irgendwie gerecht werden mit der Auslegung, es wäre
ein „phantasiemäßiges Erleben einer vollständigen
oder nahezu vollständigen N a t u r Vorstellung"?
Ist es nun nicht merkwürdig, daß gerade Ihr, von
mir so hochverehrter Vater, der Schöpfer der Illusions-
theorie, es war, der für meine ebengenannten Unter-
richtsversuche rege Anteilnahme und warmes Verständ-
nis bezeigte, als ich ihm bei seinem Besuch unserer
Schule — es sind nun nahezu 11 Jahre her — die Er-
gebnisse vorführte und das Grundsätzliche erörterte?
Ich habe später alles Wesentliche dieser Versuche
in meinem Buch dargelegt und dort auch ausgeführt,
daß das Gestalten des Dämonischen für mich nicht
ein Stoffprinzip, sondern ein psychologisches und
künstlerisches Prinzip bedeutet. (Die von ihnen ge-
nannte Schülerzeichnung „Rotkäppchen und der Wolf",
die Arbeit eines nicht sonderlich begabten Mädchens,
soll zum Verständnis unserer Aussprache hier wieder-
gegebenwerden — sie wird in meinem Buch übrigens
nirgends als eine einheitliche Gestaltung bezeichnet.)
Sie sagen, verehrter Herr Amtsgenosse, wir seien
uns darin einig geworden, daß das Kind die Natur
gestalten wolle, haben aber übersehen, daß ich unter
„Natur" nicht nur die „äußere" Natur verstehe, son-
dern ebenso die „innere" Natur, aus der Form- und Farb-
erlebnisse emporsteigen können, die nach Ausdruck
drängen. Ein solches Form- und Farberlebnis, ein rich-
tiges Phantasma (siehe Palagyi!) ist nun das „Unge-
tüm", das, durch die „Einstimmung" der Aufgabe er-
weckt, aus der „inneren Natur" der kleinen Zeichnerin
emporstieg und in ihrer Zeichnung sichtbare Gestalt
gewann. Daß dieses Form und Farbe gewordene
Wachtraumbild das seelisch-geistige Eigentum dieses
Kindes war — es hatte erst wenige Zeichenstunden
genossen — ging aus dem Vergleich mit den ande-
ren Schülerarbeiten hervor: jedes Kind hatte sein
eigenes Ungetüm erschaffen. Daß das den natur-
gemäßen unterrichtlichen Tatsachen entspricht, kann
jeder Lehrer jeden Tag erfahren, wenn er eine ähn-
liche Aufgabe in ähnlicher Weise einleitet, wie ich
es auf S.137 und 138 meines Buches beschrieben habe.
Jeder von uns wird dann auch bestätigt finden, wie
die Phantasie des Kindes lahmgelegt ist, wenn man
von ihm verlangt, ein Bildwissen von bestimmten Na-
turtatsachen, das es auf seiner Gestaltungsstufe noch
nicht besitzt (in diesem Fall das Vorstellungsbild eines
Wolfes) bildnerisch zu verwirklichen. Es gehört zu dem
Grundbestand unserer psychologischen Erkenntnisse,
daß die geistige Entwickelung des Kindes vom Erfas-
sen und Deuten des Allgemeinen zum Erfassen und
Deuten des Besonderen fortschreitet. So steht auch
die Allgemein-Vorstellung: Tierl als anschauliche Be-
deutungseinheit lange vor der Vorstellung einer be-
sonderen Tiergattung oder gar eines Einzeltieres. Kann
sich doch selbst der Erwachsene für gewöhnlich Ein-
zeldinge nur auf dem Umwege über dessen sinnliche
Arteigenschaften willkürlich anschaulich vergegenwär-
tigen. Dagegen entwickelt sich beim Kind — es folgt
auch hier dem geistigen Fortschreiten der Menschheit
— schon frühzeitig das anschauliche Erleben von Vor-
gängen und Zuständen. Und es besitzt, wie wir im
Unterricht täglich erfahren, die Fähigkeit, die auf sol-
ches Erleben gegründeten Vorstellungen mit seiner
Phantasie so zu durchwirken, daß aus dürftigen Ele-
menten seiner Erinnerungen sich etwas gestalten kann,
„was sich nie und nirgends hat begeben."
Wie aus einem Streichholz eine Hexe werden kann,
so aus der dürftigen Vorstellung: Menschl ein schreck-
licher Riese und aus der Vorstellung: Tierl ein fres-
sendes Ungeheuer. Auch hier bestätigt es sich: Dürf-
tigkeit der Mittel weckt die erfinderische Phantasie.
