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Heidelberger Volksblatt (70) — 1935 (Nr. 150-228)

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Nr. 221 - Nr. 228 (21. September - 30. September)
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Wijjem'Kast und Kunst / Aus der Mit der Frau / Sie LMluM

Pfälzer Sole

Montag, Z0. September isss

70. Jahrgang / Rr. 228

Soares Antwort auf die französische Anfrage
„Air schwankende Treue gegenüber dem Völkerbund"

wollen. Man hat die Spitzenkandidaten der
memelländischen Liste, Präsident Dr. Schreiber,
Oberbürgermeister Dr. Brindlinger und Ver-
waltungsgerichtsdirektor Dr. Treichler durch die
ungesetzliche Entziehung der Staatsbürgerschaft
für die Wahl ausgeschaltet. Außer den 69 Aus«

Englische Interpretation
zu Artikel lü
DNB. London, 29. Sept.
Die Antwort der britischen Regie-
rung auf den Schritt des französischen
Botschafters in London wurde heute
veröffentlicht. Sie besteht aus einem Briefdes
englischen Außenministers Sir Samuel Hoare
an den französischen Botschafter, der vom 26.
September datiert ist und auf die Anfrage der
französischen Regierung Bezug nimmt, in Zusam-
menhang mit dem italienisch-abessinischen Kon-
flikt zu erfahren, in welchem Maße Frankreich
in Hinkunft auf die sofortige und effektive An-
wendung aller Sühnematznahmen durch England
rechnen könne, die Artikel 16 der Völkerbunds-
satzung für den Fall einer Verletzung der Völ-
kerbundssatzung und der Anwendung von Ge-
walt inEuropa vorsieht. Die französische An-
frage bezog sich insbesondere auf die Möglichkeit,
daß ein europäischer Staat, sei es, daß
er Mitglied des Völkerbundes sei oder nicht, i n
Europa zur Gewalt schreite.
In seinem Brief verweist Sir Samuel Hoare
auf seine Ansprache an die Völkerbundsver-
sammlung vom 11. September, in der er be-
tonte, daß die britische Regierung, soweit es in
ihrer Macht stehe,, alle Verpflichtungen der Völ-
kerbundssatzung erfüllen werde, wobei er hervor-
gehoben hatte, daß diese Einstellung dem dem
britischen Nationalcharakter innewohnenden Ide-
alismus entspreche.

Handelns in Gestalt der Nichterfül-
lung der Bestimmungen eines Vertrages."
In seinem Schreiben betont Sir Samuel Hoare
dann weiter, daß es bei Beweishandlungen
Abstufungen der Schuld und Abstufungen
desAngriffs gebe. Je nach der Eigenart des
betreffenden Falles könnten daher die aufgrund
von Artikel 16 zu ergreifenden Maßnahmen ver-
schiedener Natur sein.
Diese Unterscheidungen habe die französische
Regierung bereits anerkannt.
Dementsprechend müsse daran erinnert wer-
den, daß Elastizität in Bezug auf Vertragsver-
pflichtungen ein Teil der Sicherheit sei.
Jedes Völkerbundsmitglied müsse anerken-
nen, was ja auch aus den Satzungen hervor-
gehe, daß die Welt nicht auf einem Fleck
stehen bleibe.
Den Einwand, daß die dargelegte Unterstüt-
zung der Grundsätze des Völkerbunds, die hier-
mit erneut bestätigt werde, nur der Politik der
zurzeit am Ruder befindlichen britischen Regie-
rung entspreche, begegnet der Staatssekretär mit
dem Hinweis, daß die von ihm in Genf gespro-
chenen Worte die überwältigende Un-
terstützung und Zustimmung Groß-
britanniens gefunden habe. Die öffentliche
Meinung habe klar erwiesen, daß sie nicht durch
ein schwankendes Gefühl geleitet werde, sondern
daß sie um einen Grundsatz internationaler
Handlungsweise besorgt sei. An diesem Grund-
satz werde sie festhalten, solange der Völkerbund
eine handlungsfähige Körperschaft bleibt. Die

