Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 150-228)

DOI Heft:
Nr. 150 - Nr. 160 (1. Juli - 12. Juli)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43255#0085
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
HeMberserVMsblatt

W

B»»«g«preis: Durch Botenzustellumg u. Post monatl. 2.00 bei der Geschäftsstelle
achgchott 1.8t> Einzelnr. 10 e^/. Erscheint wöchentl. S mal. Ist die Zeitung am Er-
Icheinen verhindert, besteht kein Anrecht auf Entschädigung. Anzeigenpreis: Die Ispalt.
MMmeterzeile (46 mm br.) 7 Textteil: Die 70 mm br. Millimeterzeile 25 eA-. Bei
Konkurs u. Zwangsvergleich erlischt jet>. Anspruch auf Nachlaß. Gerichtsst.: Heidelberg.
Leimatzeitung mit den Anlagen: Aber dem Alltag / Knmatwattr


Schriftleitung und Geschäftsstelle: Heidelberg, Bergh. Str. 50/61, Tel. 7151. Geschäfts,
stunden: 7.30 bis 18 Uhr, Sprechstunden der Redaktion: 11.30 bis 12.30 Uhr. Anzeigen-
schluß: 9 Uhr, Samstag 8.30 Uhr vormittags. Für fernmündlich übermittelte Auf-
träge wird keine Gewähr übernommen. Postscheck-Konto Karlsruhe Nr. 810S.
Unverlangte Beiträge ohne Rückporto werden nicht zurückgesandt.
WiMnMaft und Kunst / Aus der Mit der Frau / Re Lesestunde

Pfälzer Sole

Mittwoch, W. Juli1SZS

70. Jahrgang / Ar. 15«

Das deutsche Ilottenbauprogramm
Die Meinung der englischen und französischen presse

„Überraschungen" in London
DNB. London, 9. Juli.
Da» deutsche Flottenbauprogramm für 1935
bildet die Hauptmeldung in der Londoner Mor-
genpresse. „News CHronie le" spricht von
einer „Sensation" und findet, daß der ge-
heime Bau von Kriegsschiffen dem
Versailler Vertrag widerspreche.
Dieser Punkt wird auch vom „Daily Herald"
hervorgehoben. Der diplomatische Korrespondent
des Arbeiterblattes sagt, die britische Admirali-
tät und die britische Regierung habe gewußt,
daß ein solches Programm beschlossen worden
war, wenn auch die Einzelheiten unbekannt ge-
wesen seien. Sie seien dadurch zu der Ueberzeu-
gung gebracht worden, daß es notwendig sei,
sofort eine Vereinbarung zu erreichen, die den
Umfang der neuen deutschen Flotte begrenzen
würde.
Für den „Daily Telegraph" enthält das
Programm „viele Ueberraschungen". Diese be-
ständen, wie der Marinemitarbeiter ausführt, in
den großen Zerstörern und der „beträchtlichen
Anzahl" von U-Vooten. Statt der 12 deutschen
U-Boote von 250 Tonnen, deren Bau im April
bekanntgegeben wurde, werde jetzt mitgeteilt,
daß 20 Boote dieser Tonnage in Bau seien und
daß weitere 8 Boote von 500 bis 750 Tonnen
geplant seien. Der Marinemitarbeiter des
-Daily Expreß" bemerkt, die britischen Be-

hörden hätten schon seit langem geargrvohnt,
daß die beiden dieses Jahr im Bau befindlichen
Schlachtschiffe tatsächlich 26000-Tonnen-Fahr-
zeuge seien. Das U-Boot-Programm mache auf
den ersten Blick einen sehr verblüffenden Ein-
druck, aber es umfasse insgesamt nur 9500
Tonnen, verglichen mit den 70—90 000 To. der
großen Kriegsflotten der Welt.
„Völlig neue Lage" in Paris
DNB. Paris, 9. Juli.
Das deutsche Flottenbauprogramm für 1935
wird, dem „Echo de Paris" zufolge, in Pa-
ris als „Lbermäßi g" bezeichnet. Alles weise
darauf hin, daß unter diesen Umständen die
französische Regierung keine Sachverstän-
digen nach London entsenden werde, um
über das Flottenbauprogramm zu verhandeln.
Die Wirtschaftszeitschrift „Agence Econo-
mique et Financier e" behauptet, daß das
deutsche Flottenbauprogramm gegen Frank-
reich gerichtet sei. Die deutschen Bauten und
deren schnelles Zeitmaß stellten die französische
Admiralität vor eine völlig neue Lage,
wodurch eine Revision und Erweiterung des
französischen Flottenbauprogramms notwendig
werden könnte. Im „Capital" kommt Rens
la Bruyere, Mitglied der Marineakademie, zu
der gleichen Schlußfolgerung. Frankreich, erklärt
er, müsse die strategische Unterlegenheit gegen-