Aus diesen kurzem Darlegungen ist zu ersehen: eine
der wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen
der Gestaltungsübungen ist es, die Anforderungen,
die wir an unsere Schüler stellen, in Einklang zu brin-
gen mit ihrem Bildwissen.
Mit der oben genannten tierischen und mensch-
lichen Dämonenwelt der Romanik und Gotik — Ähn-
liches finden wir in der sog. primitiven Kunst aller
Zeiten und Völker — sind die der Märchenphantasie
unserer Kinder entsprungenen Dämonen insofern ver-
wandt, als hier wie dort Phantasmen bildnerische
Gestalt gewonnen haben. Jeder sieht es: nicht be-
stimmte Einzelwesen, die man mit den wachen Sin-
nen wahrgenommen hat, sind in der Dämonenwelt der
verschiedenen Zeiten und Völker nach gebildet,
sondern die nur übersinnlich zu begreifende Angst
vor dem „Dämonischen" schlechtweg, die dem Men-
schengeschlecht schon vor Jahrtausenden ins Blut ge-
ronnen ist (ist sie wohl ins Erbgedächtnis unserer
Kinder übergegangen?), die Angst vor der „Macht
der Finsternis", des „Bösen" oder wie man es heißen
will, vor Gefahren und Bedrängnissen unbekannter
feindlicher Mächte, die den Menschen immerdar und
überall bedrohen, ihn gerade dann überfallen, wenn
er just „an nichts Böses denkt". Diese Weltangst oder
Lebensangst gehört zum Grundelement alles primi-
tiven Seelentums.
Und die menschliche Seele befreit sich, indem sie
die bedrängenden Angstphantasmen aus sich heraus-
stellt, in Sinnbildern gestaltet. Der Nachtmahr, de,n
man so im hellen Tageslicht mit seinen leiblichen
Augen sehen kann, hat seine gefährliche Macht über
die Seele verloren.
Darum müssen wir im Gestalten des Dämonischen
eines der tiefsten Wurzelgebiete alles bildnerischen
Gestaltens, den symbolhaft bildnerischen Ausdruck
der Menschheit auf der Kindheitsstufe erkennen.
Und dieses Quellgebiet bildnerischen Gestaltens
wird mit jedem Kinde neu geboren,
Das dämonische Schaffensvermögen kennzeichnet
ja geradezu das Kindesalter. Für das Kind ist die
ganze Welt durchgeistert, selbst der nüchternste tech-
nische Gegenstand, etwa ein ratterndes Motoriad
oder eine pustende Lokomotive ist für es dämo-
nisch beseelt. Das Dämonische beherrscht die tat-
sächlichen Welteindrücke des Kindes, durchaus Er-
zeugnis der Innenwelt, stellt es im Gegensatz zu den
durch geistiges Erfassen gewonnener Tatsachen im
Paideuma des Kindes das aufbauende Leben dar.
(Frobeniusl)
Wer übrigens die Bedeutung des Dämonischen in
der Kunst und in der Kinderleistung bestreitet, muß
folgerichtig auch die Bedeutung der dämonischen
Welt der Mythen, Märchen und Sagen bestreiten.
Übrigens sind wir, verehrter Herr Amtsgenosse,
doch nicht so weit auseinander, wie es nach Ihren
diesmaligen Ausführungen den Anschein hat. Sie las-
sen ja selbst gelegentlich Dämonisches gestalten,
worunter ich auch die Gestaltung „vorweltlicher Un-
geheuer" oder „den Kampf mit dem Drachen" ver-
stehe. Von diesem Thema haben Sie ja den Ausgang
zu unserer Erörterung genommen. (Siehe Seite 302,
1930.) Oder reihen Sie solche Themen in Ihrem Unter-
richt dem Naturdarstellen ein?
+ + +
Der zweite Abschnitt Ihrer Darlegungen betrifft die
Trennung von Gestalten und Darstellen, die ich mit
anderen Amtsgenossen nicht nur für wünschenswert,
sondern geradezu für notwendig halte. Ich habe zwar
bei unserer früheren Aussprache schon alles Notwen-
dige gesagt, will aber trotzdem noch einige Worte
hinzufügen.
Auch in diesem Punkt sind wir nicht so weit aus-
einander, wie es nach Ihren Ausführungen scheinen
könnte. Sie haben diese Trennung doch in Ihrem Un-
terricht praktisch selbst schon durchgeführt. Die Beil-
reihe auf Seite 303, 1930 (ich setze die Zeichnung
146
ein „phantasiemäßiges Erleben einer vollständigen
oder nahezu vollständigen N a t u r Vorstellung"?
