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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 150-228)

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Nr. 171 - Nr. 180 (25. Juli - 5. August)
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Wissenschaft und Kunst / Aus der Mit der Frau / Dir Lrsrstundr

Wzer Sole

Mntag, 29. Jul!1935

7». Jahrgang / Ar. 17

FriedenSstimM aus Frankreich
Gedenkfeier auf dem deutschen Soldatensriedhof von Baissßny

DNB Paris, 27. Juli
Die 58 Angehörigen des Charlottenburger
Jungvolks, die zunz Abschluß eines dreiwöchi-
gen Aufenthalts in Frankreich die Schlachtfel-
des Weltkrieges besuchten, fuhren Sonn-
"bendfrüh als Gäste des französischen Front-
^wpferverbandes Union Föderale von St.
Quentin nach den großen deutschen Sammel-
isiedhöfen von MaissSny, wo 15 606 deutsche
stlieger in Einzelgräbern und weitere 15 000
einem Massengrab ruhen. Der Vorsitzende
"erUnionFödörale, Henry Pichot, hielt
herzliche Ansprache.
»Der Mann, so führte er u. a. aus, der von
ahnen steht und Sie an dieser geweihten
stelle willkommen heißt, ist ein ehemaliger
Nanzösischer Soldat. Offen und herzlich will er
Ihnen sprechen. 52 Monate lang sind Ihre
Väter und wir uns feindlich gegenübergestan-
bn, erbarmungslos haben wir gegeneinander
KEmpft; jeder von uns hat seine Pflicht ge-
aber auf beiden Seiten hat man auch die
Wirklichkeit des Krieges erkannt. Wenn wir
. " Krieg verabscheuen, so deswegen, weil wir
'hr gründlich kennengelernt haben. Hüben wie
rüben haben wir Zeugnis abgelegt von unse-
^r Not, unserer Opferwilligkeit, von unserer
Bereitwilligkeit, alle Mühen des Krieges
pslichtgetreu auf uns zu nehmen.
Die Toten, die in diesen gewaltigen Fried-
, Häfen ruhen, sie rufen uns, den Ueberlebenden
ihren Söhnen zu: Verständigt euch end-
"4 untereinander; die Völker, wie die einzel-
Menschen innerhalb der Nationen haben
Recht auf das Leben. Fallt nicht noch ein-
bfal übereinander her. Sucht einträchtig mit-
wander, was recht und billig ist; sorgt dafür,
W jedermann, jede Familie, jede Nation in
^rcherheit sich des Lebens erfreue. Die schönsten
fruchtbarsten Eigenschaften des Menschen
"Uinren im Frieden und nur im Frieden zur
kitte. Im Krieg lähmt der Mensch den nor-
malen Ablauf der Dinge.

Der wirkliche menschliche Heldenmut besteht
darin, hocherhobenen Hauptes und mit gutem
Gewissen das Leben zu gestalten, das uns nicht
geschenkt ist, um es wegzuwerfen oder mit blu-
tiger Gewalt dem Nebenmenschen zu rauben.
Wir, Franzosen und Deutsche, wir haben uns
geschlagen; nun ist es endlich an der Zeit, offen
und ehrlich und guten Willens zu gegenseitiger
Verständigung zu gelangen, zu einer Zusam-
menarbeit, die nicht nur erstrebenswert, son-
dern auch durchaus möglich ist, zu einer Zu-
sammenarbeit, die zwischen beiden Nationen
jene Stimmung schaffen wird, die sie zum Le-
ben brauchen und die das blutige Gespenst frü-
herer Feindseligkeiten und Kämpfe verscheuchen
wird." Die französischen Frontkämpfer legten
auf dem deutschen Massengrab ein Blumenge-
binden nieder. Die deutschen Jungen hatten
von den umliegenden Aeckern schlichte Sträuße
aus Feldblumen und Kornähren gebracht, die
sie in der Gedenkhalle niederlegten. Gedämpft
klang über die Erabfelder das Lied vom guten
Kameraden, das am Freitag auch auf dem
französischen Soldatenfriedhof gesungen worden
war.
Die Fahrt ging dann weiter nach Reims, wo
nach Besichtigung der Kathedrale und der Stadt
in der Nähe der ehemaligen Kampfstätten für
drei Tage ein Zeltlager aufgeschlagen wurde.
Die jungen Gäste aus Deutschland, die auf
die Bevölkerung sichtlich einen ausgezeichneten
Eindruck machen, waren am Freitag abend von
Vertretern der Stadt St. Quentin und der
französischen Frontkämpfer zu einem Beisam-
mensein eingeladen. Auf besonderen Wunsch
der französischen Gastgeber wurden zahlreiche
Lieder des neuen Deutschlands gesungen. Ein
feierlicher Appell, bei dem ein Siegheil auf
den Führer und den französischen Staatspräsi-
denten ausgebracht und die deutschen National-
hymnen gesungen wurden, beschloß den ein-
drucksvollen Abend.

