Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 150-228)

DOI Heft:
Nr. 211 - Nr. 220 (10. September - 20. September)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43255#0697
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MNelberyerVMsblatt

Bezugspreis: Durch Botenzustellung u. Post monatl. 2.00 bei der Geschäftsstelle
abgsholt 1.80 ^8^, Einzelnr. 10 Erscheint wöchentl. 6 mal. Ist die Zeitung am Er-
scheinen verhindert, besteht kein Anrecht auf Entschädigung. Anzeigenpreis: Die Ispalt.
Millimeterzsile (46 mm br.) 7 Textteil: Die 76 mm br. Millimelerzeile 25 Bei
Konkurs u. Zwangsvergleich erlischt jed. Anspruch auf Nachlaß. Gevichtsst.: Heidelberg.
Zeimatzeitung mit den Beilagen: Aber rem Alltag / Seimatwatte


Schriftleitung und Geschäftsstelle: Heidelberg, Bergh. Str. 56/61, Tel. 7151. Geschäfts-
stunden: 7.30 bis 18 Uhr, Sprechstunden der Redaktion: 11.30 bis 12.30 Uhr. Anzeigen-
schluß: 6 Uhr, Samstag 8.30 Uhr vormittags. Für fernmündlich übermittelt« Auf.
träge wird kein« Gewähr übernommen. Postscheck-Konto Karlsruhe Nr. 8105,
Unverlangte Beiträge ohne Rückporto werden nicht zurückgesandt.
WMnsOaft unr Kunst / Aus der Welt der Amu / Die LMtuM

Pfälzer Sole

Mittwoch, 18. September 19ZS

70. Jahrgang / Nr. 218

Mussolini gegen Englands Sallung

Sie Memelsrage
„Die Memelfrage berührt die Ruhe und
Ordnung Europas"

„Sühnema-nahmen würden die Landkarte Europas umschmelzen"

„Pester Lloyd" zur Rede des Führers
DNB. Budapest, 17. Sept.
Die Reichstagsrede des Führers und Reichs-

DNB Paris, 17. Sept.
Mussolini hat dem in Italien weilenden
Berichterstatter des „Matin" eine Unter-
redung gewährt in der er die italienische
Politik gegenüber England umreißt und zuletzt
fragt, wie sich Frankreich schließlich gegenüber
Italien verhalten wolle.
Mussolini erklärte, die Kräfte des Inter-
nationalismus hätten in der Person
Italiens den Faschismus erniedrigen wol-
len, Es sei diesen Kräften aber nur gelungen,
ihn zu reizen. Der Groll Italiens werde lange
anhalten; denn wenn das italienische Volk auch
für Freundschaft empfänglich sei, habe es doch
niemals Beleidigungen vergessen können. Ita-
lien liebe den Frieden, wolle ihn aber nur be-
gründet auf der Gerechtigkeit. Italien habe für
das englische Volk eine aufrichtige und im Laufe
der Jahre treue Freundschaft empfunden. Es
finde es aber heute ungeheuerlich, daß
das englische Volk, das die Welt beherrsche, ihm
«in armseliges Stückchen Boden unter der afri-
kanischen Sonne versage. Er, Mussolini, habe
immer und in jeder Form Großbritannien die
Versicherung gegeben, daß seine Belange in
Abessinien gewissenhaft gewahrt werden wür-
den. Aber die Belange, um derentwillen Eng-
land so scharf in Opposition zu Italien trete,
erstreckten sich auf etwas anderes, und das ge-
stehe England nicht ein. Es handle sich nicht
Um ein Pokerspiel, aber Italien habe in seinem
Spiel eine Karte, die den Einsatz seines ganzen
Lebens darstelle, und es werde diese
Karte ausspielen. Italien verfolge sei-
nen geraden Weg. Nie werde es gegen eine
europäische Nation eine feindselige Haltung be-
gehen. Wenn man aber gegen Italien eine
Kriegshandlung begehe, gut, das bedeute dann
eben Krieg. Italien wünsche ihn nicht, habe
aber auch keine Angst davor. Wolle man denn
anstatt der Verluste, die eine koloniale Opera-
tion mit sich bringe, wie sie England und
Frankreich nacheinander unternommen hätten,
daß die Zahl der Toten in die Millionen gehe?
Dann sollten aber auch die, die die Katastrophe
entfesselt hätten, vor der Geschichte die Verant-
wortung dafür tragen. Er, Mussolini, begreife
nicht jene Leute, die eine ganze Stadt in
Brand stecken wollen, weil ein Haus brenne.
Italien wolle durch seine koloniale Operation
Sicherheit und Ausbreitungsmöglichkeiten für
seinen starken Bevölkerungszuwachs. Die Ge-
wehre würden da unten ganz von allein los-
gehen, stünden doch dort 400 000 bewaffnete Abes-
sinier und 250 000 Italiener, die auch Gewehre
hätten.
Mussolini wies dann auf die in Italien
herrschende Ruhe und auf die Mobilmachungs-
möglichkeiten des neuen Italien hin. Eine Mil-
lion sei mobilisiert Innerhalb eines Tages
könne er zehn Millionen der politischen Streit-
kräfte mobil machen, ohne dabei die für, die
Landesverteidigung tätigen Arbeiter aus ihren
Werken herausnehmen zu müssen. Wenn man
es wage, beispielsweise militärische Süh-
Nemaßnahmen gegen Italien einzuführen,
bann werde Italien noch mehr aufbieten kön-
nen. Wolle Frankreich — dessen freundschaft-
liche Bemühung für Italien und dessen euro-
päische Anstrengung er anerkenne — solche
Sühnemaßnahmen? Das sei alles, was er mit
Rücksicht auf die heikle Stellung Frankreichs
von diesem wolle. Mögen sich aber die anderen
gesagt sein lassen, daß Sühnemaßnahmen die
Erfahr einer Umschmelzung der Landkarte
Europas mit sich bringen würden. Das wäre
das klarste Ergebnis, das jene erreichen würden,
di« aus Selbstsucht Italien das Recht zum
Leben absprechen wollen. Es wäre aber doch
von Bedeutung, und es wäre politisch wichtig,
Italien auf die Seite der Länder zu stellen, die