Ist es nun nicht merkwürdig, daß gerade Ihr, von
mir so hochverehrter Vater, der Schöpfer der Illusions-
theorie, es war, der für meine ebengenannten Unter-
richtsversuche rege Anteilnahme und warmes Verständ-
nis bezeigte, als ich ihm bei seinem Besuch unserer
Schule — es sind nun nahezu 11 Jahre her — die Er-
gebnisse vorführte und das Grundsätzliche erörterte?
Ich habe später alles Wesentliche dieser Versuche
in meinem Buch dargelegt und dort auch ausgeführt,
daß das Gestalten des Dämonischen für mich nicht
ein Stoffprinzip, sondern ein psychologisches und
künstlerisches Prinzip bedeutet. (Die von ihnen ge-
nannte Schülerzeichnung „Rotkäppchen und der Wolf",
die Arbeit eines nicht sonderlich begabten Mädchens,
soll zum Verständnis unserer Aussprache hier wieder-
gegebenwerden — sie wird in meinem Buch übrigens
nirgends als eine einheitliche Gestaltung bezeichnet.)
Sie sagen, verehrter Herr Amtsgenosse, wir seien
uns darin einig geworden, daß das Kind die Natur
gestalten wolle, haben aber übersehen, daß ich unter
„Natur" nicht nur die „äußere" Natur verstehe, son-
dern ebenso die „innere" Natur, aus der Form- und Farb-
erlebnisse emporsteigen können, die nach Ausdruck
drängen. Ein solches Form- und Farberlebnis, ein rich-
tiges Phantasma (siehe Palagyi!) ist nun das „Unge-
tüm", das, durch die „Einstimmung" der Aufgabe er-
weckt, aus der „inneren Natur" der kleinen Zeichnerin
emporstieg und in ihrer Zeichnung sichtbare Gestalt
gewann. Daß dieses Form und Farbe gewordene
Wachtraumbild das seelisch-geistige Eigentum dieses
Kindes war — es hatte erst wenige Zeichenstunden
genossen — ging aus dem Vergleich mit den ande-
ren Schülerarbeiten hervor: jedes Kind hatte sein
eigenes Ungetüm erschaffen. Daß das den natur-
gemäßen unterrichtlichen Tatsachen entspricht, kann
jeder Lehrer jeden Tag erfahren, wenn er eine ähn-
liche Aufgabe in ähnlicher Weise einleitet, wie ich
es auf S.137 und 138 meines Buches beschrieben habe.
Jeder von uns wird dann auch bestätigt finden, wie
die Phantasie des Kindes lahmgelegt ist, wenn man
von ihm verlangt, ein Bildwissen von bestimmten Na-
turtatsachen, das es auf seiner Gestaltungsstufe noch
nicht besitzt (in diesem Fall das Vorstellungsbild eines
Wolfes) bildnerisch zu verwirklichen. Es gehört zu dem
Grundbestand unserer psychologischen Erkenntnisse,
daß die geistige Entwickelung des Kindes vom Erfas-
sen und Deuten des Allgemeinen zum Erfassen und
Deuten des Besonderen fortschreitet. So steht auch
die Allgemein-Vorstellung: Tierl als anschauliche Be-
deutungseinheit lange vor der Vorstellung einer be-
sonderen Tiergattung oder gar eines Einzeltieres. Kann
sich doch selbst der Erwachsene für gewöhnlich Ein-
zeldinge nur auf dem Umwege über dessen sinnliche
Arteigenschaften willkürlich anschaulich vergegenwär-
tigen. Dagegen entwickelt sich beim Kind — es folgt
auch hier dem geistigen Fortschreiten der Menschheit
— schon frühzeitig das anschauliche Erleben von Vor-
gängen und Zuständen. Und es besitzt, wie wir im
Unterricht täglich erfahren, die Fähigkeit, die auf sol-
ches Erleben gegründeten Vorstellungen mit seiner
Phantasie so zu durchwirken, daß aus dürftigen Ele-
menten seiner Erinnerungen sich etwas gestalten kann,
„was sich nie und nirgends hat begeben."
Wie aus einem Streichholz eine Hexe werden kann,
so aus der dürftigen Vorstellung: Menschl ein schreck-
licher Riese und aus der Vorstellung: Tierl ein fres-
sendes Ungeheuer. Auch hier bestätigt es sich: Dürf-
tigkeit der Mittel weckt die erfinderische Phantasie.
