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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 150-228)

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Nr. 221 - Nr. 228 (21. September - 30. September)
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WiAnNml und Kunst / Aus der MU der Frau / Die Lesestunde

Montag, 23. September 1935

WlzerSote

70. Jahrgang / Ar. 222

Der italienische Ministerrat lehnt ab
Sie Vorschläge des Fünserausschufses sind „keine ausreichende Mindestgrundlage"

„del aller Achtung..
DRV Rom, 21. Sept.
Der italienische Mini st errat hat die
Borschläge des Fünserausschufses zum italienisch-
abessinischen Streitfall abgelehnt.
Der Beschluß des italienischen Ministerrats
hpt nach der amtlichen italienischen Mitteilung
in Uebersetzung folgenden Wortlaut:
„Der Minifterrat hat von den in dem Bericht
des Fünfer-Ausschusses enthaltenen Vorschlägen
Kenntnis genommen; er hat sie zum Gegenstand
einer aufmerksamen Prüfung gemacht. Bei
aller Achtung des von dem Fünfer-Ausschuß
unternommenen Versuchs ist der Minifterrat zu
dem Entschluß gekommen, diese Vorschläge als
unannehmbar zu betrachten, da sie keine aus-
reichende Mindestgrundlage für etwaige Ab-
machungen bieten, mit denen endlich und in
wirksamer Weise den lebenswichtigen Rechten
und Interessen Italiens Rechnung getragen
würde.«
Die amtliche Mitteilung über die heutige
zweistündige Sitzung des italienischen Minister-
lats besagt weiter, daß der Ministerrat am
nächsten Dienstag zu einer Sitzung einbe-
rufen ist, bei der die Entwicklung der politi-
schen Lage weiter verfolgt und die noch auf der
Tagesordnung stehenden Verwaltungsgeschäfte
erledigt werden sollen. In der Sitzung hat
Mussolini einen ausführlichen einstündigen Be-
richt über die Entwicklung der politischen und
militärischen Lage in den letzten Tagen erstat-
tet und den Bericht des Fünfer-Ausschusses ver-
lesen und erläutert.
In der amtlichen Verlautbarung wird ledig-
lich hervorgehoben, daß der Bericht Lavals mehr
als eine Stunde in Anspruch genommen habe.
Man weiß jedoch nicht, ob die endgültige Hal-
tung Frankreichs im italienisch-abessinischen
Zwischenfall bei dieser Gelegenheit bereits fest-
gelegt wurde, zumal die Nachricht, daß der
italienische Ministerrat die Vorschläge
des Fünfer-Ausschusses abgeleht hat, erst
nach Beendigung der Sitzung in Paris bekannt
wurde. '
Ser Rnserausschuß
WM abwarten
DNB Genf, 21. Sept.
Der Fünferausschutz des Völkerbundsrates hat
sich nach einstündiger Sitzung Samstagabend auf
Montag vertagt. Von beteiligter Seite wird
zunächst nur erklärt, daß man mangels wirk-
licher Unterlagen heute noch keine Beschlüsse
habe fassen können.
Von offizieller italienischer Seite war übri-
gens schon vor der Sitzung des Kommunique vor
Pressevertretern im Sinne einer Verhandlungs-
bereitschaft, wenn auch auf veränderter Grund-
lage ausgelegt worden. Alosi hatte dagegen
dem Vorsitzenden des Komitees Madariaga den
Text der Verlautbarungen ohne weitere Er-
läuterungen übergeben.
In der amtlichen Erklärung über die Sitzung
des Komitees heißt es: Das Komitee hat von
dem Kommunique, das die italienische Regie-
rung der Presse übergeben hat, Kenntnis ge-
nommen. Um die genaue Tragweite dieses
Kommuniques feststellen zu können, hat das
Komitee beschlossen, die offizielle Antwort der
italienischen Regierung und etwa beigefügte
Bemerkungen abzuwarten.
Englische Erklärungen
DRV Genf, 21. Sept.
Aus Erklärungen, die von britischer Seite am
Samstagabend vor der Presse abgegeben wor-
den sind, geht hervor, daß man sich im Fünfer-
^usschuß mit der nur offiziös bekanntgegebenen
«erhandlungsberettschaft Italiens nicht zusrie-