Ratstagung am Lst. Juli

Tagesordnung: Abessinien
DNB Genf, 27. Juli
D«z Völkerbundssekretariat ver-
lsentlich am Sonnabend folgende Mitteilung:
. Der amtierende Ratspräsident hat auf Grund
W Antworten auf sein gestriges Telegramm
n die Ratsmitglieder die Eröffnung der au-
zW^entlichen Ratstagung auf, Mittwoch, den
Juli, 5 Uhr nachmittags festesetzt.
Auf heutige Telegramm Mussolinis hat
w Generalsekretär des Völkerbundes folgende
^twort erteilt:
^ch beehre mich, den Empfang Ihres heuti-
»r ..Gramms zu bestätigen, daß ich tele-
den anderen Ratsmitgliedern und der
WW'ichen Regierung mitgeteilt habe. Ich
»o außerdem in dem Schriftstück über die
lag Tagesordnung des Rates abdrucken
u»n"n sollte ich andererseits eine Mitteilung
viird * ubessinischen Regierung erhalten, so
? 'ch sie Ihnen umgehend übermitteln."
kntb'n ^ichzeitig veröffentlichte Tagesordnung
Abe!?'^ "lb einzigen Punkt: Streit zwischen
nnch"ien und Italien; Beschwerde der abessi-
Wom Regierung. Als Material sind ihr im
ktbu ^gefügt die Entschließung des Wi-
en rates vom 25. Mai, das Telegramm
d«rö// ^atsmitglieder vom 26. Juli, die heute
Sl c?ntlichte endgültige Einberufung auf den
Uis „ ' und das heutige Telegramm Mussoli-
" k»en Generalsekretär des Völkerbundes.

Italiens Antwort
DNB Rom, 27. Juli
Die Antwort, die die italienische Regierung
am Sonnabend vormittag zur Einberufung der
außerordentlichen Ratssitzung an den General-
sekretär des Völkerbundes gerichtet hat, lautet
in wörtlicher Uebersetzung wie folgt:
„Mit Telegramm vom 25. ds. Mts. hat sich
die italienische Regierung die Ehre gegeben,
den Generalsekretär des Völkerbundes davon
zu unterrichten, daß sie unterm 14. und 23. Juli
zwei Mitteilungen an die abessinische Regie-
rung gerichtet hat:
1. ) um die Absicht Italiens zur Wiederauf-
nahme der Arbeiten des Schlichtungs- und
Schiedsausschusses, betreffend den Zwischenfall
von Ual-Ual und die ihm folgenden Zwischen-
fälle zu bestätigen unter der selbstverständlichen
Voraussetzung, daß diese Arbeiten in Grenzen
des zwischen den beiden Parteien abgeschlosse-
nen Kompromisse bleiben.
2. ) um in aller Form anzufragen, ob die
abessinische Regierung gewillt sei, sich an die in
diesem Kompromiß übernommenen Verpflich-
tungen zu halten und daher ihrem Vertreter
entsprechend Weisung zu geben.
Sobald die Absichten der abessinische Regie-
rung amtlich bekannt wären, hätte die italieni-
sche Regierung keine Schwierigkeiten, an der
Tagung des Völkerbundes zu dem Zeitpunkt
teilzunehmen, den der Vorsitzende werde fest-
setzen wollen, wobei sie der Ansicht sei, daß beim
gegenwärtigen Stand der Dinge diese Tagung