i britische Regierung sei der Ansicht, daß der Völ-
kerbund als Instrument kollektiver Sicherheit
st' nicht selbst leichtsinnig durch einen mangeln-
de Glauben an seine Ideale und durch die Ver-
weigerung wirksamen Handelns zugunsten dieser
Ideale zur Ohnmacht verurteilen dürfe.
Der Brief Sir Samuel Hoares an den fran-
zösischen Botschafter schließt mit den Worten:
„Aber dieser Glaube und diese Handlung müs-
sen, wie die Sicherheit, allumfassend (kollektiv)
sein. Dieser Punkt ist so entscheidend, daß ich
abschließend noch einmal meine Worte in Genf
zitieren möchte:
„Wenn es im Interesse des Friedens mög-
lich ist, die Gefahren auf sich zu nehmen,
müssen sie von allen aus sich genommen
werden."
Solange der Völkerbund sich durch sein eigenes
Beispiel erhält, werden meine Regierung und
meine Nation voll für seine Grundsätze in ihrem
gesamten Umfang einstehen."
Paris von der Antwort befriedigt?
DNB. Paris, 29. Sept.
In französischen politischen Kreisen bezeichnet
man die englische Antwort auf die französische
Anfrage wegen der Behandlung des Sühnemaß-
nahmenartikels der Völkerbundssatzungen für
vollkommen befriedigend und will daraus auf
die vorbehaltlose Mitarbeit Englands am Völ-
kerbund schließen können.

bürgerungen sind in der Stadt Memel allein
14 800 Pässe von Memelländern beanstandet
worden, in den Landkreisen vermutlich ebenso-
viel. Nachrichten zufolge soll den Inhabern die-
ser Pässe am Wahltag von litauischer Seite die
Wahlfähigkeit strittig gemacht werden.
Mmeiwahl in Fortsetzung
Montag wird weitergewählt!
DNB. Memel, 29. Sept.
Das Gerücht, wonach die Wahlzeit bei den
Memelwahlen bis Mitternacht verlängert wor-
den sei, bestätigt sich nicht. Das litauische Kabi-
nett hat in seiner Sonntagssitzung vielmehr be-
schlossen, eine Abänderung des Wahlgesetzes da-
hingehend vorzunehmen, daß die Wahl am Mon-
tag von 8 Uhr morgens bis 18 Uhr abends fort-
gesetzt werde.
DNB Memel, 29. Sept.
Ueber die Wahlbeteiligung am Sonntag liegt
ein abschließendes Ergebnis noch nicht vor.
Wenn man bedenkt, daß am Montag nur 10
Stunden für die Wahl zur Verfügung stehen,
so ist jedenfalls damit zu rechnen, daß im Me-
mel auch am Montag nicht alle Wahlberechtig-
ten ihrer Wahlpflicht werden genügen können.
Ueber die Methode der Stimmzählung ist im-
mer noch nichts bekannt. Die Sitzung der Wahl-
kreiskommission, die sich damit beschäftigen wird,
hat ihre Sitzung von Montag auf Dienstag, 9
Uhr verschoben. Wann die Stimmzählung be-
ginnen wird, ist auch noch nicht abzusehen, ver-
mutlich aber erst am Dienstag oder Mittwoch.

