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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 1 (Januar 1931)
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Parnitzke, Erich: Rund um den Spielwürfel: eine gerahmte A-U-Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0024

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ben ist. Dieser behelfsmäßige Ausdruck klärt aber
keineswegs,, was die Ordnung des Bildbaus bildne-
risch ausmacht. Bleiben wir jetzt dabei, daß die Drei
unsern Blick bannt und außerordentliche Eigenschaften
hat, Brücken zu schlagen, Spannungen zu erzeugen—.
Zwei
bei der Zwei mag wieder an den Blumentisch er-
innert werden. 5b nämlich bleibt immer ein Doppel-
blumenstrauß, bleibt Zwei-Halbe, 5a erst spricht un-
widerleglich als Zwei-Ganze — Gesetz des größt-
möglichen Unterschieds. 5b ist erweiterungsbedürftig,
wie auch 4b, wirkt nur als Glied einer Reihe, die sich
erst zusammenfügt im Falle der Sechs.
Sechs
Die Sechs ist eine Gruppe von bösen Spaltpilzen,
die unser Quadrat auseinandertreiben. Alle andern
Augengruppen bewahren wenigstens die Anhäng-
lichkeit, daß sie sich mit dem Quadrat beliebig um-
kippen und auf die Spitze stellen lassen (bitte aus-
führenl), sie bleiben im Bann des Gleichseitigen
irgendwie drin — auch wenn sich noch so wech-
selnde Anblicke entwickeln dabei, die Sechs aber ist
entweder in der Länge zu lang oder in der Breite zu
breit. Es heißt, wir nicht mehr als fünf Dinge vorstel-
len können, in einer Figur, ohne zu unterteilen (eins
und vier, zwei und drei), daß bei der Sechs die
Grenze liegt, von wo es automatisch in die Gliede-
rung geht: zwei mal drei. Man betrachte 6b. Nach
dem Vorbild der Zwei stehen sich Drei-Punkte diago-
nal gegenüber, nach dem der Drei sind Doppelpunkte
diagonal gereiht. Bleibt künstlich! 6a ist schon die
Bestlösung, d. h. gleichgültigste U-Beanspruchung zu-
gunsten des nun einmal schwierigen Bestandes
„Sechs" im Quadrat. Erst die Neun würde wieder be-
friedigen, indes auch sie mit ihren Streifen lang und
quer dazu reizt, den Richtungsreiz: diagonal zu ver-
wirklichen um aus der Addition eine Bindung zu ma-
chen wie bei der Fünf und 3d, jede mögliche Leere
zu vermeiden, und die erste Qualität der Bindung in
der Fläche, deren die frühe Denkmöglichkeit (gerich-
tet, begrenzt, ausgedehnt, aber noch nicht: grenz-
loser Übergang) fähig ist, auszubilden.
Die Sechs, gelesen wie 5c, ist Reihung in einer
Richtung, bildet ein Gitter (gleichgültig, ob aus
Latten, Balustern oder menschlichen Figuren beste-
hend), oder — übereinander, 6c — Streifen, Stock-
werke, Strophen (gleichgültig, ob das die Kinder-
zeichnung ist mit Erde unten, Himmel oben oderSok-
kel und Dach einer Hausfassade oder ein Glasgemälde;
eben bei den senkrecht getürmten Glasgemälden
spricht man von „Strophenbildung'').
Als hierzugehörig mödile ich noch zitieren, was Kandinsky in
seiner Schrift: Punkt und Linie zu Fläche (Bauhausbuch 1926) in dein
Abschnitt über „Anzahl der Elemente im Werke" zu der Frage sagt,
ob ein Punkt für ein Werk ausreiche. „Der Zweiklang — Punkt, Fläche
— (beim Punkt im Zentrum eines Quadrats) nimmt den Charakter eines
Einklanges an. — Auf dem Wege der Vereinfachung ist dies der
letzte Fall . Zurückführung der Komposition auf das einzige Urele-
ment. So stellt dieser Fall das Urbild des malerischen Ausdrucks dar".
Ich zeichnete damals meine Würfel-Bilder an den Rand — angestoßen
von dem Kandinskyschen Punkt im Quadrat und ohne noch die Britsch’-
schen Erklärungen für diese „Einheit" zu kennen. Kandinsky sagte zu
dem „Urbild" noch, daß darin das „qualitative Element selbstredend
ausbleibe". Tatsächlich dürfte wohl klar geworden sein, daß es selbst
beim „Würfel" dennoch darin sein kann. — Historisch nämlich für
die intuitive Neu-Entdeckung der Urphänomene - bleibt interessant,
was Malewitsch in seiner „Gegenstandslosen Well" (Bauhausbuch 1927)
schreibt: „Als ich in meinem verzweifelten Bemühen, die Kunst von
dem Ballast des Gegenständlichen zu befreien, zu der Form des Qua-
drates flüchtete und ein Bild, das nichts als ein sdiwarzes Quadrat auf
weißem Felde darslellle (im Jahre 1913) ausslellte, sah die Gesellschaft
in der Gegenstandslosigkeit das Ende der Kunst und erkannte nicht
die unmittelbare Tatsächlichkeit des Gesfaltwerdens der Empfindung.
Das Quadrat. . und die aus ihm entstehenden Formen sind den pri-
mitiven Strichen (Zeichen) des Urmenschen zu vergleichen, die in ihrer
Zusammenstellung kein Ornament, sondern die Empfindung des Rhyth-
mus darstellen." Ebensowenig sinnlos war die Tal eines andern rus-
sischen Malers, der damals eine rein weißgeslrichene Leinwand aus-
stellte als Gestaltung der „Urfläche". Diese beiden Beispiele des Suchens

