
Italienisches Telegramm
an den Völkerbund
Geneigtheit zur Wiederaufnahme des Schieds-
verfahrens
DNB. Eens, 25. Juli.
Die italienische Regierung hat an den Gene-
ralsekretär des Völkerbundes am Donnerstag
folgendes Telegramm gerichtet:
„Da die vom Völkerbundsrat in seiner Ent-
schließung vom 25. Mai 1935 festgesetzte Frist
zum Abschluß der Arbeiten der vier Schiedsrich-
ter über den Zwischenfall von Ual-Ual und die
folgenden Zwischenfälle heute abläuft, beehrt sich
die italienische Regierung, folgendes mitzu-
teilen:
Die italienische Regierung ist stets von dem
Wunsche beseelt gewesen, das Schlichtungs- und
Schiedsverfahren zu einem erfolgreichen Abschluß
zu bringen. Dieses Verfahren ist nur dadurch
unterbrochen worden, daß der Vertreter der
abessinischen Regierung in Scheveningen den
Anspruch erhoben hat, vor der Kommission Fra-
gen zu erörtern, die von dem Schiedsverfahren
ausgeschlossen sind. Demgemäß hat die italie-
nische Regierung bereits am 14. Juli der abessi-
nischen Regierung erklärt, daß sie noch immer
zur Wiederaufnahme der Kommissionsarbeiten
bereit sei, allerdings unter der Bedingung, daß
diese Arbeiten sich in den Grenzen des Schieds-
kompromisses halten.

Italien dementiert
DNB. Rom, 25. Juli.
Die Meldung eines amerikanischen Nachrich-
tenunternehmens, Italien habe seinen Austritt
aus dem Völkerbund beschlossen und werde die-
sen Beschluß noch am Donnerstag durch Staats-
sekretär Suvich den hiesigen Botschaftern mit-
teilen, wurde von autorisierter italienischer Seite
nach Form und Inhalt auf das bestimmteste
dementiert.
Abessinien braucht Geld
Neue Erklärungen des Gesandten Dr. Martin
DNB. London, 25. Juli.
Der abessinische Gesandte in London, Dr.Mar-
tin, äußert sich auch weiterhin mit großer
Offenheit über seine Pläne. In einer Presse-,
Unterredung sagte er, er suche zunächst zwei
Millionen Pfund Sterling und dann womöglich
weitere fünf Millionen Pfund aufzutreiben. Ur-
sprünglich sollte dieses Geld für die wirtschaft-
liche Erschließung Abessiniens verwendet wer-
den, aber der drohende Krieg habe jetzt den
ersten Ansprch darauf. Er hoffe, die britische
Regierung werde Kredite für den Ankauf von
Waffen gewähren. In Abessinien sei eine be-
sondere Kriegssteuer eingeführt worden, die etwa
5 Millionen Pfund einbringen solle. Vor allem
sei Munition für Mausergewehre nötig, und
zwar viel Munition, weil der Krieg vielleicht
lange dauern werde. An Mausergewehren be-
sähen die Abessinier 100 000 bis 200 000 Stück.
Von den Geschützen seien einige neu, andere
hingegen seien 1896 den Italienern bei Adua
abgenommen worden. Hierzu kämen noch eine
Anzahl Maschinengewehre und 5 bis 10 Flug-
zeuge. Ueber die Stärke des Heeres drückte sich
der Gesandte nicht deutlich aus. Er sagte nur,
alle Männer würden ihr Möglichstes tun, und
die Frauen würden sie begleiten und für sie
kochen und waschen.

Hauptthema des
französischen Nttnisterrais
DNB. Paris, 25. Juli.
Eines der wichtigsten Verhaandlungsthemen
heutigen französischen Ministerrats war
Zweifellos der italienisch-abessinische Streitfall,
den Ministerpräsident Laval einen sehr
ausführlichen Bericht erstattet hat. Er ließ kei-
Zweifel darüber, daß die Bedingungen,
Unter denen der Völkerbunds-Rat zusammen-
träte, außerordentlich heikel sind.
Die Regierung hat die bisherige Haltung des
französischen Außenministers in dem Streitfall
^billigt. Sie war von dem Bemühen diktiert,
Freundschaft weder mit Italien noch mit
England in Gefahr zu bringen, außerdem aber
Grundsätzen des Völkerbundes treu zu blei-
rn. Die Kollegen des Außenministers haben
"klärt, daß sie volles Vertrauen in die
u°n Laval in Genf zu treffenden Entscheidungen
haben.
„Es wird betont, daß die Haltung der fran-
^Itschen Regierung auf der bevorstehenden
ugung noch längst nicht festgelegt sei. Laval
"de in Genf an Ort und Stelle handeln je
uuch den Möglichkeiten, die die Verhandlungen
Völkerbundsrates geben würden und in
Urdigung der nebenher laufenden privaten
ifprechungen mit den übrigen Ratsmitglie-
Zur Stunde ist in Paris noch nicht be-
an welchem Tage der Rat zusammentre-
wirb, und man enthält sich jeder Voraus-
0° über den möglichen Verlauf dieser Tagung,
" deren Ergebnis man sich nicht allzu viel
'"Wicht.
Man glaubt in Paris, daß sich aber doch noch
»I „Seiten zu Verhandlungen bieten, und daß
«weicht sogar eine Einigung möglich ist, sei es
nur über die Ernennung des fünften
^^richiers. Unter diesen Umständen sei die

