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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 1 (Januar 1931)
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Parnitzke, Erich: Rund um den Spielwürfel: eine gerahmte A-U-Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0025

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und die der e-Reihe läßt sich zurückführen, was wir
an Richtungsstrukluren der Wand- und Tafelmalerei —
die Gesamtgruppierung betreffend — im Mittelalter
vorfinden. Und immer wieder finden können. Ich er-
innere nur an Hodlers „Auszug" in Jena, den bekann-
testen „zweistöckigen" Fries (im Sinne von 2f) der
jüngeren Malerei. Bei 1 f, der Kinderzeichnungsform:
Boden unten, Himmel oben, bin ich der Ansicht, daß
darin schon späteres Bilderbe verwendet ist. Es gibt
— historisch — in der primitiven Kunst nicht diese
Form, und es ist anzunehmen, daß in der Kinderzeich-
nung die Vorstellung: der Himmel gehört ins Bild be-
reits genährt ist von erfahrenem Bildgut, was ja aber
nichts gegen die selbständige Beurteilung, d. h. die
echte Art der Verwirklichung besagt. 3f stellt den
Anschluß an die Sechs wieder her. Sie will in die
Breite gehen, sagte ich schon. (Oder in die Höhe —
ich verzichte indes hier auf Besonderheiten der Hoch-
formate, um den Umfang der „Spielerei" nicht zu weit
zu treiben.) Das Bemerkenswerte bleibt, daß erst die
Dreier-Gruppe eine glaubhaft dichte Versammlung
abgibt. Von Gemälde im engeren Sinne — als ge-
rahmtem Tafel- und Staffeleibild — pflegen wir erst
zu sprechen, wenn es sich wie eine Individuelle Haus-
fassade behauptet, d. h. in sich versammelt ist, eine
Mitte hat. 3f hat bei größter Selbständigkeit der Teile
(Säulen, Pfeiler,, als welche die Figuren dastehen)
schon eine Bindung, die ich in 5c angedeutet habe:
die Mitte wird zum Haupt-A-Bestand, zu dem die
Seiten richtungsmäßig hinführen. Ob das nun Arm-
bewegungen sind oder was sonst, bleibe hier außer
acht. Im Augenblick, wo die Beziehung hergestellt
ist, läßt sich die Tafel nicht mehr durchsägen (bzw.
die steinernen Figuren müssen zusammenbleiben)
oder mit Scharnieren in ein Tryptichon verwandeln —
die Flügel sind angewachsen. 4f eine Variante aus
der Frührenaissance, dreifacher Bogen, dreifache
Nische, durch die Farbe zwei Dreiecke in der Sechs
abgewandelt. Desgleichen noch bei Tizian in der
Kirschenmadonna — 5f — wo die Scheren nicht nur
von rechts nach links, sondern auch von vorn nach
hinten verschränkt sind. Der ideale Bildgrund wird
durchgehalten wie ein Generalbaß durch den Teppich,
denselben Teppich, der zuvor Goldgrund hieß oder
unendliches Muster von „Sternen" oder aber — um
mit Britsch zu sprechen — primär, d. h. richtungs-
mäßig, d. h. „punkthaft" durchbeurteiltes allgemein-
stes Ul 6f soll Hodlers „Genfer See" vorstellen (bitte
Druck nachschlagen), bei dem die Sechs ebenfalls der
ganzen Bildfigur zugrunde liegt. Soweit einige Le-
bensdaten der breitgereckten Sechs des Würfels,
wozu noch e i n Wurf ausreichte. Als Anmerkung diene
noch: Als Sextaner mußten wir den Ball, den Drachen,
das Kastanienblatt wie 1a anordnen, mit ausgemes-
sener Mitte. In der Tertia war es beliebt, den offenen
und geschlossenen Kasten zugleich in den Raum zu
setzen wie 5a. Schmetterlinge wurden auch zu fünfen
vereinigt. Das Viererschema des Bogens blieb unbe-
liebt — der Zusammenhang fehlte meist, es sah nach
nichts aus. Die Drei machte auch kein Studienblatt
ansehnlicher: Treppe mit oben und unten nichts.
(Nebenbei: Warum ist der „Punkt" rund? Man denke
an den ersten „allgemeinen Kopf”, das noch „allge-
meine Auge" usw. Hinsichtlich des Langformats sei
noch erinnert an die Plätze der „Augen" von Eins bis
Zehn beim Kartenspiel.)
Simultane Doppelung — das von mir eigentlich
Gemeinte.
Simultan bedeutet gleichzeitig, aber gleichzeitig
bedeutet eben nicht ganz simultan. Im Beispiel 5f
sind zwei Dreiecke gleichzeitig verwendet als Gerüst,
aber es bleiben zwei Dreiecke mit sechs „Punkten".
Was simultan bedeuten kann, zeige 1g und 2g. 1g:
ein Doppelwurf mit je vier Augen. In der Zeichnung