Aus diesen kurzem Darlegungen ist zu ersehen: eine
der wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen
der Gestaltungsübungen ist es, die Anforderungen,
die wir an unsere Schüler stellen, in Einklang zu brin-
gen mit ihrem Bildwissen.
Mit der oben genannten tierischen und mensch-
lichen Dämonenwelt der Romanik und Gotik — Ähn-
liches finden wir in der sog. primitiven Kunst aller
Zeiten und Völker — sind die der Märchenphantasie
unserer Kinder entsprungenen Dämonen insofern ver-
wandt, als hier wie dort Phantasmen bildnerische
Gestalt gewonnen haben. Jeder sieht es: nicht be-
stimmte Einzelwesen, die man mit den wachen Sin-
nen wahrgenommen hat, sind in der Dämonenwelt der
verschiedenen Zeiten und Völker nach gebildet,
sondern die nur übersinnlich zu begreifende Angst
vor dem „Dämonischen" schlechtweg, die dem Men-
schengeschlecht schon vor Jahrtausenden ins Blut ge-
ronnen ist (ist sie wohl ins Erbgedächtnis unserer
Kinder übergegangen?), die Angst vor der „Macht
der Finsternis", des „Bösen" oder wie man es heißen
will, vor Gefahren und Bedrängnissen unbekannter
feindlicher Mächte, die den Menschen immerdar und
überall bedrohen, ihn gerade dann überfallen, wenn
er just „an nichts Böses denkt". Diese Weltangst oder
Lebensangst gehört zum Grundelement alles primi-
tiven Seelentums.
Und die menschliche Seele befreit sich, indem sie
die bedrängenden Angstphantasmen aus sich heraus-
stellt, in Sinnbildern gestaltet. Der Nachtmahr, de,n
man so im hellen Tageslicht mit seinen leiblichen
Augen sehen kann, hat seine gefährliche Macht über
die Seele verloren.
Darum müssen wir im Gestalten des Dämonischen
eines der tiefsten Wurzelgebiete alles bildnerischen
Gestaltens, den symbolhaft bildnerischen Ausdruck
der Menschheit auf der Kindheitsstufe erkennen.
Und dieses Quellgebiet bildnerischen Gestaltens
wird mit jedem Kinde neu geboren,
Das dämonische Schaffensvermögen kennzeichnet
ja geradezu das Kindesalter. Für das Kind ist die
ganze Welt durchgeistert, selbst der nüchternste tech-
nische Gegenstand, etwa ein ratterndes Motoriad
oder eine pustende Lokomotive ist für es dämo-
nisch beseelt. Das Dämonische beherrscht die tat-
sächlichen Welteindrücke des Kindes, durchaus Er-
zeugnis der Innenwelt, stellt es im Gegensatz zu den
durch geistiges Erfassen gewonnener Tatsachen im
Paideuma des Kindes das aufbauende Leben dar.
(Frobeniusl)
Wer übrigens die Bedeutung des Dämonischen in
der Kunst und in der Kinderleistung bestreitet, muß
folgerichtig auch die Bedeutung der dämonischen
Welt der Mythen, Märchen und Sagen bestreiten.
Übrigens sind wir, verehrter Herr Amtsgenosse,
doch nicht so weit auseinander, wie es nach Ihren
diesmaligen Ausführungen den Anschein hat. Sie las-
sen ja selbst gelegentlich Dämonisches gestalten,
worunter ich auch die Gestaltung „vorweltlicher Un-
geheuer" oder „den Kampf mit dem Drachen" ver-
stehe. Von diesem Thema haben Sie ja den Ausgang
zu unserer Erörterung genommen. (Siehe Seite 302,
1930.) Oder reihen Sie solche Themen in Ihrem Unter-
richt dem Naturdarstellen ein?
+ + +
Der zweite Abschnitt Ihrer Darlegungen betrifft die
Trennung von Gestalten und Darstellen, die ich mit
anderen Amtsgenossen nicht nur für wünschenswert,
sondern geradezu für notwendig halte. Ich habe zwar
bei unserer früheren Aussprache schon alles Notwen-
dige gesagt, will aber trotzdem noch einige Worte
hinzufügen.
Auch in diesem Punkt sind wir nicht so weit aus-
einander, wie es nach Ihren Ausführungen scheinen
könnte. Sie haben diese Trennung doch in Ihrem Un-
terricht praktisch selbst schon durchgeführt. Die Beil-
reihe auf Seite 303, 1930 (ich setze die Zeichnung
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