über der deutschen Flotte ausgleichen, die da-
durch entstehe, daß Frankreich zwei Meere zu
verteidigen, ein Kolonialreich zu schützen und
ein überseeisches Heer zu mobilisieren habe.
Der „Temps", der sich besonders durch unge-
reimte und willkürliche Behauptungen auszeich-
net, hält jetzt den Beweis für erbracht, daß
Deutschland längst vor dem Abschluß des deutsch-
englischen Flottenabkommens auch zur See aus-
gerüstet und somit eine offenkundige Verletzung
seiner internationalen Verpflichtungen begangen
habe. Die Prüfung des deutschen Flottenbau-
programms ergebe, daß es auf die Beherrschung
der Nordsee abziele und vor allem als Gegen-
gewicht gegen die Entwicklung der französischen
Kriegsmarine aufgestellt sei.
Der Marinesachverständige des „Journal
des Debats" zieht aus englischen Pressebe-
trachtungen den Schluß, daß das deutsch-englische
Flottenabkommen „unmoralisch" sei (!),
weil man zugebe, daß man eine Tatsache hinge-
nommen habe, die man nicht verhindern konnte.
Frankreich werde gezwungen sein, den Bau von
10 OOO-Tonnen-Panzerkreuzern und vor allem
von U-Booten wieder aufzunehmen. Zweifellos
wolle die englische Admiralität durch die Dro-
hung der deutschen Unterseebootslotte Frankreich
zur Abschaffung dieser Waffe bewegen. Aber
mehr denn je werde Frankreich unerschütterlich
an dem 'Beschluß festhalten müssen, seine Ueber-
legenheit an Unterseebooten zu bewahren.

Verschärfung des ostafrikanischen Konfiikis
Sie Schlichlungsausschuß-Verhandlungen abgebrochen / Seunruhigung in der englischen Presse

Was wird Mussolini tun!
DNB. London, 9. Juli.
Der Generalsekretär des Völker-
bundes Avenol suchte am Dienstag Sir
Samuel Hoare, sowie den Völkerbundsmini-
ster Eden auf. Die Besprechungen beschäftig-
ten sich nach einer an die Presse ausgegebenen
Mitteilung „mit dem kritischen Zustand der An-
gelegenheiten des Völkerbundes, insbesondere in
Bezug auf den Streit zwischen Italien und
Abessinien."
Nach der amtlichen Mitteilung ukür-
den die Fragen besprochen, die in der „demnäch-
stigen" Völkerbundsratssitzung behandelt wer-
ben. Hieraus wird zum Teil geschlossen, daß eine
Sondersitzung des Völkerbundsrates bald statt-
finden soll, nachdem der Versöhnungsausschuß
keinen Erfolg gehabt hat.
Die englische Abendpresse veröffentlicht groß
ausgemachte Meldungen, in denen hervorgchoben
wird, welches Aufsehen der Zusammenbruch der
Schiedsverhandlungen in Scheveningen erregt
hat. So meldet der „Star" unter der fettge-
bruckten Ueberschrift: „Mussolini schlägt
vielleicht sofort los": In gut unterrich-
keteu Kreisen befürchte man, daß Mussolini
möglicherweise die Gelegenheit des Zusammen-
bruches der Konferenz benutzen werde, um sofort
gegen Abessinien zu marschieren.
EveningStandard" bringt die Ueber-
ichrift: „Der Zusammenbruch ist vielleicht
bas Kriegssignal" und meldet, Abessi-
nien werde wahrscheinlich eine sofortige Einbe-
rufung des Völkerbundsrates verlangen. Ein
abessinischer Beamter habe erklärt: „Wir erwar-
ten den A n g r i ff I t a l i e n s jeden Augen-
blick."
Einer Reutermeldung aus Rom zufolge
besteht in gewissen italienischen Kreisen der
Munsch, die Operationen noch vor dem 25. Aug.
5u beginnen, d. h. bevor der italienisch-abessi-
uische Streit vor den Völkerbund kommt, so daß
b«r Völkerbund vor eine vollendete Tatsache ge-
stellt würde. Jedoch seien zwei weitere Armee-
""bonen und zwei Divisionen von Schwarz-