na.h reinen Anfängen, des Entschlusses zu einer tabula rasa der Kon-
ventionen, dürften - so sdieint mir als Zeichen des Slrobens eine,
ganzen Epoche, Antworten auf quälende Fragen zu finden, erwähnens-
wert bleiben. Auch Brifsch's überzeugende Antworten sind diesem Be-
dürfnis entsprungen, das durdr ganz Europa geisterte: zu Quellen
zurückzufinden, die verschüttet waren.
Nicht unerwähnt bleibe, daß Kandinsky meines Wissens als Erster
die eigenartig verschiedenen Wirkungen der rechten und der linken
Bildgrenze erörtert, desgl. des Oben und Unten, aber auch der sehr
unterschiedlichen Diagonalrichtungen (lyrisch und dramatisch) — ob
wie bei meiner Drei oder aber der Zwei (<1a und 5a) verlaufend. Es
ist keineswegs nur Gewohnheit, wenn wir slußen, weil ein Diapositiv
von einem Bild spiegelverkehrf „an die Wand geworfen" wird. Ich
habe bei 5h das Schema von 4g (CI. Lorrain) verkehifherum wieder-
holt. Bitte Probe machen, worin es anders wirkt I —
Die Spielwürfel in der Reihe — ein Zwischenspiel.
Die Beispiele zu e zeigen, was gemeint ist und ent-
steht, wenn die Einsen, Vieren, Fünfen vieler Würfel
je eine Kette machen. Siehe da: 1e ergibt die Urform
eines weiterbeurteilten schmalen Streifens (gleich-
gültig, ob gewebt, gestickt, mit Polsternägeln an einer
Borde entstehend). Ein Schmuckwert, entstanden aus
dem Bedürfnis, die einfache Zutat zur deutlichsten
Geltung zu bringen. 1c ist als — historisch gleich-
zeitige — Betonung der Randgrenzen ebenso eindeu-
tig. Das perforierte Filmband erinnert daran. Als ich
für das Klischee meiner Würfel die Augen stanzte —
sie sind aufgeklebt — „genoß" ich den durchlöcher-
ten Rand des weißen Papierstreifens; daher dies
Zwischenspiel. 3c ist beides vereint und dennoch
mehr; es kann überkreuz gelaufen werden und mit
dem Band, bei freier Bewegung wohl auch in der,
Wellenlinie. Der Kreuzschritt oder die „Schere" ist
auch so ein uraltes Vergnügen des Auges. (Noch bei
4f und 5f klingt er durch.) 4e und 5e bringen ein
weiteres Motiv, das Schule gemacht hat im Laufe der
Jahrhunderte. Empirerahmen aus „Stäben", die ein
Band umwindet oder auch überkreuz bindet, tauchen
auf, aber die geritzten „Bänder" aus Schrägen (und
Zickzack Hin und Her der Drei) in der primitiven Kera-
mik wollen nicht vergessen werden. Schließlich der
Gegenpart zu 1e und 2e: der Querstreifen (6e), eben-
so häufiges frühes wie spätes Bandmuster.
Die selbständig gemachte Sechs
Im Quadrat bleibt sie eine zusammengedrückle
Ziehharmonika. Geben wir ihr die Freiheit, die sich
fast alle „besseren" Bilder nehmen, ein Langformat
zu bewohnen. Warum tun sie das eigentlich? Weil
auch ins Bild eine Grundform alles Vorstellens ein-
geht: der Ablauf, das Eins-nach-dem-andern, die Zeit.
Weil lange, ehe es goldgerahmte Bilder und nor-
mierte Zeichenblockformate gibt, die Grundflächen
(abgesehen von rein zentrischen Fällen) irgendwie
herumliefen, um Speerschäfte, um Gefäßwände, um
die „Gefäß"-Wand des Zeltes, der Hütte, der Klei-
dung, weil auch — so müßte man mit Britsch sagen,
das Urvermögen, Richtungen vorzustellen, einfache
Richtungszusammenhänge zu halten, begierig die
technisch gegebenen Richtungsreize aufgriff, stets
bereit war, sich an vorhandene Richtungsbestände,
die aus praktischen Bedürfnissen da waren, anzuleh-
nen. (Ebenso, wie wir in der Frühe der Menschheit
das Genügen finden, Kritzeleien und Bilder irgendwo
anzubringen, auf allgemeinstem U, finden wir andrer-
seits auch ein geradezu ängstliches Vermeiden und
Umgehen großer Flächen — etwa auf Gefäßwänden
und nur die natürlichen Grenzen — Ränder — zur
Anlehnung wahrgenommen. Das Erfüllen der leeren
Fläche ist offenbar schon eine spätere Phase.) Aber
auch, weil das Gegenstandsinteresse nicht wegdenk-
bar ist, das Erzählen und Aufzählen wollen. Jedenfalls
finden wir als Hauptformen des Bildbaus den Erzähl-
streifen —- das Band, das „Gitter", die „Schere" —
neben dem „Teppich" — der dem allgemeinsten
„Streubild'' nachfolgt. Auf die Schemata 3a bzw. 3d

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