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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft I (Januar 1910)
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Kling, G.: Bilderschrift und Fibelbilder, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0014

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clas Sinnbild, und die Schriftsprache konnte sich nach Inhalt und Form gerad-
linig vervollkommnen. Damals gab es originelle und auch ästhetisch wertvolle
Schriftformen und Handschriften. Solange nur wenige geschichtliche Tatsachen
als Grabschriften aufgezeichnet wurden, schrieben bezw. malten meist wohl echte
Künstler, und die liessen sich Zeit. Aber die reichere Lebensgestaltung des
königlichen Hauses hatte eine Weiterentwicklung der Staatsform, des Gerichts- und
Steuerwesens im Gefolge und bald beliebte es dem Gebieter, seinen Willen, in
sicherer Fassung auch in die entferntesten Provinzen wirken zu lassen; dazu war
die Kunstschrift wenig geeignet. Der Schnellschreiber verdrängte den Schönschreiber
im staatlichen Verkehr, leider bald auch in der Geschichtsschreibung. Der Verein-
heitlichung und Vereinfachung fielen die schreib- und leseschwierigen Kunstformen
zum Opfer, die originellen „Handschriften“ verschwanden und es entwickelten sich
einfache, feststehende Bildschriftformen, die Hieroglyphen. Immer noch war jedes
Bild ein Begriffswort, und wer die Naturformen kannte, konnte auch lesen. Da
Laute wiederkehren, durch
einen gewaltigen Abstrak-
tionsprozess wurden die
Einzellaute gefunden und
— geschrieben. Es war ein
glücklicher Griff der alt-
ägyptischen Gelehrten, dass
sie der alten Tradition ge-
mäss beim Bilde blieben
und vorerst nicht künstliche
Lautzeichen schufen. Lei-
der waren bei ihnen Eigen-
dünkel undKastengeist mit-
bestimmend, sie blieben
die Wissenden und Kön-
nenden , das Volk blieb
ungebildet. Sie schufen die
L au t b i 1 d e r und damit die
Lautschrift. Dazu ver-
wendeten sie typische Bilder von einfachen, allgemein bekannten Naturformen, sagen
wir etwa einer Palme für den Laut P, eines Fisches für F, und war der Schüler
einmal eingeweiht, dass er nur den ersten Laut der geschauten Palmform beim Lesen
festhalten müsse, dann konnte er ohne viele Mühe bald ziemlich geläufig die steinernen
Geschichtsbücher und staatlichen Dokumente entziffern. Durch die sehn eilschreibende
Hand wurden aber die typischen Merkmale der Naturform verwischt, und so kam
der Zeitpunkt, wo das Auge keine Beziehung mehr zwischen dem Lautbild P und
der ursprünglichen Palmform finden konnte; die Handschriften wurden unleserlich,
verschnörkelt und verziert: die Naturform wurde zum künstlichen Lautzeichen.
Das Lesenlernen wurde zur mühsamen Gedächtnisarbeit und blieb eine solche.

Abbildun


Vom Ding- zum Lautbild war ein altes Kulturvolk zum Lautzeichen empor-
gestiegen und hatte es damit herrlich weit gebracht. Wir, die modernen Kultur-
träger, müssen nun mühsam den gleichen Weg zurückfinden, um dem Kinde gerecht
zu werden. Und das Ende des Weges? Blüht nicht die Allegorie in der Kunst
und das Bilderrätsel im Unterhaltungsblatt? Wer weiss, ob die Bilderschrift nicht
eines Tages an Kunsttempeln oder Warenhäusern oder gar im Elementarunterricht
auftaucht. Ob sie wohl zur Volksschrift werden könnte? Eher zur Druckschrift,
jedenfalls aber zur originellen Zierschrift. Wie wär’s, wenn Eltern und Lehrer
einmal einen Versuch machen würden? Ich hab’s probiert:
„Kinder, schreibet das Wort Katze.“ „Wir können's nicht.“ „Dann malet
eine Katze.“ Grosser Eifer! „So jetzt habt ihr’s geschrieben.“ Jubel! „Nun
schreibet auch, was die Katze tut.“ Freudiges Verstehen! Hier springen Mäuse
nach allen Ecken der Tafel und die Katze fasst im Sprung die nächste, dort spielt
 
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