Oie Memelwahlen
Wahlen in Fortsetzung / Seute wird weitergewählt

Hoare erinnert daran, daß er im Verlauf sei-
ner Genfer Rede bereits die Behauptung zurück-
gewiesen habe, daß die Haltung der britischen
Regierung eine andere sein könnte als die einer
nie schwankenden Treue gegenüber dem
Völkerbund.
Dies entspreche nicht nur einer Erundnote ihrer
auswärtigen Politik, sondern auch der öffent-
lichen Meinung Großbritanniens. Es bedeute
ein vollkommenes Verkennen der Wahrheit und
ein Mißverstehen dieser Politik, zu behaupten,
daß sie sich aus irgendeinem Grunde lediglich
auf den italienisch-abessinischen Streitfall beziehe.
Das englische Volk habe seine Anhänglichkeit an
die Grundsätze des Völkerbunds als solche und
nicht als eine besondere Auswirkung derselben
bewiesen. Jede andere Auslegung würde eine
Unterschätzung der britischen Pflichttreue und,
eine Anzweiflung der britischen Aufrichtigkeit
bedeuten.
Anknüpfend an diese ausdrücklichen Verpflich-
tungen betonte Hoare, daß der Völkerbund und
mit ihm Großbritannien für die kollektive
Aufrechterhaltung der Völker-
bundssatzung in ihrer Gesamtheit eintrete.
Dies gelte besonders für einen festen und
kollektiven Widerstand gegen alle Akte eines
nicht provozierten Angriffs.
Unter besonderer Betonung dieses
letzten Satzes stellt der britische Außen-
minister fest, daß kein Mitglied des Völkerbunds
seine Politik im voraus und im Hinblick auf
einen besonderen Fall, der möglicherweise ein-
treten könne, mit größerer Klarheit und Ent-
schiedenheit niederlegen könne als dies in den
vorstehenden Ausführungen geschehen sei.
Hoare fährt dann wörtlich fort: „Ew. Exzel-
lenz werden bemerken, daß meine Rede ebenso
wie das vorliegende Schreiben von allen einen
«nprovozierten Angriff darstellenden Handlun-
gen spricht. Jedes Wort in diesem Satz hat seine
volle Bedeutung.
Es ist zugleich augenfällig, daß ein Vorgehen
aufgrund von Artikel 16 der Völkerbundssatzung,
das im Falle seiner positiven, einen unprovo-
zierten Angriff darstellenden Handlung geeignet
wäre, nicht angewandt werden kann
tm Falls eines lediglich negativen

Sin Stimmungsbild
Die Bloßstellung des litauischen Wahlsystems
DNB. Memel, 29. Sept.
Eine Stunde vor Beginn, um 7 Uhr früh,
sieht man vor den Wahllokalen bereits kleine
Schlangen anstehen, die von Minute zu Minute
wachsen. Als es dann anfängt, zählen die War-
tenden schon nach Hunderten und Tausenden.
Auf dem Land haben sich die Wähler oft noch
früher aufgemacht, da die Anmärsche zu den
Wahllokalen vielfach 10 bis 15 km betragen. Die
Vertreter der ausländischen Presse, deren Zahl
etwa 60 beträgt, besuchen die Wahllokale, um
sich ein Bild von dem Wahlbetrieb zu machen.
In Memel kommen sie an den Menschenschlan-
gen vorüber in den Wahlraum, der meist über-
raschend klein ist für die vielen Wahlnischen. In
einem Raum wählen zugleich 10, 20, mitunter
auch 30 und mehr Wähler. Die Taschenuhren
werden gezückt und Stichproben gemacht. Es
stellt sich heraus, daß „Rekordleute" es in fünf
Minuten schaffen. Die große Mehrzahl aber
braucht erheblich länger. Ein junger Litauer
hat es endlich nach 16 Minuten hinter sich. Alte
Frauen aber brauchen eine Halbe Stunde, eine
Stunde und noch mehr Zeit. Dazu kommt die
Zeit für die Abfertigung an den Wahltischen.
Mit stiller Verbissenheit erzählen die Memel-
länder, wie schwierig der Wahlakt ist. Ueberein-
stimmend hört man Klagen über die mangel-
hafte Perforierung der Blocks, so daß das Her-
ausholen der Wahlzettel nur mit der Schere
möglich ist.
Von einer Geheimhaltung der Wahl kann man
beim besten Willen in diesen engen Räumen
nicht reden. Man fleht über die Schultern der
Wähler hinweg, wie sie ihre „Gebrauchsanwei-
sung" der Einheitsliste vor sich haben und danach
wählen. Außerdem sind die Pressevertreter er-
staunt, kaum ein litauisches Wort zu hören,
wenn es nicht gerade aus dem Mund eines

