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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 150-228)

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Nr. 181 - Nr. 190 (6. August - 16. August)
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He'MberyerTMsblM


Dilzer Bote

Donnerstag, iS. August lyzs

7». Jahrgang / Ar. iss

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WWMalt und Kunst / Aus der Welt der Frau / Die Lelestunte

Eden der

Oer Oammbruch bei Ovada

Erste Fühlungnahme in Paris

Volkszählung zur Ermittlung der Zahl der Todesopfer?

DNB. Ovada, 14. Aug.

heute tiefer Schlamm. Ueberall steht man ein-

DNB Paris, 15. Aug.
gutunterrichteten Kreisen am späten
Holk Mittwoch verlautet, hat der englische
^^udsminister Eden während seiner Be-
""t beui Ministerpräsidenten Laval
^^"nden die britische Stellungnahme
b^^bergesetzt. In engl-ischen Kreisen wird
auf die Tatsache hingewiesen, dah di«
Regierung in dem italienisch-abessini-
- eitfall als Mitglied des Völkerbundes
Anbetracht der Verantwortung, die sie
Mitglied trage, einzugreifen
^'ge, da England den Völkerbundspakt
^ite / sehen wünsche. Auf französischer
etont man den gemeinsamen Willens der
Rtittwochsbesprechung zwischen Laval
sijj^ zutage getreten sei, unter allen Um-
Krieg zu verhindern. Der
. Ministerpräsident sei mit aller Kraft
i« Wiests Ziel zu erreichen. Man sei sich
vollkommen klar über die etwaigen
Hs jungen, die ein afrikanischer Konflikt
^pa haben könne, und über die mög-
H ^^chütterungen, denen der Völkerbund
solchen Konflikt ausgesetzt wäre.
Donnerstag, vormittags, wird
erste Besprechung mit Baron
.haben und möglicherweise am Näch-
st zweites Mal zu einer Besprechung
Gelegenheit haben.
^H^Minister Eden hatte am Mittwoch-
in der englischen Botschaft eine
mit dem griechischen Gesandten
tzchiH 'b, der voraussichtlich zum fünften
MHz Hter des italienisch - abessinischen
basses ernannt werden wird. Der
a»si> sein« Arbeiten am Freitag wie-
^i^wen. Politis hatte am Mittwoch-
^ii,L 8 ebenfalls eine Unterredung mit
Präsident Laval

DNB. Paris, 14. Aug.
btaatsminister Eden, begleitet von dem bri-
stchen Botschafter in Paris, Sir George Clerk,
8P dem englischen Unterstaatsfekretär Vansit-
rt, begaben sich um 11 Uhr zum Quai d'Orsay,
wister Eden und seine Mitarbeiter wurden
?8iei<h vgn dem französischen Ministerpräsiden-
Und Außenminister Laval empfangen. Die
lprechungen dauerten etwa eine Stunde. Nach
» i^iuh der Unterhaltung gab Laval folgende
rUärung ab: Wir haben gemeinsam eine Vor-
rchrechuug über den abessinisch-italienischen
reitsall gehabt. Am Freitag werde ich eine
dreinsame Besprechung mit Eden und Aloisi
am morgigen Donnerstag werde ich mit
8r italienischen Delegierten znsammenkommen.
das" 8»t unterrichteten Kreisen erfährt man,
die Fühlungnahme zwischen Eden und
i einen allgemeinen Charakter getragen
i. d! immerhin scheint Eden bereits darauf
"gewiesen zu haben, dah als Grundlage der
^houdlungen nicht nur der Vertrag von 1806
^"en habe, sondern auch die im September
§' zwischen Italien und England ausgetausch-
Ii° schreiben. In diesen Schreiben hat Ita-
^ 8 sich eine Vergrößerung seiner Wirtschaft-
ler iLinflußzone in Abessinien anerkennen
lein ' ""hrend England Zusicherungen für
Interessen am Tana-See und am Blauen
Ipr Frankreich hatte seinerzeit auf ent-
Rt Anfrage eine Aufklärung erhalten,
Nj» sich zufrieden gab, während Abessi-
^.8 Segen diese zusätzliche Vereinbarung Pro-
^khob, ohne diesen Protest allerdings weiter
li^vsolgen. Eden beabsichtigt also augenschein-
. h diese italienisch-englischen Vereinbarun-
!stu demselben Maße als Verhandlungs-
n^^vge zu betrachten ist, wie der Vertrag