Die italienische Regierung hat am 23. Juli
der königlichen Gesandtschaft in Addis Abeba
neuerdings telegraphisch die Weisung zugehen
lassen, diese Absicht zu bestätigen und die abes-
sinische Regierung in aller Form zu befragen,
ob sie sich an die in dem Schiedskompromiß über-
nommenen Verpflichtungen halten wolle oder
nicht und bejahendenfalls ob sie ihren Vertreter
dahin instruieren wolle, daß er durch Verzicht
auf den vorgebrachten Anspruch der Kommission
die Fortsetzung ihrer Arbeiten ermögliche."
Das Telegramm ist von Unterstaatssekretär
Suvich unterzeichnet. In unterrichteten Genfer
Kreisen ist man der Auffassung, daß das Tele-
gramm der italienischen Regierung keine Aen-
derung der Lage bedeutet.
Abessinische Note
an -en Völkerbund
DNB. Gens, 25. Juli.
Im Völkerbundssekretariat ist am Donnerstag,
wie verlautet, auch eine Note der abessinischen
Regierung eingegangen, die die sofortige
Einberufung des Völkerbundsrats im Wege
des Dringlichkeitsverfahrens bean-
tragt.
Der Generalsekretär des Völkerbundes soll in
einer Unterredung mit dem abessinischen Gesand-
ten in Paris die Beschreitung dieses Weges ab-
gelehnt und an der Einberufung des Rates ge- s
mätz der Entschließung vom 25. Mai festgehalten
haben.
Die praktische Bedeutung dieses Unterschieds
liegt darin, daß im Dringlichkeitsverfahren der
Rat ohne weiteres und insbesondere ohne die
Möglichkeit von Einwendungen der Gegenseite
mit der Eesamtfrage der italienisch-abessinischen
Beziehungen befaßt wäre. Der heute vorliegende
schriftliche abessinische Antrag soll dem General-
sekretär übrigens schon in der vergangenen
Woche in Paris mündlich vorgetragen, von ihm
aber nicht zur Kenntnis genommen worden sei«.

Nun -och keine
englische Waffenausfuhr
Weder nach Italien noch Abessinien
DNB. London, 25. Juli.
Die englische Regierung hat beschlossen, die
Waffenausfuhren nach Italien und nach Abes-
sinien bis auf weiteres zu verbieten.
Diese Mitteilung wurde Donnerstag nachmit-
tag vom englischen Außenminister Sir Samuel
Hoare im englischen Unterhaus gemacht. Auf
eine Anfrage des Oppositionsführers Lansbury
erklärte er folgendes: „Die Durchfuhr von Waf-
fen, die für die abessinische Regierung bestimmt
sind, durch britisches Gebiet oder britisches
Protektionsgebiet, das an Abessinien angrenzt,
wird in Uebereinstimmung mit Art. 9 des Ver-
trages vom 21 .August 1930 gestattet sein. Wie
ich höre, legt die französische Regierung ihre
Verpflichtungen in derselben Weise aus. Was
jedoch die Genehmigung der Waffenausfuhr be-
trifft, so tut die englische Regierung ihr Bestes,
um einen friedlichen Abschluß des unglücklichen
Konflikts zu ermöglichen; sie wünscht daher
nicht, irgend etwas zu tun, was die Lage prä-
judizieren könnte. Sie wird daher bis aus
weiteres keine Genehmigungen für die Waffen-
ausfuhr von England nach Italien oder Abes-
sinien erteilen."
Völkerbun-srak am 31. Zuli
DNB. Paris, 25. Juli.
Vom französischen Außenministerium wird
mitgeteilt, daß der Völkerbundsrat zur Behand-
lung des italienisch-abessinischen Streitfalles aus
den 31. Juli nach Genf einberufen worden ist.
Die Abreise des Ministerpräsidenten Laval ist
noch nicht genau festgelegt. Sie erfolgt entweder
am Montagabend oder Dienstagfrüh.