den vorhandenen Zustand wahren wollen. Man
würde im Gegenteil aber sehen, was es koste,
wenn man Italien in die Reihen derer ver-
weise, die eine andere Verteilung — und wer
weiß? — vielleicht mehr Gerechtigkeit fordern.
Die britische Kabinettssitzung
DNB. London, 17. Sept.
Obwohl keinerlei amtliche Mitteilung über
das Ergebnis der Kabinettssitzung ausgegeben
worden ist, ist anzunehmen, daß Sir Samuel
Hoare einen Bericht über den italienisch-abessi-
nischen Streit gegeben hat. Reuter erfährt da-
zu, daß auf die französische Anfrage,
ob der britische Widerstand gegen einen Angriff
unter dem Kollektivsystem sich auch auf das
österreichische Problem erstrecke, keine bestimmte
Antwort gegeben werde. Man sei der Ansicht,
daß die französische Regierung nicht auf eine
Antwort dränge, sondern die Angelegenheit
durch die Rede Sir Samuel Hoares in Genf als
geklärt anseh«.
In seinem Interview in der „Morning
Post" hatte Mussolini behauptet, die bri-
tische Regierung habe auf seine Anregung vom
9. Januar, die abessinische Frage zu besprechen,
eine ausweichende Antwort gegeben. Diese Er-
klärung wird nunmehr in gutunterrichteten
Kreisen als unrichtig bezeichnet. Wie Reuter
erfährt, habe die britische Antwort auf die ita-
lienische Anregung dahin gelautet, daß Groß-
britannien die Frage prüfen werde. Es hätten
dann Besprechungen stattgefunden,' und zwar
mit den beteiligten Kolonialmächten, die einige
Zeit erfordert hätten. Die italienische Regie-
rung habe in keiner Weise darauf hingewiesen,
daß die Angelegenheit von großer Dringlichkeit
sei. Die britische Regierung sei im Juni an die
italienische Regierung herangetreten, als Eden
in Rom geweilt habe. Es sei bei dieser Ge-
legenheit klargestellt worden, daß Großbritan-
nien die ganzen Frage der wirtschaftlichen In-
teressen in Abessinien vom Standpunkt des Völ-
kerbundes aus ansehe.
Truppenansammlungen
in Abessinien
DNB. Paris, 17. Sept.
Havas meldet aus Addis Abeba:
Reisende, die aus dem Süden eintreffen, ver-
sichern, daß in der Provinz Bali, in der Nähe
der Grenze von Jtalienisch-Somaliland, eine be-
deutende Truppenzusammenziehung erfolgt. Diese
Truppe soll etwa 100 000 Infanteristen, 200 Rei-
ter und 200 Kamelreiter umfassen. General
Mangacha, der ehemalige abessinische Geschäfts-
träger in Rom, ist nach der Provinz llallega im
Westen abgereist, wo er ein Armeekorps aufstel-
len soll. Von dort aus wird er sich wahrschein-
lich nach der Provinz Tigre bei Eritrea be-
geben.
Vorbereitung in Ägypten
Truppenverstärkungen an der Nordwestgrenze
DNB. Kairo, 17. Sept.
Die ägyptischen Zeitungen beschäftigen sich
jetzt eingehend mit der Frage der militärischen
„Vorsichtsmaßnahmen" ihres Landes. Danach
bemühten sich die britischen Militärbehörden um
genaue Angaben über die Straßen nach der
westlich gelegenen Wüste und um die Schaffung
von telefonischen und telegrafischen Verbindun-
gen dorthin. Die ägyptischen Behörden sollen
bereits eine Aufteilung und Verstärkung der
dort vorhandenen Streitkräfte vorgenommen
haben. Während die ägyptischen Erenzbehörden
die Bewegungen italienischer Truppen jenseits
der Grenze genau überwachen, stellten die Ita-