DNB London, 14. Aug.
„Daily Telegraph" schreibt zur bevorstehen-
den Dreimächtekonferenz, Laval werde nicht im
Zweifel gelassen werden über den entschlossenen
Willen Englands, einen Krieg in Abessinien zu
verhindern. Zu diesem Zweck suche England die
vollste Mitarbeit Frankreichs. Wahrscheinlich
werde Eden es Laval deutlich machen, daß ein
Ausbruch von Feinseligkeiten von der britischen
Regierung als Todesstreich für das Sicherheits-
system des Völkerbundes betrachtet werden
würde, dessen Folge nur sein könnte, daß Eng-
land sich von den europäischen Angelegenheiten
so gut wie völlig zurückziehen würde.

DNB. Paris, 14. Aug.
Der abessinische Gesandte in Paris hat an den
Generalsekretär des Völkerbundes folgendes
Schreiben übersandt:
„Auf Anordnung meiner Regierung bitte ich
Sie, folgenden Appell zur Kenntnis der Mit-
glieder des Völkerbundsrates zu bringen. Trotz
der Wiederaufnahme des Schiedsgerichtsverfah-
rens entsprechend dem Beschluß des Völkerbunds-
rates vom 3. August fährt die königlich-italie-
nische Regierung fort, Truppen und Munition
nach Ostafrika zu entsenden Sie stellt ohne
Pause Waffen und Kriegsinstrumente her in
der feierlich erklärten Absicht, sie gegen das
abessinische Reich zu richten. In Abessinien gibt
es keine öffentliche oder private Waffen- oder
Kriegsmunitionswerkstatt. Die kaiserlich-abes-
sinische Regierung ist heute nicht in der Lage,
sich außerhalb ihrer Grenzen Verteidigungsmit-

DNB. London, 14. Aug.
In einem Brief an die „Times" schreibt Lord
Snowden, die Verschleppungstaktik des Völ-,
kerbundsrates, für die die britische und die!
französische Regierung die Hauptverantwortung
trügen, komme offensichtlich Italien zugute, des-
sen nächstes Ziel es sei, Zeit für die Beendi-
gung seiner Kriegsvorbereitungen zu gewinnen.
Mussolini habe es reichlich klar gemacht, daß er
Abessinien angreifen werde, sobald die klimati-
schen Bedingungen geeignet seien, und habe es
ebenso deutlich gemacht, daß er den Krieg so
lange fortsetzen werde, bis er Abessinien völlig
erobert habe. Keine formelle Kriegserklärung
könne endgültiger sein als die bisherige Hand-
lungsweise Mussolinis. Der Völkerbundsrat
habe diesen Vorbereitungen für einen nicht her-
ausgeforderten Angriff auf ein anderes Völker-
bundsmitglied ohnmächtig zugesehen und keinen
Widerspruch gegen die offenbare Verletzung der
Völkerbundssatzung des Paktes von Paris er-
hoben. Niemand könne auch nur einen Augen-
blick lang glauben, daß die Pariser Unterhal-
tungen und der Schlichtungsausschutz mehr tun
würden, als Zeit zu vergeuden. Mussolini habe
die ausgesprochene Absicht, den Völkerbund her-
auszufordern. „Wird der Völkerbund die Her-
ausforderung annehmen? Wenn er es nicht
tut, dann ist es mit ihm zu Ende."
Lord Snowden schließt: „Die internationalen
Verwicklungen, die entstehen werden, sind zu
furchtbar, um auch nur daran zu denken. Die
farbigen Völker werden von einem Gefühl der