Wahlvorstehers kommt. Alle sprechen Deutsch
und überfallen die Journalisten mit ihren maß-
los empört vorgebrachten Klagen über die Schi-
kanen der Wahl. Viele brechen in Tränen aus.
Vielfach handeln die litauischen Helfer nicht nach
den Wünschen ihrer memelländischen Wähler,
stecken zu wenig oder falsche Zettel in die Um-
schläge. Die Vertreter der Einheitsliste, die der
großen Mehrheit zu helfen haben, sind in einer
Minderheit, di« geradezu grotesk wirkt.
Die Ein- und AusdSrgenmgen
DNB. Berlin, 28. Sept.
Zu den im Ausland verbreiteten litauischen
Meldungen über die Zahl der Ein- und Aus-
bürgerungen im Memelgebiet ist folgendes zu
bemerken:
Tatsächlich sind im Memelgebiet bis zum 1.
April d. I. 5238 Personen eingebürgert worden,
und nach diesem Zeitpunkt noch mindestens 5000,
Letztere größtenteils in Widerspruch mit dem
Memelstatut, da der statutswidrige Präsident
des Direktoriums Bruvelaitis im April d. I.
die Richtlinien für die Einbürgerung geändert
und dabei die Bedingungen einjährigen Wohn-
sitzes im Memelgebiet, sowie der Erfüllung der
Steuerpflicht beseitigt hat. Auf diese Weise
haben auch solche Personen im Memelgebiet das
Wahlrecht erhalten, die es in Litauen nicht be-
sitzen. Es sind sogar Saisonarbeiter eingebür-
gert worden, die nicht einmal ihren Wohnsitz
im Memelgebiet, sondern in Litauen haben.
Außerdem ist entgegen den Bestimmungen des
Statuts und des Wahlgesetzes ein besonderes
Wahlverfahren für die in letzter Zeit stark ver-
mehrten Militärpersonen und Grenzpolizeibe-
amte eingeführt worden, durch welches deren
Stimmabgabe der öffentlichen Kontrolle ent-
zogen wird.
Mit den Ausbürgerungen hat man in erster
Reihe die Führer des Memeldeutschtums treffen

Wählerlisten bei -er Polizei
DNB. Tilsit, 29. Sept.
Wie zu dem Vorgehen des Direktoriummit-
glieds Anysas, das am Samstag mit einem Auf-
gebot der litauischen Staatspolizei die Büros
des Memeler Magistrats besetzte, noch bekannt
wird, wurden die Beamten und Angestellten des
Magistrats gezwungen, ihre Büros, in denen die
Wählerlisten bearbeitet wurden, zu verlassen,
so daß die sämtlichen Wählerlisten der Stadt
Memel in die alleinige Verfügungsgewalt des
Direktoriummitglieds Anysas und der litauischen
Staatsschutzpolizei übergegangen sind. Offenbar
ist der litauisch« Eingriff darauf zurückzufllhren,
daß der Magistrat Memels, der bereits den bis-
herigen Einbürgerungsanträgen des Direkto-
riums unter Anzweiflung ihrer Loyalität und
Rechtsmäßigkeit nicht ohne weiteres entsprochen
hatte, sich auch zur Ausstellung der aufgrund der
berichtigten Verordnung der Wahlkreiskommis-
sion vom 4. September eingeführten Stimm-
scheine nicht hergegeben hat. Der litauischen
Willkür sind damit alle Wege zur Verstärkung
ihrer Wahltruppe geöffnet
Litauischer Ueberfall auf deutsche Klebekolonne
DNB. Memel, 29. Sept.
Wie aus Prökuls gemeldet wird, ist es dort
in der Nacht zum Sonntag zu kleinen Zusam-
menstößen gekommen. Etwa 20 Litauer überfie-
len eine Klebekolonne der Einheitspartei, die
aus fünf Mann bestand, und feuerten mehrere
Schüsse auf sie ab, die aber niemand verletzten.
Im weiteren Verlauf der Nacht kam es dann zu
einer Schlägerei, bei der die 2V Litauer mehrere
Memelländer durch Schläge verletzten.
Von Litauern schwer verletzt
DNB. Memel, 29. Sept.
Am Samstag ist der Memelländer Mikloweit
aus Jonaten, Kreis Heydekrug, von Litauern,
die in einem Postauto vorüberfuhren, auf der
Straße beim Anbringen von Werbematerial für
die memelländische Einheitsliste durch Messer-
stiche schwer verletzt worden.

Nach einer Meldung der „Preß Association"
hat Großbritannien erklärt, daß es keine Son-
dervevbandlunsen mit Italien wünstbe.
 
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