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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 11.1931

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Heft 5 (Mai 1931)
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Sprechsaal / Umschau / Buchbesprechungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28010#0152

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„Rolkäppchen und der Wolf"
Nach einer in Wasserfarben
ausgeführlen Schüler Zeichnung
einer 10jährigen Schüleiin


sprechen.1 Doch darf die Nalurnachahmung nicht
soweit gehen, daß die Grenze zwischen Kunstwerk
und Natur verwischt wird. Vielmehr muß die Distanz
zwischen beiden streng gewahrt bleiben. Denn sonst
wäre ja eben die Täuschung, der wir uns bei der An-
schauung hingeben, keine bewußte (Anmerkung des
Verfassers: Konrad Lange nennt die „künstlerische
Illusion" eine „bewußte Selbsttäuschung"). Alle Ver-
suche, diese Distanz künstlich zu verringern, die wirk-
liche Natur in das Kunstwerk einzuschmuggeln, haben
sich als künstlerische Verirrungen erwiesen."
„Die eigentliche Aufgabe der Kunst besteht darin,
eine möglichst starke Illusion der Natur, aber unter
Wahrung desjenigen Abstandes von ihr, der im Wesen
der Kunst liegt, hervorzubringen. Ein Kunstwerk, das
diese Eigenschaft hat, nenne ich „i I I u s i o n s k r ä f-
t i g”. Ich meine damit nicht ein solches, das auf Täu-
schung ausgeht, indem es lediglich die Vorstellung
Natur erzeugt, sondern vielmehr ein solches, das
beide Vorstellungen, Natur und Technik (Anmerkung
des Verfassers: Unter „Technik" sind die Eigenschaf-
ten gemeint, die der Künstler von sich aus zum Kunst-
werk tut), in gleicher Stärke hervorruft.
Dio „Illusionskraft" in diesem Sinne ist also die
jenige I iyunsclmll dus Kunslwuiks, diu un die Stelle
der Schönheit und Richtigkeit zu treten hat. Sie ist
das eigentliche Geheimnis der künstlerischen Wirkung.
Ein Kunstwerk, das keine starke Naturillusion erzeugt
und gleichzeitig sich nicht deutlich und aufrichtig als
Kunstwerk bekennt, ist unter allen Umständen minder-
wertig. Schon die Absicht der Täuschung genügt, um
os aus der eigentlichen Kunst auszuschließen." . . . .
Soweit Konrad Lange. Das ist doch eine kunsttheo-
retische Begründung des Naturs'.udiumsl —
Für uns nun ist die Tatsache, daß der Weg des
Natursludiums im Zeichenunterricht früher falsch ge-
gangen wurde, kein Beweis dafür, daß er jetzt nicht
richtig begangen werden kann. Freilich wird dann an
innerem Überschwang gespart werden dürfen, damit
umso klarere Erkenntnis für das Wesen des Künst-
lerischen Platz greift. Sonst — gibt es die Mißver-
ständnisse, wie sie nun zutage getreten sind. —
Dann wird auch dem Kind das liebevolle Eingehen
auf seine Eigenart, das es braucht.
Gewiß ist „bildhaftes Gestalten" eine Aufgabe der
Volkserziehung, aber es muß auch volkstümlich
’ Vorn Vcrfiisser-gosperrfv--

sein und das wird es allein durch sein Verhältnis zur
Natur. Denn diese ist derjenige Faktor, der alle Men-
schen geistig miteinander verbindet. Deshalb heißt
es — gewiß mit Recht — gerade jetzt für die Kunst-
erziehung: „Zurück zur Nalurl"
Walter Lange, Göppingen

Antwort des Schriftleiters
Verehrter Herr Amtsgenosse!
Ich sehe Ihr ernstes Bemühen urn unsere Sache.
Darum will ich ausführlicher auf Ihre Darlegungen ein-
gehen. Wir wären vermutlich bälder auf den Punkt
gestoßen, worin wir uns unterscheiden, wenn Sie den
„Nachweis", daß Ihr „Vorstoß Berechtigung hat" früher
erbracht hätten. Dann wären uns manche Mißver-
ständnisse erspart geblieben.
Also, Sie sind mit mir durch dick und dünn gegan-
gen, bis zu jenem Märchenwald, wo der Wolf dem
Rotkäppchen erschien? Das wundert mich nicht. Diese
Stelle meines Weges war für mich selbst eine wich-
tige Wegmarke, die zu überschreiten mir nicht leicht
liul Jiihiukingu Uiiluiiiihlsvuisur he mußten, wie ich
in meinem Buche darlegte, voiausgehen, bis ich end
lieh die Sicherheit gewann, aus dem hindernden Dik-
kicht einer veralteten Bewußtseinspsychologie und
einer einseitigen Kunsttheorie herauszutrelen und das
unerforschte Land, das vor mir lag, als echtes Kinder-
land sehen zu können. Von da ab blühte vor meinen
Augen das Wunderland erst recht auf, das wir heute
mit dem Namen „Bildhaftes Gestalten im Schulunter-
richt" umschreiben. Und es wurde mir zugleich dei
Einblick in ein wesentliches Gebiet der Kunst er-
schlossen, für das die Formel: „Kunstgestalten ein
Ordnen und Klären des sichtbaren Seinsl" ebenso-
wenig genügen kann wie die geistreiche Illusions-
theorie Konrad Langes. Ich meine das in alle dunklen
Geheimnisse des menschlichen Unterbewußtseins hin-
abreichende Gebiet des symbolischen Kunstschaffens,
das heute allerdings nahezu erloschen ist. Dieses
symbolische Kunstschaffen war zu allen Zeilen nie-
mals ein naturnahes Schaffen.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Was erleben wir
beim Eintritt in eine gotische Kathedrale oder beim
Anblick der Dämonen, die die romanischen und goti-
schen Kirchen bevölkern? Kann man diesem Erleben

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