Der Sonderberichterstatter des DNB meldet:
Es ist äußerst schwierig, die genaue Zahl der
Todesopfer festzustellen, die der riesige Damm-
bruch gefordert hat. Die Zahlenangaben schwan-
ken zwischen 200 und 1 000 Opfern. Hauptsäch-
lich dürften Frauen und Kinder in den Fluten
umgekommen sein. Zahlreiche Leichen sind be-
reits geborgen worden.
Die Gegend um Ovada, über die am Diens-
tag nach einem schweren Unwetter die Kata-
strophe hereinbrach, bietet einen trostlosen An-
blick. Durch den Dammbruch ist ein Viertel der
10 000 Einwohner zählenden Stadt Ovada zer-
stört worden, ebenso die Ortschaften Capriet -
t a und Molare. Wo sich gestern die Wasser-
massen Bahn schafften und alles mitrissen, steht

tel zu beschaffen. Ueberall, wo sie solche Ver-
teidigungsmittel zu kaufen sucht, stößt sie auf
Ausfuhrverbote. Liegt darin wirkliche Neutra-
lität, die der Gerechtigkeit entspricht? Wird der
Völkerbundsrat untätig bleiben im Hinblick auf
diese Lage, die ständig ernster wird? Wird er
zulassen, daß dieser ungleiche Kampf zwischen
zwei Mitgliedern des Völkerbundes fortdauert,
von denen das eine Milglied, das sehr mächtig
ist, die Möglichkeit hat, alle Hilfsmittel zur
Vorbereitung eines Angriffes auszunutzen, wäh-
rend das andere, das schwach und friedfertig ist
und die internationalen Verpflichtungen achtet,
keine Möglichkeit hat, die Verteidigung seines
Gebietes und seines bedrohten Bestandes zu
organisieren? Wird der Völkerbundsrat die
Verantwortung vor der Welt übernehmen, die
Vorbereitungen zur Niedermetzelung eines Vol-
kes, das niemand bedroht, ohne einzuschreiten,
zulassen? gez. Tekle Hawariat."

Zusammengehörigkeit ergriffen, und in den
europäischen Kolonialbesitzungen wird es be-
stimmt ernste Unruhen geben. Wenn Mussolini
mit seinem abessinischen Abenteuer Erfolg hat,
wird sein nächstes Unternehmen sein, Oesterreich
zu einer italienischen Provinz zu machen. Die
„jetzige Lage enthält alle Voraussetzungen für
einen neuen Weltkrieg".
* I
DNB Addis Abeba, 14. Aug. >
In Regierungskreisen glaubt man weiterhin
an die Durchführbarkeit des vor einiger Zeit
von englischer Seite gemachten Vorschlages,
Abessinien einen Seehafen und ein Teilgebiet
von Britisch-Somaliland zuzusprechen, um be-
scheidene Wünsche Italiens hinsichtlich der
Erenzfrage befriedigen zu können. Im übrigen
weist man darauf hin, daß die bisher getrof-
fenen Mobilmachungsmaßnahmen nicht zurück-
genommen werden würden, da sie nur einen
defensiven Charakter hätten. Der Kaiser hat
für Donnerstagnachmittag die gesamte aus-
ländische Presse zum Tee geladen. Man er-
warte, daß der Kaiser hierbei eine Ansprache
halten wird.

Nach einer Unterredung, die Ministerpräsident
Laval am Dienstag mit dem Fin-anzminister
und den Direktoren der großen französischen
Banken, u. a. auch dem Gouverneur der Bank
von Frankreich hatte, hat der Gouverneur der
Bank von Frankreich eine längere Erklärung ab-
gegeben, die darauf abgestellt ist. die mißtrau-
ischen Geldhamsterer zur Anlegung ihrer zu-
rückgehaltenen Kapitalien zu bewegen.