dengeben will, sondern eine offizielle italienische
Mitteilung an den Fünserausschuß erwartet.
Derartige Verhandlungen will man auf briti-
scher Seite nur auf dem Wege über den Fün-
ferausschuß führen, dessen Auftrag Italien
immer noch nicht formell anerkannt hat. In
englischen Kreisen wird die Hoffnung ausge-
sprochen, daß Verhandlungen auf diesem Wege
zu einem Erfolge führen, zumal die Vorschläge
des Ausschusses den italienischen Interessen sehr
weit entgegenkommen. Sollten diese Verhand-
lungen mgang kommen, so rechnet man auf
englischer Seite mit einer ziemlich langen
Dauer. Andernfalls müßte der Rat alsbald zu-
sammentreten.
Ser französische Mimsterrat
Laval erstattet Bericht
DNB Berlin, 21. Sept.
Die französischen Minister sind am Samstag
auf dem Sommersitz des Staatsprä-
sidenten im Schloß Rambouillet zu
einem Ministerrat zusammengetreten. Der
Präsident der Republik, Lebrun, beglückwünschte
zu Beginn der Sitzung den französischen Mini-
sterpräsidenten für seine Tätigkeit in Genf, wo-
rauf Laval einen ausführlichen Bericht er-
stattete. Der größte Teil der Sitzung war je-
doch mit der Behandlung innerpolitischer Fragen
ausgefüllt Der Ministerrat nahm u. a. einen
Eesetzesvorschlag an, der der Regierung das
Recht einräumt, Gegenmaßnahmen gegenüber
denjenigen Ländern zu ergreifen, in denen der
Reiseverkehr in Ausland durch Devisenbeschrän-
kungen behindert wird. Es wurde beschlossen,
den französischen Touristen, die sich in eines die-
ser Länder begeben wollen, zukünftig eine Son-
dertaxe aufzuerlegen, die 5000 Franc nicht über-
schreiten soll. Laval kehrte sofort im Anschluß
an den Ministerrat ins Außenministerium
zurück.
Starke Beunruhigung auf den ägyptischen Börsen
DNB. Kairo, 21. Sept.
Auf den Wertpapierbörsen von Kairo und
Alexandria herrscht seit Donnerstag infolge
der Zuspitzung der internationalen politischen

SchluMgerimgMhöhimg -er
britischen Sireitkrüste
DNB. London, 21. Sept.
Schatzkanzler Neville Chamberlain hielt
am Samstagnachmittag in Chelsea (Schott-
land) eine Rede zur internationalen Lage. Der
Minister wies zunächst die Angriffe Lloyd Geor-
ges zurück und betonte dann, daß England zwei-
fellos einen ebenso schwierigem wie gefährlichem
Problem gegeniiberstehe. Allgemein werde an-
erkannt, daß es sich im vorliegenden Fall nicht
nur um einen Streit zwischen Italien und Abes-
sinien handle, sondern um um die viel wichti-
gere Frage der gesamten Zukunft des Völker-
bundes als Instrument zur Aufrechterhaltung
des Friedens. Chamberlain erläuterte hierauf
den der britischen Außenpolitik in Genf zu-
grundeliegenden kollektiven Sicherheitsge-
danken, der auch die Haltung Englands im
abessinischen Streitfall bestimmt. Chamberlain
forderte als dann seine Zuhörer auf, kaltes Blut
zu bewahren und darauf zu vertrauen, daß die
Italiener, wenn sich die Leidenschaften erst ein-
mal abgekühlt hätten, wieder ihren alten
Freunden Gerechtigkeit widerfahren ließen und
sich erneut bereit erklären würden, mit England
im Interesse der Aufrechterhaltung des europäi-
schen Friedens Zusammenarbeiten. Das sei für
Italien, wenn es seine Wohlfahrt wiedergewin-
nen wolle, zum mindesten ebenso wesentlich wie
für alle anderen übrigen Länder, aber die letz-
ten Ereignisse zwängen noch zu einer anderen