hemden noch nicht nach Abessinien in Marsch ge-
setzt worden, und es sei unwahrscheinlich, daß
Italien den Feldzug gegen das annähernd eine
Million Mann starke abessinische Heer eröffnen
werde, ohne mindestens 250 000 Mann in seinen
Kolonien zu haben. Voraussichtlich werde Ita-
lien mindestens bis Ende August warten, falls
es nicht durch eine drohende Stellungnahme des
Völkerbundes schon vorher zum Vorgehen ge-
zwungen werde.
Aus unbestimmte Zett vertagt?
> DNB. Haag, 9. Juli.
Der italienisch-abessinische Schlichtungsaus-
schutz hat beschlossen, seine Beratungen aufunr
bestimmteZeitzu vertagen. In diesem Bee
schluß kann eine Bestätigung der bereits gemel-
deten Erwartung erblickt werden, daß der Aus-
schuß das letzte Wort über die Fortführung der
Verhandlungen oder ihren endgültigen Abbruch
den beiden beteiligten Regierun-
gen überlassen will.
Amtlicher italienischer Kommentar
DNB. Rom, 10. Juli.
Zu der Unterbrechung der Beratungen des
italienisch-abessinischen Schlichtungsausschusses in
Scheveningen wird von der Agenzia Ste-
fan i am Dienstagabend folgender amt-
licher italienischer Kommentar ver-
breitet:
Die Unterbrechung der Arbeiten des Ausschus-
ses, die sich ohne weiteres aus der amtlichen
Verlautbarung über seine heutige Sitzung er-
gibt, ist im wesentlichen durch zwei Faktoren
bestimmt worden: Erstens durch den Umstand,
daß die Vertreter Abessiniens im Schlichtungs-
ausschuß die Einzelheiten des Kompromisses
nicht kennen oder behaupten nicht zu kennen,
das zwischen der italienischen und der abessini-
schen Regierung am 15. und 16. Mai ds. Js.
zustandekam und auf Grund dessen die Ernen-
nung der Schlichter erfolgt ist; zweitens durch
die Forderung der abessinischen Vertretung, vor
dem Ausschuß auch die Erenzfragen behandeln
zu lassen, die durch die Bestimmungen des Kom-

promisses ausdrücklich ausgeschlossen worden sind
und die in die Zuständigkeit des Ausschusses für
Erenzfestsetzung gehören, wie er durch den ita-
lienisch-abessinischen Vertrag vom Jahre 1908
vorgesehen wurde.
Diese beiden Faktoren, so heißt es in dem
amtlichen italienischen Kommentar weiter, zei-
gen auf abessinischer Seite den bewußten Wil-
len, die Arbeiten des Schlichtungsausschusses zu
sabotieren. Bei der jetzigen Sachlage sind tat-
sächlich die von der italienischen Regierung ge-
lieferten Beweise für den abessinischen Angriff
bei Ual-Ual so erdrückend, daß die abessinische
Regierung offenkundig kein Interesse daran hat,
daß die Arbeiten des Ausschusses weitergehen,
da sie mit aller Wahrscheinlichkeit zu der Ver-
urteilung Abessiniens geführt hätten. Von den
abessinischen Schlichtern sind nicht einmal die
entgegenkommenden Vorschläge Italiens ange-
nommen worden, die dahin gingen, entweder den
strittigen Punkt zurückzustellen und die Verhand-
lungen zur Feststellung der Verantwortlichkeiten
fortzusetzen oder aber die Arbeiten des Aus-
schusses bis zum 20. Juli zu vertagen, um so
den Regierungen die Möglichkeit zu geben, die
Meinungsverschiedenheit zu beseitigen.
Vorläufig kein militärisches Vorgehen
Italiens
DNB Nom, 9. Juli
Die Gerüchte über eine bereits erfolgte
oder in allernächster Zeit bevorstehende Er-
öffnung der militärischen Maßnahmen Italiens
in Ostafrika werden von maßgebender
italienischer Seite entschieden in Ab-
rede gestellt. Die Behandlung des italienisch-
abessinischen Streitfalles weist nach Ansicht ver-
antwortlicher italienischer Stellen keine neuen
Anzeichen auf, die plötzliche Entscheidungen
solcher Art erwarten lassen, ganz abgesehen
davon, daß die Regenzeit in den fraglichen
ostafrikanischen Gebieten nicht vor September
zu Ende geht und Italien daran liegt, die in
Gang befindlichen Vorbereitungen für ein etwa
notwendig werdendes militärisches Vorgehen
weiter auszubauen.