gestürzte Häuser. Möbel und sonstige Einrich-
tungsgegenstände liegen umher, dazwischen Lei-
chen von Menschen und Tieren. Der Wasserdruck
war gewaltig, da der O r b i c e l l a - S e e, des-
sen plötzliches Ansteigen den Dammbruch ver-
! ursachte, weit höher liegt als die Ortschaften.
Mit ungeheurer Kraft flutete das Wasser in das
- tieferliegende Gebiet. Der Dammwärter be-
merkte das Unglück gegen 13.30 Uhr. Es war
jedoch zu spät, der Flut Einhalt zu gebieten.
Obwohl verschiedene Schleusen geöffnet wur-
den, brach der Damm in etwa 200 Meter Länge
ein. Das Stauwerk hatte an dieser Stelle eine
Höhe von etwa 40 Metern.
In Ovada wurden 130 Häuser völlig
zerstört. In Laprietta und Molare blieb
kaum ein Stein auf dem anderen.
In dem Unglücksgebiet herrscht tiefste Nieder-
geschlagenheit und unbeschreibliche Verzweif-
lung. Ueberall sieht man Menschen, die nach
vermißten Angehörigen suchen. Die Bergungs-
und Rettungsarbeiten, die die ganze Nacht hin-
durch fortgesetzt wurden, gestalteten sich äußerst
schwierig. Gleich nach dem Unglück war es fast
völlig unmöglich, Hilfe zu leisten, da andauernd
Wolkenbrüche niedergingen. Die Wassermassen
haben sich bis weit in die Ebene hinein ergossen
und drangen bis zu dem 35 Meilen entfernten
Alessandria vor. Viele Menschen, die sich
während des Unwetters in die Häuser geflüchtet
hatten, wurden von den ein stürzend en
Mauern erschlagen. Zahlreiche andere
überraschte die Flut auf den Feldern und riß
sie fort. Schlamm und Wasser machen es
äußerst schwierig, die Trümmer der Häuser nach
den Opfern zu durchsuchen.
DNB. Rom, 14. Aug.
Aus Ovada treffen die ersten Augenzeu-
gen berichte ein. In dem Städtchen sind
durch die Dammbruchkatastrophe etwa 100 Häu-
se des tiefergelegenen Teiles zerstört worden.
Ein junger Mann, der sich im Augenblick des
Heranstürmens der Wassermassen gerade aus
dem höchstgelegenen Platz der Stadt befand, von
dem auch ein guter Ueberblick möglich ist, er-
zählte, daß die Häuser von den Sturmwellen
der Fluten wie leichtes Stroh weggetragen
wurden
Der überwiegende Teil der Bevölkerung der
bedrohten Stadtteile, etwa 1000 Personen, ver-
sammelte sich auf diesem Platz, wo er die Nacht
verbrachte. Mittwoch früh gegen 7 Uhr setzte
ein neuer Regen ein. Plötzlich verbreitete sich,
wie ein Augenzeuge berichtet, das Gerücht, auch
der zweite, höhergelegene Staudamm sei gebro-
chen und neue Wassermassen seien im Ansteigen.
Eine furchtbare Panik trieb die Menschen auf
die umliegenden Hügel, von wo sie nur nach
Beruhigung durch die eingetroffenen Carabi-
nieri und Faschistenabteilungen zurückgebracht
werden konnten.
Gegenwärtig bestehr keine Gefahr mehr, da
die gestauten Wassermassen abgeflossen sind. In
der Umgebung von Ovada steht das Wasser nur
noch teilweise auf den Feldern, sodaß man jetzt
einen Ueberblick über die Zerstörungen hat. Wo
das Wasser hindrang, ist nichts stehen geblieben.
Haustiere, Großvieh, Kraftwagen, Räder, Bet-
ten und Möbel liegen weithin zerstreut umher.
Die aufgefundenen Leichen sind bereits fortge-
schafft. Die Aufräumungsarbeiten in den Trüm-
mern der Häuser werden aber noch lange
dauern. Man glaubt nicht, daß vor Ablauf einer
Woche eine genauere Angabe über die Zahl der
Toten möglich sein wird. Daß die Schäden viele
Millionen betragen, steht jetzt schon fest.
*
Von der furchtbaren Dammbruchkatastrophe in
Lingurien werden jetzt Einzelheiten bekannt.
Sie spielte sich — wie gemeldet — im Tale des
Flusses Orba ab, der aus den Ligurischen Al-
pen nach Norden fließt und in der Nähe von
Ovada zum Zwecke der Kraftgewinnung zu
einem See gestaut wird, der etwa 5 km Länge
hat. Normalerweise betragen die gestauten
Wassermassen etwa 5 Millionen Kubikmeter.
Durch die furchtbaren Regenfälle in der Nacht
zum Dienstag und am Dienstagvormittag hat-
ten sich jedoch die Wassermassen auf 15—20 Mil-
lionen Kubikmeter gesteigert, sodaß schließlich
der Staudamm durchbrochen wurde und das
Wasser unter furchtbarem Getöse sich in das
untere Tal ergoß. Gegen Abend bildeten die

„Dauert der ungleiche Kamps fort?"
Aeuer Protest Abeffiniens an den Völkerbund


Ernste Warnungen Lord Snowdens
Die jetzige Lage enthält alle Voraussetzungen für einen neuen Weltkrieg'
 
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