liener bereits an mehreren Stellen eine
Sperre aus Drahtverhauen her.
Ein Teil der vor Alexandrien liegenden bri-
tischen Flotte ist inzwischen nach Port
Said und dem Roten Meer verlegt worden.
Einige Schiffe bleiben vor Suez und Ismailia,
andere liegen vor Suez und Ismailia, andere
liegen vor Port Sudan.
Die Suezkanalzone wird stark überwacht. Der
Bevölkerung ist das Betreten bestimmter Be-
zirke strengstens verboten worden. Die britischen
Behörden sind bei Ibn Saud wegen der Ueber-
wachung der Küste des Hedschas vorstellig ge-
worden.
Der Standpunkt der ägyptischen Nationalpar-
tei (Wafd) soll in der Weise festgelegt worden
sein, daß es Aegyptens Aufgabe sei, im Not-
fälle einen Verteidigungskrieg zu führen, dies
jedoch nur, falls italienische Truppen Aegyptens
Grenze überschreiten sollten. Anderenfalls müsse
Aegypten strengste Neutralität wahren. Der
Führer der Wafd-Partei hat zwecks Darlegung
dieser Auffassung eine große politische Rede für
den 29. September angekündigt.
Südafrika schießt nicht
DNB London, 17. Sept.
Der südafrikanische Landesverteidigungsmini-
ster P i r o w hat am Samstag in einer Rede in
Lydenburg erklärt, Südafrika wolle wegen des
italienisch-abessinischen Streits nicht einen Schuß
abfeuern. Südafrika werde seine Pflicht gegen-
über dem Völkerbund erfüllen, schießen würden
die Südafrikaner aber nur, wenn sie selbst an-
gegriffen'würden.
Diese Aeußerung wird in der Presse beachtet.
„Morning Post" benutzt sie zu einem An-
griff auf den Minister. Sie wirft ihm „preu-
ßische Abstammung" vor und behauptet,
der Minister habe immer mehr Hinneigung zu

Holland
Sine Thronrede der K
DNB. Haag, 17. Sept.
In der traditionellen, feierlichen Weise wurde
Dienstag mittag die neue Sitzungs-
periode des Parlaments eröffnet. Kö-
nigin Wilhelmina begab sich hierzu in
Begleitung der Thronfolgerin in der vergolde-
ten Staatskarosse in einem festlichen, von Ka-
vallerieabteilungen begleiteten Zug vom Schloß
zum Rittersaal. Alle von dem Zug berührten
Straßen, in denen die Truppen der Haager
Garnison Spalier bildeten, wurden von einer
großen Menschenmenge umsäumt, die trotz des
regnerischen Herbstwetters bereits Stunden vor-
her dort Aufstellung genommen hatte und der
Königin und der Thronfolgerin bei ihrem Er-
scheinen eine herzliche HuliL---ng darbrachte.. Im
Rittersaal hatten sich inzw -n sämtliche Mi-
nister sowie alle Mitglieder der Ersten und der
Zweiten Kammer zu einer gemeinsamen
Sitzung vereinigt.
Nach Eröffnung der Sitzung verlas die Köni-
gin die Thronrede, deren Inhalt diesmal mit
besonders großer Spannung zur Kenntnis ge-
nommen wurde.
Hinsichtlich der Außenpolitik wird betont, daß
zwar der freundschaftliche Charakter der nieder-
ländischen Beziehungen zu den anderen Mächten
unbeeinträchtigt geblieben sei, daß die Regie-
rung jedoch trotzdem die Entwicklung der inter-
nationalen Lage mit größter Aufmerksamkeit
verfolge. Die niederländische Regierung hoffe,
daß es dem Völkerbund gelingen werde, die
zwischen mehreren Staaten entstandenen Gegen-
sätze zu überbrücken, wobei sie dem Völkerbund
nach Möglichkeit ihre Mitwirkung gewähren
wolle.
Im Hinblick auf die in der internatio-
nalen Laae einaetretenen Aenderungen