keinen anderen Punkt zum Gegenstand haben
könne, als den der Prüfung der geeignetsten
Mittel, die dem Schlichtungs- und Schiedsaus-
schuß die nützliche Wiederaufnahme seiner Ar-
beiten ermöglichen könne. Sollte dem nicht so
sein, so behält sich die italienische Regierung
vor, ihre diesbezüglichen Bemerkungen zur
Kenntnis zu bringen."
Sie abessinische Antwort
DNB Genf, 28. Juli
Beim Generalsekretär des Völkerbundes ist
folgendes Telegramm Les abessinischen Außen-
ministers eingegangen:
„In Beantwortung Ihres Telegramms vom
27. Juli bestätigt die kaiserlich-abessinische Re-
gierung den Antrag Ihrer Vertreter auf Aufe
legung des Schlichtungs- und Schiedsgerichts-
auftrags. Die abessinische Regierung bestreitet,
jemals einer Beschränkung der Zuständlichkeit
der Schiedsrichter zugestimmt zu haben. In der
abessinischen Note vom 17. Juli, die auf die
italienische Note vom 14. Juli antwortet, ist
bereits erklärt worden, daß es Sache des Völ-
kerbundsrates ist, über die einander gegen-
überstehenden Auffassungen der beiden Schieds-
richtergruppen zu befinden. In Erwiderung auf
die italienische Note vom 23. Juli, worin Be-
schränkungen des Antrages der Schiedsrichter
verlangt werden, hält die kaiserlich-abessinische
Regierung vollinhaltlich die Beweisführung!
ihres Vertreters aufrecht, die durch die beiden!
Entscheidungen der von ihr in der Kommission!
bezeichneten neutralen Rechtssachverständigen
übernommen worden ist."

Ser Aegus prophezeit Italien
ungünstigen Kriegsavsgang
DNB. Paris, 28. Juli.
Großen Widerhall finden gerade im Hinblick
auf die bevorstehende Ratstagung Erklärungen,
die der Negus einem Sonderberichterstatter
des „Paris Soir" abgegeben hat. Der
Negus tritt hierbei den italienischen Ansprü-
chen auf Kolonisierung und Zivilisierung eines
rückständigen Landes mit der Forderung ent-
gegen, daß keine ausländische Macht brutal in
die Entwicklung der abessinischen Zivilisation
eingreifen dürfe. „Unsere alte Zivilisation
kann ohne Gefahr für gewisse Länder nicht bru-
tal umgewandelt werden. Die für Europa not-
wendige Lebensart könne Abessinien zum Ver-
hängnis werden. Wir brauchen eine langsame
Entwicklung. Sie hat seit mehreren Jahren
eingesetzt. Zahlreiche Experimente sind noch
notwendig, um sie zu einem günstigen Abschluß
zu bringen. Auf keinen Fall aber werde ich das
brutale Eingreifen einer ausländischen Macht
zur Beschleunigung dieser Entwicklung zulassen.
Das würde eine Verletzung der Würde der
Nation sein."
Der Negus ist überzeugt, daß ein Krieg f ü r
Italien ungünstig ausgehen würde. Er
behauptet, daß bereits jetzt das italienische
Expeditionskorps starke Ausfälle infolge von
Krankheiten zu verzeichnen habe und daß Ita-
lien diese Lücken durch Anwerbung von Einge-
borenen aus Somali und Eritrea auszufüllen
suche, deren loyales Verhalten aber zweifelhaft
sein dürfte, sobald es sich für sie darum han-
dele, gegen Brüder der gleichen Rasse zu
kämpfen.

OffenherziBii der Komintern
Die Sowjetunion als Grundlage und Bollwerk der Weltrevolution

