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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1899)
DOI Artikel:
Graf, Max: Anton Bruckner, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0025

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weiten, faltigen Gewande, aus dem wohl hier oder da ein mächtiges,
buntes Tuch herauslugte, und den breiten, plumpen Hosen über die
Gasse gehen sah, glich er wieder einem biederen Dorfschullehrer. Aber
die altväterische, breitschulterige Gestalt ühnelte auch einem Manne aus
altem Bauerngeschlecht, der zwischen goldenen Saaten einherschreitet oder
Sonntags nach gehörter Predigt zum Wirtshaus geht, wo der junge
Wein winkt. Aehnliche Hauptzüge sinden sich in Bruckners Werken
wieder. Grandiose heroische Symphoniesätze, strahlend in Erz ge-
panzerte Themen, innigste religiöse Versenkung, tiefsinnige musikalische
Schulmeisterei in Kadenzen, Formeln, Fugen, kontrapunktischen
Kunststücken, und echte, kernige Bauern.tanzw eisen. Es sind nicht
äußerliche Beziehungen, welche ich hier feststellen will, wenn es auch
nur äußere Zeichen sind. Die Zusammenhänge zwischen Schöpser und
Werk, zwischen Erscheinung und innerer Welt sind ja etwas ties ge-
heimnisvolles. Jn einzelnen Momenten sühlt man sie. Wenn man
ihnen nachgehen will, verschwinden sie vor dem suchenden Blick. Allein
in diesen Jdentitäten zwischen Persönlichkeit und Werk liegt das, was
man künstlerische Ehrlichkeit nennt; es ist das Gleichmaß zwischen
der Natur des Künstlers und seinen Schöpfungen, welches sich bis in
die letzten Aeußerlichkeiten ofsenbart. Vielleicht bei keinem Künstler war
die innere Ehrlichkeit so stark und so ossenbar, wie bei Anton Bruckner.
Sie hat ihn vollständig beherrscht, sein Leben, sein Schicksal und sein
Werk geformt.

Jn dem Jahrhundert der Zeitungen, des Telephons, der elektrischen
Bahnen mag ja die Gestalt Bruckners etwas altväterisches haben, mag
sein Leben und seine ganze Art wohl primitiv erscheinen. Der alt-
sränkische Organist war, wie aus einer fremden Zeit in die moderne
Welt versetzt. Einen breiten Schlapphut aus dem Kopse, mit weiten,
bauschigen Kleidern umgeben, die nie paßten und um den Körper herum-
schlotterten, hilslos, eckig in seinen Bewegungen, mit den Verhältnissen
des Lebens und der Welt nicht vertraut, gleichsam völlig verwirrt und
kindlich ging er herum. Wer ihn nicht kannte, lächelte manchmal über
diese Gestalt. Wer aber den Wert des Lebens nach seiner Kraft, Selb-
ständigkeit und Jntensität mißt, nicht nach der äußern Form, der wird
erkennen, daß Bruckner ein Leben wahrhast großen Stiles geführt hat.

Freilich, neben der glänzenden Lebenssührung eines Richard Wagner,
die durch den Kamps gegen die vereinigte europäische Dummheit und Bosheit
ein äußerlich großartiges Relies erhält, mag ja die Lebenssührung Anton
Bruckners uns klein erscheinen. Allein jene Art des Lebens entsprach
dem Dramatiker: voll kühner Effekte, srappierender Uebergänge, über-
raschender Szenenwechsel; ein jähes Tempo, starke Gegensätze. Das
Leben Bruckners entspricht dem Mystiker: dem träumerischen, nicht aktiven
Menschen, dessen BUck nach innen gewandt ist. Wagner hat gekämpst
mit Briesen, Schristen, persönlichen Unterweisungen und Aussührungen!
Bruckner hat gelitten, und wenn nicht — Dank der Erfolge in Deutsch-
land —- noch knapp vor Thorschluß aus sein Leben noch einiger Sonnen-
schein gesallen wäre, so hätte man die Geschichte eines Künstlermartyriums
schreiben müssen, wie es surchtbarer und ergrersender nicht zu sinden ist.

Bruckner hat neun Symphonien hinterlassen und einige kirchliche
Werke. Daneben einige kleinere Sachen, die alle ins Riesige streben.

r. Vktoberheft ;899
 
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