Lage starke Beunruhigung, die einen erheb-
! lichen Sturz aller Werte hervorgerufen
hat. Die Verkäufe waren am Donnerstag so
stark, daß der Markt das ganze Angebot nicht
aufnehmen konnte. Man erwartet für Freitag
.strenge Maßnahmen der Regierung, falls sich
keine Besserung einstellen sollte. Die Regierung
soll auch die Schließung der Börsen in Aussicht
genommen haben.
Befremden in Paris
DNB Paris, 21. Sept.
Die Nachricht von der Ablehnung der Vor-
schläge des Fünferausschusses durch den italieni-
schen Ministerrat wurde in Paris ohne Ueber-
raschung, immerhin mit einigem Befremden
ausgenommen. Man läßt durchblicken, daß die
höfliche Form derAbsage und die amt-
liche italienische Erläuterung einer weiteren
Verhandlung vielleicht keinen endgül-
tigen Abschluß setzten. Die Erklärungen
des Ministerpräsidenten und Außenministers
Laval in Genf über die Stellung Frankreichs,
namentlich die unerschütterliche Treue zu den
Bestimmungen des Völkerbundspaktes behielten
unter den gegenwärtigen Umständen ihren vollen
Wert.
Auf dem Ministerrat in Ranbouillet am
Samstgvormittag ist übrigens über diesen
Punkt nicht gesprochen worden, nachdem Laval
seinen außenpolitischen Vortrag gehalten hatte.
Enttäuschung in London
DNB London, 21. Sept.
In England hat die Ablehnung der Genfer
Vorschläge durch Mussolini und sein Kabinett
umso größere Enttäuschung hervorgerufen, als
ein Teil der Presse noch vor wenigen Stunden
«inen Lichtblick sehen zu können glaubte.
Während die Abendblätter das „Unannehm-
bar« der italienischen Regierung in fetten
Schlagzeilen verkünden, übt man in amtlichen
englischen Kreisen bei der Beurteilung der
neuen Lage noch starke Zurückhaltung. Es wird
darauf hingewiesen, daß die Abgabe eines
durchdachten Urteils erst nach dem Bekannt-
Gesamteindruck der Antworten sowohl Italiens

Ueberlegung. In diesen schwierigen Wochen sei
es immer klarer zutagegetreten — und das Wis-
sen hierum sei auf dem Festland weit verbreitet
— daß England aufs schwerste beeinträchtigt
sei, weil seine Verteidigungsstreitkräste auf
einen gefährlichen Stand gefallen seien. Diese
Kenntnis habe das Vertrauen der Freunde Eng-
lands in die Fähigkeit dieses Landes, seinen
Verpflichtungen nachzukommen, erschüttert, und
sie habe die England nicht so freundlich geson-
nenen Länder in ihrer Auffassung bestärkt, daß
England mit Gleichgültigkeit, wenn nicht mit
Verachtung behandelt werden könnte. Diese Lage
sei für ein großes Land untragbar und helfe
nicht der Sache des Friedens. Keine Nation
sei dem Frieden ergebener als England, aber
keine habe auch durch einen Krieg mehr zu ver-
lieren, einen Krieg, der England nicht geben
könne, was es wünsche. England sei eine über
die ganze Welt verbreitete 'Macht. Die Sicher-
heit seiner über den Globus verstreut liegen-
den Besitzungen hänge von der Fähigkeit Eng-
lands ab, sie zu beschützen, und selbst Indien und
die Dominions könnten sich nicht sicher fühlen,
wenn die britische Flotte nicht die See behaupte.
Wenn England seinen Verpflichtungen nachzu-
kommen wünsche, müsse es stark genug sein, um
seine Worte in die Tat umsetzen zu können.
Jetzt sei die Zeit gekommen, um die britischen
Streitkräfte auf das Minimum dessen zu brin-
gen, was England zu seiner eigenen Selbst-
achtung brauche, und man müsse sich klar dar-
über sein, daß die Abrüstung der Schaffung
eines Gefühls der Sicherheit folgen und nicht
vorausgehen müsse.