DNB. Moskau, 28. Juli.
Mit besonderer Zweckbestimmung veröffent-
licht die sowjetamtliche Telegrphen-
agentur am Sonntag den eigentlichen Be-
richt des „deutschen" Kommunistenführers Pieck
über die Tätigkeit des kommunistischen Voll-
zugsausschusses auf dem Komintern-Kongreß am
Freitag. Die Veröffentlichung ist durch das
offenherzige Eingehen auf die weltrevolutionäre
Tätigkeit der Komintern und durch das Heraus-
stellen der Ziele für die nächste Zukunft für den
inneren kommunistischen Gebrauch bestimmt.
Nach einem Hinweis darauf, daß das Verhalten
der „Brüder um Marx", der Sozialdemo-
kraten, an den Mißerfolgen der Streiks und
Aufstandsversuche in Amerika, England, Hol-
land, Südamerika und anderen Ländern schuld
sei, stellt Pieck mit Bedauern fest, bei allen die-
sen Bewegungen sei es leider noch nicht gelun-
gen, organisatorisch die ganzen Massen zu er-
fassen und die Einheitsfront aller Werktätigen
unter kommunistischer Führung herzustellen. In
vielen Ländern mache sich auch die „Zurück-
gebliebenheit" der kommunistischen Füh-
rer hemmend bemerkbar, in anderen herrsche ein
ständiges Kommen und Gehen in den Partei-
kreisen. Schließlich ließen sich die verschiedenen
Richtungen in den zahlreichen kommunistischen
Parteien des Auslandes nicht leicht unter einen
Hut bringen.
Pieck ging dann auf die Niederlage des
deutschen Kommunismus ein. Hier
sprach er in eigener Sache. Wie er die Angele-
genheit behandelte, ist bezeichnend für diese
„Führer", die von der sicheren Moskauer Per-
spektive aus die irregeleiteten und verführten
deutschen Arbeiter jetzt auch noch rüffelt, weil
sie sich haben „von dem Nationalsozialismus
übertölpeln lassen". Und heute gibt Pieck auch
das Rezept, wie die — nach seinen eigenen
Worten — eingetretene Vernichtung der deut-
schen Kommunisten hätte verhindert werden
können: Rot-Front hätte sich mit dem Reichs-
banner vereinigen sollen. Denn „die Kommuni-
sten allein sind leider zu schwach gewesen, um
die Katastrophe zu verhindern."
Trotz dieser Schwäche der Kommunisten in
Deutschland glaubt aber Pieck, seinem Herrn
und Meister Stalin versichern zu können, daß

auch in Deutschland der Wille zur Weltrevolu-
tion lebe (!?). Mit dem gleichen Wehklagen
teilte er mit, daß auch z. V. in der Tschecho-
slowakei den Kommunisten bitteres Leid zuge-
fügt werde. Die tschechische Bourgeoisie habe die
„faschistische" Partei Konrad Henleins großge-
züchtet und stecke die Kommunisten ins Gefäng-
nis — anstatt es umgekehrt zu machen. Von 67
kommunistischen Parteien in der Welt seien
heute nur 22 legal oder halblegal — während
man in den anderen Ländern also die staats-
zerstörende Tätigkeit der Kommunisten recht-
zeitig erkannt hat.
Jedoch — und hier kommt in dem Rechen-
schaftsbericht Piecks die „tröstliche" Note, die der
Leitstern seiner ganzen Rede ist — „die Sowjet-
union, wo inzwischen die Erfüllung des Fünf-
jahresplanes fortschreitet, ist die Grundlage und
das Bollwerk der Weltrevolution. Sie stärkt die
Proletarier in der ganzen Welt in ihrem
Kampf für die Bildung von Räteregierungen",
so daß Pieck überall die „Tendenz des schnellen
Heranreifens der revolutionären Krise" fest-
stellen zu können glaubt.
Der beste Beweis ist für Pieck Frankreich.
Die Praxis der französischen Kommunisten habe
aller Welt gezeigt, wie der Bolschewismus
kämpfen und siegen könne, und die Einheitsfront
in Frankreich sei einer der größten Erfolge der
weltrevolutionären Idee. Es klingt als offene
Drohung an die Regierung Laval (mit der die
Sowjetunion bekanntlich einen Freundschafts-
vertrag abgeschlossen hat), wenn Pieck sagt:
„Die Lage in Frankreich hat sich so zugespitzt,
daß von der weiteren Aktivität der Massen
jetzt das Schicksal der dritten Republik abhängt."
Im letzten Teil seiner Rede ging Pieck auf
die Schlußfolgerungen ein, die sich für die Ko-
mintern aus der gegenwärtigen Weltlage erge-
ben. Die größte Bedeutung habe heute eine
gute und zugkräftige Propaganda der angeb-
lichen Erfolge der Sowjetunion sowie die Pro-
paganda eines besonders konkreten Aktions-
programms in jedem einzelnen kapitalistischen
Land. Dies müsse darauf abgestellt sein, daß die
Bildung von Sowjets das einzige Heilmittel
sei. Die Diktatur des Proletariats nach dem
Muster der Sowjetunion müsse überall als die
ideale Lösung hingestellt werden.
 
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