könnte man das eine Quadrat ins andre z. B. übereck
setzen und hätte den Doppel-Wurf gleichzeitig. 2g
zeigt, daß es besonderes „Zugleich" gibt: acht Augen
werden vereinigt, sechs sind nur zu sehen, aber es
sind acht zu fühlen, nämlich die überschnittenen mit-
gerechnet. Diese Zauberei erläutere noch einmal 1h
und 2h: Zwei Kreise sind zwei Kreise. Eine Ellipse ist
mehr als zwei Kreise; sie hat zwei „Mitten", aber
eine Grenze. Man könnte auch sagen: ein Kreis
tritt auseinander, er verdoppelt sich ohne Zwei
zu werden. 11 zeigt aber die physiologische — nicht
— mathematische Herkunft dieser Zauberei. Wenn man
1a — meinen Anfang — ins Auge gräbt, so entsteigt
ein Wunder des Auges — sein Gegenbild: Schwarzer
Punkt auf weißem Feld. 1i — mein1 Ende, zu dem ich
hinstrebe — zeigt dies zugleich, aber noch grenzhaft,
bei Selbständigkeit der Teilanblicke. Ich sage nun:
so wie die Ellipse eine neue Einheit eingeht zum
Unterschied vom Doppelkreis — 2h zu 1h —, so wird
der bekannte Simultankontrast bei 1i zu einer höheren
Einheit verschmolzen, wenn die Teilquadrate sich
durchdringen wie bei 2g angedeutel. Und ich sage
weiter: das barocke Bild, wovon ich die Beispiele 3h,
3i und 4g, 4h, 4i skizziere, ist als simultane Doppe-
lung anzusprechen, die — ähnlich der Ellipse — zwei
Brennpunkte enthält, in denen sich die Spannungen
des Helldunkels (der Dehnungsveränderlichkeit der
Farbe) konzentrieren, bzw. symmetrisch gegenüber-
stehen. Der Begriff der Symmetrie ist zu Unrecht be-
schränkt worden auf die reine Richtungs- und Lage-
symmetrie. 11 ist — auf seine Art — ebenso symme-
trisch wie 3f, wie andrerseits 31 und 41 auch ihre
Symmetrie haben. Was besagen soll, daß Symmetrie
verwirklicht werden kann — und werden muß, wie ich
hinzufüge — in allen Phasen des Bilddenkens, d. h.
eines Bildbaues, der Anspruch darauf erhebt, kompo-
niert zu sein. Ich habe allerdings mich auf einfache
Beispiele scheinbarer Asymmetrie beschränkt — es
gibt viele andre und kompliziertere. Man hat vom
barocken Bild gern gesagt, daß es sich durch Asym-
metrie auszeichne, durch Bevorzugung exzentrischer
Komposition. Nun sind aber die vorerwähnten Bei-
spiele aus der holländischen Schule des 17. Jahrhun-
derts, die fast durchgehend den Bildaufbau peinlich
ordnet, auch wenn der Anblick noch so „selbstver-
ständlich", d. h. zufällig wirkt. Das „kleine Quadrat"
allerdings — 3g — richtiger: die kleinen Quadrate
im Langformat, durch herumschlagen der Schmalseiten
zu finden und sozusagen die beiden „Kreise in der
Ellipse" wiederherstellend, sind eine Eselsbrücke,
immerhin aber ein Gerüst, das sich bei vielen Bildern
nachweisen läßt. Eine Eselsbrücke wird dazu immer
erst dann, wenn ein Esel drübergeht. Die Maler, die
sie benutzten, vertrauten erst der Empfindlichkeit
ihres Auges, dem der Simultankontrast, das Sinnes-
erlebnis der ausdehnungsverändeilichen Farbe geläu-
fig war, kontrollierten aber sehr wohl, was herauskam.
Für das „kleine Quadrat" gilt im Übrigen, daß es
nicht geometrisch wörtlich genommen werden darf —
und nicht so genommen wurde: in einer Ellipse sind
keineswegs wörtlich zwei Kreise enthalten, ihre
Brennpunkte sind nicht identisch mit den angeblichen
beiden „Kreis"-mittelpunktenl So ist es auch mit den
Quadraten, die zu einem Breitformat verschmolzen
sind. Ich nehme diese Quadratur im Bildbau nur des-
wegen auf, weil ich auf andre Weise nicht klarzu-
machen vermag, was in den Bildern vorgehl. 3i ist
typischer Fall. Links ein Segelschiff auf dem Meer,
rechts „nichts". Jeder Primitive müßte das Bild zu-
rückbeurteilen: da fehlt was, da muß noch was hin.
Was aber da ist, ein Lichtfarbfjeck „Himmel" oder
„Wolke", ist hier ebenso A-gemeint, wie der Segler,
er wird von dessen Farbe getragen, wie umgekehrt
der Segler zum Zwillings-A-Bestand wird, weil durch
die „Leere" in seinem Farbwert bestimmt und durch

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