werden der italienischen Antwort an den Fün-
ferausschuß des Völkerbundes möglich sei. Nicht
eine kahle amtliche Verlautbarung, sondern der
als auch Abessiniens werd« das weitere Vor-
gehen des Völkerbundes in dieser Frage be-
stimmen.
Der Reuter-Vertreter in Rom faßt feine ersten
Eindrücke in dem Satz zusammen, daß die Ent-
scheidung des italienischen Kabinetts di« Tür,
die zu einer Regelung des Problems führe, zwar
zugemacht, aber nicht fest verschlos-
s e n habe.
British Legion für die Erhaltung des Welt-
friedens
DNB. London, 21. Sept.
Der englische Frontkämpferverband British
Legion hat auf einer Tagung seines Landes-
rats am Samstag einmütig beschlossen, die eng-
lische Regierung in ihren Bemühungen ange-
sichts der gegenwärtigen internationalen Schwie-
rigkeiten den Weltfrieden durch den Völker-
bund aufrechtzuerhalten, zu unterstützen.
Ein überraschender Besuch
Der italienische Gesandte aus dem abessinischen
Erntefest
DNB. Addis Abeba, 21. Sept.
Mit großen Feierlichkeit begann Samstag
das aus Anlaß der Beendigung der Regenzeit
alljährlich gefeierte Erntefest, an dem das ge-
samte diplomatische Korps teilnahm. Entgegen
aller Erwartung war auch der italienische Ge-
sandte Graf Vinci mit dem gesamten Perso-
nal der Gesandtschaft, und zwar als Erster, zu
der Feier erschienen.
Die strategischen Vorbereitungen in Aegypten
DNB. Kairo, 21. Sept.
Unter Berufung auf zuständige militärische
Stellen beschäftigen sich die ägyptischen Blätter
mit dem Verteidigungsplan der Westgrenze des
Landes. Dieser Plan soll die Räumung der
Wüste bis Amerieh 30 km vor Alexandria unter
gleichzeitiger Zerstörung der darüber hinaus
führenden Eisenbahnstrecke vorsehen. In Ame-
rieh seien kriegsmäßige Vorbereitungen und die
Aufstapelung von Material im Gange. Ein aus
der Richtung von Solloum kommender Feind
müßte dann eine 500 km lange trockene Wüsten-
strecke durchqueren. Die Zahl der gegenwärtig
in Aegypten liegenden englischen Flugzeuge
wird von den Zeitungen mit rund 1000 Appa-
raten, darunter 300 Wasserflugzeuge, angege-
ben. In den ägyptischen Gewässern sollen sich
zurzeit 28 Einheiten der britischen Flotte auf-
halten. Von der Besatzung dieser Schiffe abge-
sehen, beträgt diesen Meldungen zufolge die
Zahl der gelandeten Truppen 15 000 Mann,
wozu noch 3000 Mann Marineinfanterie kom-
men.
Weitere italienische Truppentransporte
DNB. Rom, 21. Sept.
Am Wochenende stehen wieder eine Reihe ita-
lienischer Dampfer zur Ausreise nach Ostafrika
bereit. Sieben größere Dampfer mit rund 5000
Soldaten und 1100 Spezialarbeitern an Bord,
ferner großen Beständen an Kriegsgeräten und
anderem Material verlassen zwischen Samstag
und Montag Neapel. Gleichzeitig werden aus
den verschiedensten Teilen des Landes Truppen
und Arbeitertransporte in Neapel eintreffen.
In den ersten Tagen der nächsten Woche werden
vier größere'Dampfer auf der Rückfahrt von Ost-
afrika zur Uebernahme neuer Truppen in Nea-
pel einlaufen.
Einschränkung englischer Vergnügungsreisen
nach dem Mittelmeer
DNB. London, 22. Sept.
Nach dem „Daily Expreß" wird infolge der
internationalen Lage die Jungfernfahrt des
neuen englischen Dampfers „Strathmore" nicht,
wie ursprünglich vorgesehen, nach dem Mittel-
meer und nach italienischen Häfen, sondern nach
den Kanarischen Inseln unternommen werden.
Vier weitere britische Schiffahrtsgesellschaften
hätten Vorbereitungen getroffen, das Reisepro-
gramm der Schiffe, die Vergnügungsreisen nach
dem Mittelmeer unternehmen sollten, gegebenen-
falls zu ändern.

' Die Studiengesellfchaft argentinischer Archi-
tekten, die unter der Führung von Professor
.Villalonga eine Reise durch Deutschland unter-
nommen hatte, ist nach Buenos Aires zurückge-
kehrt. Die Teilnehmer äußerten sich begeistert
über das neue Deutschland. Besonders waren st«
vom Arbeitsdienst beeindruckt.

Chamberlain zur Lage
„Wenn sich die Leidenschaften erst einmal abgekühlt haben..."
 
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