Der englische Bensch
Ihn und seine Schöpfung, das weltum-
spannende und auch immer noch weltbeherr-
schende Empire, schildert auf Grund stän-
diger eigener Beobachtung und genauester
Kenntnis Tr. Albrecht Graf Montge-
las im Juliheft des „Hochlan d" (Verlag
Kösel, Kempten). Wir geben aus diesem Auf-
satz folgende Abschnitte wieder:
„Wenn es im allgemeinen eine anerkannte
Wahrheit ist, daß eine Hauptstadt und ihre Groß-
stadtbevölkerung nicht typisch für das übrige
Land und Volk ist, wenn es richtig ist, daß Paris
nicht Frankreich, Newyovk nicht die Union, Ber-
lin nicht Deutschland ist — von London gilt dies
kaum. Der englische Mensch, vor allem auch der
Kleinbürger, ist ein so ausgeprägter Typ, Erzie-
hung, Lebensauffassung und nicht zuletzt die Ein-
förmigkeit seiner körperlichen und geistigen Nah-
rung haben ihm eine so einheitliche — nm nicht
zu sagen einförmige — geistige und seelische Ge-
staltung gegeben, daß es wirklich kaum einen
Unterschied macht, ob er in Keiner Zahl auf dem
Land und in einer Provinzstadt oder in großen
Massen in London lebt. Man wird dies leichter
verstehen, wenn man weiß, daß es in England
eine große individuelle Provinzpresse wie in
Deutschland, Frankreich oder Italien so gut wie
nicht gibt. Die zwei bekanntesten Ausnahmen,
der liberale „Manchester Guardian" und die kon-
servative „Norkshire Poft", bestätigen nur diese
Regel. In welchem Dorf auch immer man am
Wochenende oder in den Ferien sein Frühstück
einnimmt, man wird je nach Göschmack die „Ti-
mes" oder eine ihrer ebenso seriösen Londoner
Schwestern, die „Daily Expreß" oder ein anderes
Londoner Blatt der mehr populären Kategorie
dabei lesen können. Für die Millionen Engländer
in Stadt und Land liefern nun aber die Tages-
zeitungen fast die einzige geistige Nahrung. Das
heißt indessen nicht, daß der englische Mensch
durch großstädtische Mentalität geformt wird,
denn die Londoner Presse schreibt nicht für Groß-
städter, sondern für Engländer schlechthin.
Nicht als ob die Zeitungen in diesem Sinne
und zu diesem Zweck gemacht" würden; Inhalt
und Wirkung der Presse ergibt sich ganz von
selbst aus dem gemeinsamen Grundwesen der
Engländer, aus der Tatsache, daß sie im Tiefsten,
wie ihre angelsächsischen Vorfahren, ein land-
nahes Volk geblieben sind, ein Bauernvolk, oder
zum mindesten ein Gärtnervolk, auch wenn sie
in der Großstadt leben. Daher auch die gesunde
Primitivität, die selbst der Städter nicht ver-
liert, und die Jnstinktsicherheit dieses Volkes, die
die lebhaftere Intelligenz und Phantasie anderer
Völker so glücklich ersetzt.
Die Engländer, ja die Briten überhaupt —
denn man darf die keltischen Walliser, Schotten
und Irländer weder in ihrem noch reinen Volks-
tum, noch in ihrer Vermischung mit dem Eng-
ländertum vergessen —, die Briten also haben
dank der geopolitischen Lage der Mutterinseln,
die ihre nationale Geschichte bestimmend beein-
flußte, menschliche und politische Eigenschaften
entwickelt, die sie wesentlich von kontinentalen
Nationen unterscheiden. Die Unkenntnis dieser
Eigenschaften verleitet den fremden Betrachter
immer wieder zu schiefen Analogien, täuschenden
Schlußfolgerungen und damit zu falschen, in der
Welt der Realpolitik also gefährlichen Zukunfts-
spekulationen.
Wer mit Sinn für Geschichte, für ihre Ur-
gründe und die Quellen, aus denen auch die Po-
litik der eigenen Zeit sich herleitet, gerade in den
Tagen des silbernen Rcgierungsjubiläums König
Georgs V. durch London wanderte, der konnte
reichlich Stoff zum Nachdenken finden. Zeigt
die Stadt doch schon in ihrem äußeren Bild man-
ches, was für die inneren Eigenschaften auf-
schlußreich ist.
Unter den Menschenmassen, die sich am 6. Mai
auf Plätzen, Straßen, Ballonen und Tribünen
drängten, um dem königlichen Festzug zuzujubeln,
standen in Erz gegossen zwei Männer, die ein
Fremder in der Hauptstadt des Britischen Reiches
durchaus nicht suchen würde: am Trafalgar
Square, im Schatten der Nelson-Säule, vor dem
Gebäude der National Gallery, George Washing-
ton, der Rebell, der den Engländern einen halben
Weltteil entriß, und am vornehmsten Platz Lon-
dons, am Parliament Square, wo Englands
größte Staatsmänner in Erz verewigt sind, Abra-
ham Lincoln, einst die Zielscheibe des Spottes
und des Hasses der Engländer, deren Sympathien
 
Annotationen