kanzlers hat, wie der „Pester Lloyd" fest-
stellt, die Aufmerksamkeit der Welt auf die
Memelfrage gelenkt, die eine der schlimmsten
Tatbestände der heutigen an internationalen
Spannungen so reichen Zeit darstellt. Die
Memelfrage berühre unmittelbar
die Ruhe und Ordnung Europas.
Falls sich dieser Gegensatz nicht durch die vor-
handenen Methoden der internationalen Zusam-
menarbeit schlichten lasse, so müßten die euro-
päischen Völker besorgniserregende Verwicklun-
gen auch von dieser Seite her befürchten. Di«
Memelfrage gehöre heute zu den wichtigsten
europäischen Fragen. Das Memelgebiet sei, wie
das Blatt betont, der Wetterwinkel des euro-
päischen Ostens geworden.
Das „Memeler Dampsboot" erneut beschlagnahmt
DNB. Memel, 17. Sept.
Das „Memeler Dampfboot" ist am Dienstag
wieder nicht erschienen. Die litauischen Zeitun-
gen dürfen nach wie vor ungehindert gegen die
Memelländische Einheitsliste Hetzen.
Die Reichstagsrede des Führers wird in allen
litauischen Zeitungen totgeschwiegen. Dagegen
wird die Rede des litauischen Außenministers
Lozogaitis in großer Aufmachung gebracht.

Deutschland als zu England (!) empfunden.
Seine Ausführungen über Abessinien seien be-
sonders bedeutungsvoll, da sie im Gegensatz zu
der Genfer Erklärung des südafrikanischen
Oberkommissars ständen.
*
Die abessinische Regierung enthält sich nach
wie vor jeder Meinungsäußerung über die Lage.
Sämtliche Vorbereitungen für die allgemeine
Mobilmachung sind beendet. Die Stimmung ist
zuversichtlich.

Der Führer hat am DienLtag nachmittag
Nürnberg verlassen. Auf den Nürnberger Bahn-
höfen wurden am Dienstag vormittag die letzten
Formationen verladen.

rüstet sich
mgin der Niederlande
sehe sich Holland allerdings genötigt, beson-
dere Vorkehrungen inbezug auf seine
Landesverteidigung zu treffen. Ent-
sprechende Vorlagen würden dem Parlament zu-
gehen.
Auf innerpolitischem Gebiet werden die Aen-
derung mehrerer Bestimmungen der Verfassung
und ein Gesetzentwurf zur Verhinderung der
Betätigung politischer Gruppen auf Gebieten,
die dem Staat Vorbehalten seien, angekündigt.
Ferner wird eine Revision der Ausländergesetz-
gebung, insbesondere in Zusammenhang mit
dem Problem der politischen Flücht-
linge, in Aussicht gestellt.
Mit Bezug auf die zukünftige Finanz-
und Wirtschaftspolitik wird die Er-
klärung abgegeben, daß eine Abwertung oder
eine Preisgabe des Goldstandards nicht als
Mittel betrachtet würden, die der Volksgemein-
schaft in ihrer Gesamtheit Nutzen bringen könn-
ten. Zur Behebung der Arbeitslosigkeit will die
Regierung große öffentliche Arbeiten durchfüh-
ren und namentlich die Trockenlegung
des Pselmeeres fortsetzen.
Die wirtschaftliche und finanzielle Lage der
Kolonien wird als sorgenvoll bezeichnet.
Diskonterhöhung in Holland
DNB. Amsterdam, 16. Sept.
Die Niederländische Bank hat heute ihren
Diskontsatz, der mit Wirkung vom 3. August
d. Js. von 6 auf 5 v. H. ermäßigt worden war,
wieder um 1 v. H. auf 6 v. H. erhöht. Es han-
delt sich bei dieser Maßnahme des Noteninsti-
tuts ganz offensichtlich um eine Reaktion auf die
seit mehreren Tagen wieder in Erscheinung ge-
tretene Euldenbellnruhigung.
 
Annotationen