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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — 4.1910

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Heft IX (September 1910)
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Henrici, Karl: Ueber die Pflege des Heimatlichen im ländlichen und städtischen Bauwesen, 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.34105#0141

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127

Hiermit wird ein etwas heikles Thema berührt. Die Riesenfortschritte, die
auf allen technischen, wie auch auf vielen anderen Gebieten in der Neuzeit gemacht
sind, beruhen zum grossen Teil auf Arbeitsteilung und Spezialisierung der Berufs-
fächer. Diese Spezialisierung der Berufsfächer ist von der Technikerschaft selbst
erstrebt und für die Schulen den Staatsbehörden gewissermassen abgerungen worden.
Es würde einen Rückschritt bedeuten, wollte man die mit vieler Mühe erzielte
Trennung zwischen dem Ingenieur- und Architektenfach nun wieder aufheben und
wieder wie früher jeden Staatsbaubeamten durch das Staatsexamen auf alle Fächer
eichen lassen. Aber eine grundsätzliche und vollkommen durchgeführte Scheidung
schiesst über das Ziel hinaus und unterbricht
die Fühlung, in der doch immer die Ingenieure
mit den Architekten stehen müssen. Mit andern
Worten: die Gebiete des Ingenieurwesens und
der Architektur werden ewig ineinander über¬
greifen, und nichts ist verkehrter, als ein zünftiges
Sichgegeneinanderabschliessen. Es gibt viele
Aufgaben, bei denen der Architekt sich als
Ingenieur, und der Ingenieur als Architekt
betätigen muss, und bei denen es höchst um¬
ständlich odervielleicht gar unmöglich sein würde,
dass der eine den andern zu Hilfe riefe. Ebenso¬
wohl wie vom Architekten zu verlangen ist, dass
er zweckmässig und schön einen kleinen Weg
anlegen und eine kleine Brücke bauen könne,
muss der Ingenieur imstande sein, ein kleines
Haus zu bauen, sodass es nicht einfällt, und
auch nicht schlecht aussieht. Zu dem einen bedarf
es keiner Rechenkunst, die der Ingenieur zur
Lösung grosser und schwieriger Konstruktions¬
probleme nötig hat, und zum andern keiner
historischen Stilkenntnisse und keiner Ver¬
zierungskunst, die der Architekt bei monumen¬
talen Bauausführungen nicht entbehren kann.
Es gibt also ein Grenzgebiet, auf dem beide
zu Hause sein müssen, und dieses Grenzgebiet
recht fleissig zu beackern und dabei den an¬
gehenden Architekten und angehenden Ingenieur
zu einem Gespann vor dem Pfluge zu ver¬
einigen, ist als eine ebenso dankbare wie
wichtige Aufgabe aller unserer Bauschulen anzusehen. Noch auf eins mag schliess-
lich hingewiesen werden, was immerhin etwas dazu beitragen könnte, den pietät-
vollen Sinn und das Schönheitsempfinden der ländlichen Bevölkerung wieder zu
wecken und zu heben.
Die reichen Schätze, die an alter Haus- und Heimatkunst auf dem Lande
aufgespeichert waren, sind ausgeraubt und sind zum Wucherartikel geworden, wo
sie nicht schon ihren Platz in Museen und Privatsammlungen gefunden haben.
Dieser Raubzug wird munter fortgesetzt, wo noch etwas zu finden ist, und in billigen
Erwerbungen, mit denen jedesmal die verarmte Kirchengemeinde oder der düpierte
Bauer um ein wertvolles Erbstück ärmer wird, wetteifern die Museumsdirektoren
mit den Althändlern und Privatsammlern. Belehre man lieber die Bauern und
kleinen Leute über den Wert, den sie in ihrem von den Breitern ererbten Haus-
rat besitzen, und wo sie diesen Besitz nicht halten können, da sorge man wenigstens
dafür, dass er am Ort verbleibe und seine Anziehungskraft ausübe zugunsten eben der
Gemeinde, aus deren Schosse der Wertgegenstand hervorgegangen ist. Richte man zu
diesem Zwecke von Staats wegen Orts- oder Lokalmuseen ein, verbiete die Ausfuhr und
setze Prämien aus für jede Förderung des Interesses an solchem heimatlichen Werke.
 
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