Der Führer und Reichskanzler hat dem Maler
Professor Ludwig Dettmann in Berlind-Dahlem
zu seinem 70. Geburtstage am 25. Juli 1935 die
Goethemedaill« für Wissenschaft und Kunst ver-

peinliche Lage
des Völkerbundes
Man hat schon oft von einer Krise des Völ-
kerbundes gesprochen, und oft bestand auch tat-
sächlich eine solche, denken wir nur an den Zu-
sammenbruch der Abrüstungskonferenz, an den
mißlungenen Eingriff in den chinesisch-japani-
schen und den Chacostreit. Doch dieses Mal, im
Falle des italienisch-abessinischen Konfliktes,
dürfte die Genfer Einrichtung nicht nur in eine
wenig beneidenswerte, sondern auch gefährlich«
Krise hineingleiten, die sehr leicht ein Abglei-
ten in den Abgrund werden kann.
Wir deutscherseits trauern gewiß dem Genfer
Institut Versailler Geistes mit seiner «inseitig
orientierten zweifelhaften Maschinerie nicht
nach. Fast nur Wochen trennen uns von dem
Tage, an dem unsere Austrittserklärung end-
gültig und rechtskräftig wird. Was uns aber
an der augenblicklichen Krise am meisten inter-
essiert, ist die Tatsache, daß gerade im abessini-
schen Streitfall noch einmal mit aller Deutlich-
keit bewiesen wird, wie richtig unser Urteil über
diesen Völkerbund war. Hinzu kommt natür-
lich unsere Besorgnis, daß aus dem Geschehen
auch für ganz Europa und dessen erst mühsam
in Gang gebrachte Befriedung erneute Beun-
ruhigungen heraufbeschworen werden, wenn
nicht gar allgemeine ernste Verwicklungen.
Sehen wir einmal von einer grundsätzlichen
Bewertung der Frage, welche Mussolini in sei-
nem Gespräch mit dem Sonderberichterstatter des
„Echo de Paris" aufwarf, ab, ob Europa noch
würdig sei, in der Welt die kolonisatorische
Aufgabe zu erfüllen und wenn nicht, ob das
nicht unwiderruflich die Stunde seines Nieder-
ganges nahebringe. Es fragt sich, ob es nicht
in Afrika ändere Gebiete zur Erfüllung dieser
Aufgabe gibt, als gerade Abessinien.
Uns interessiert hier mehr, in welcher Weise
Mussolini den Völkerbund in Zusammenhang
mit den weltpolitischen Ereignissen bringt. Hier
finden wir uns mit ihm darin einig, daß er die
Entscheidung von Völkerschicksalen nicht einer
Abstimmungs- und Zahlenmaschinerie ausgelie-
fert wissen will, in der die Stimme des Negers
und Halbwilden, des wenig oder garnicht zivi-
lisierten Staates über Kulturnationen vielleicht
maßgeblich entscheiden soll.
Peinliche Erinnerungen werden bei dieser
Kennzeichnung der Genfer Methode bei den
Pariser Friedensmachern und Schöpfern des
Völkerbundes wach, wenn sie sich erinnern,
unter welcher Zusammensetzung über deutsches
Land und deutsches Volk brutal und ohne jede
Kenntnis von z. T. exotischen Vertretern in den
Kommissionen entschieden wurde.
Höchst fatal ist auch der Hinweis auf den Völ-
kerbund als Tribunal, fatal aber in diesem
Falle auch für Italien selbst. Wie fragt Musso-
lini? „Sollte der Völkerbund das Gericht sein,
vor das die Neger (wir meinen auch andere da-
zu kaum berechtigte Staaten) ... die großen
Völker schleppen, die die Menschheit aufgewühlt
und umgestaltet haben? — Nun, leider hat aus-
gerechnet Italien die Aufnahme Abessinien und
dessen Gleichstellung mit den anderen Bundes-
mitgliedern eifrig betrieben und gegen den
Willen Englands durchgesetzt. Und gerade Ita-
lien saß mit seinem nunmehr in Acht und Bann
versetzten übrigen Völkerbundsgenossen noch vor
kurzer Zeit über das große deutsche Kulturvolk
zu Gericht!
Aber auch was der Kaiser von Abessinien er-
klärte, ist für den Völkerbund sehr peinlich und
— für dessen Ansehen und Fortbestand gefähr-
lich. Er weist mit aller Klarheit auf Abessiniens
gutes Recht hin und weist jede Vergewaltigung
und offensichtliche Parteilichkeit, die dem Stär-
keren nachgibt, entschieden zurück. Er stellt klar
heraus, daß von Sanktionen aufgrund der Völ-
kerbundssatzungen nur die Rede sein könne bei
Völkern, welche ihren internationalen Verpflich-
tungen nicht nachgekommen wären. Abessinien
werde die ihm von allen Völkerbundsmitglie-
dern garantierte Unversehrtheit und Unabhän-
gigkeit verteidigen. Der abessinische Kaiser ver-
traut also noch mit keinem Volk ans das ord-
 
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