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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 4.1910

DOI Heft:
Heft IV (April 1910)
DOI Artikel:
Bender, E.: Kunstunterricht, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0057

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Abbildung 2.

Schiilerarbeit der graphischen Abteilung der Gewerbeschule München
(Leiter: Direktor Godron).

Können wir unsere Schüler zu einem solchen Sehen erziehen? Als ich noch
ein Kind war, da machte mir eine Geschichte, die meine Mutter mir öfters erzählte,
viel zu schaffen. — In einem Berge befindet sich eine weite prächtige Höhle. Die
kostbarsten Schätze sind hier aufgestapelt; Schätze, die den Besitzer nicht nur
reich, sondern auch glücklich machen. Wer die Höhle sucht, dem wird Hilfe.
Ein freundlicher Zwerg weist den Weg, er erzählt von den Schätzen und ihrer
Wirkung und gibt Ratschläge, was man wählen soll. Vor dem Eingang der Höhle
liegt ein mächtiger Stein. Ein einziges Wörtlein muss man sprechen, dann öffnet
sich das Tor. Dieses Wörtlein kann der freundliche Begleiter nicht sagen, so
gern er es täte; denn für jeden Menschen ist ein bestimmtes Wort aufgeschrieben,
das er sprechen muss,
und jeder muss ein
anderes sagen. Und
wenn der Suchende
sein Wort nicht
sprechen kann, dann
verhüllt d er Z werg s ein
Angesicht und weint
bitterlich. — Es ist
dies eine chinesische
Eabel; ich möchte sie
anwenden auf die
Schule des Sehens.
Wir wollen unsern
Schülern der freund¬
liche Begleiter sein,
wir wollen ihnen den
Weg zeigen zum
rechten Sehen in der
Natur; aber das eine
letzte Wort, das
können wirihnennicht
sagen, das muss jeder
selber finden. Wenn
sich das ausübende
Zeichnen auf dem
richtigen Sehen auf¬
baut, dann wird es
gemütbildend wirken.
Wir betonen vielleicht
zuviel die Verstandes¬
tätigkeit beim Zeich¬
nen ; das führt zur
Pedanterie, zu einem
freudlosen Unterricht.
Je inniger die Ver-
bindung zwischen Sehen in der Natur und ausübendem Zeichnen ist, desto
befruchtender für die Gemütsbildung lässt sich der Zeichenunterricht gestalten. Auf
die Wichtigkeit des Zeichnens in freier Natur ist in diesen Blättern schon oft hin-
gewiesen worden.

Die Belehrung beim Betrachten von Kunstwerken.
In Betracht kommen Künstler-Steindrucke, gute Reproduktionen nach Kunst-
werken und, wo es möglich ist, mehrmaliger Besuch einer Kunstsammlung.
Die Schule des Sehens bildet die beste Grundlage für das Verständnis der
Werke unserer Künstler unter der Voraussetzung, dass das Sehen zur Vertiefung
unseres Gemütslebens geführt hat. Die Kunst ist „Ausfluss tiefen und wahren
 
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