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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1899)
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Vom Deutschen in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0053

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IDom Deutscben in der Ikunst.

Neben jeder echten Rede, die aus gründlichem Denken und auf-
richtigem Empfinden herauslebt, steht eine Schaufpielerin, um fie zu
studieren, die Phrase. Das braucht keine unehrliche Komödiantin zu
fein, die, während sie Gretchen im Kerker spielt, mit dem Schatz in der
Loge äugelt, es kann eine ganz wacker begeisterte Dame sein, der jedes
auswendig gelernte Wort Wallungen ins Herz und, wo sich's gehört, ein
richtiges Lächeln auf den Mund oder eine nasse Thräne ins Auge bringt.
Von solcher, also von besserer Art ist sicher weitaus am hüusigsten auch die
patriotische Phrase. Besonders wenn in der Versammlung dem Einzelnen
sein Gefühl von hundert Gesichtern wie aus hundert Spiegeln zurückstrahlt,
glaubt er, daß wir Deutschen uns vor gar nichts fürchten, als vor Gott,
und daß deutsches Weib und deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher
Sang ganz ohne Vergleich über allem stehen, was andere Völker aufweisen
können. Den Wert solcher Worte des nationalen Rauschs, die in den
Massen im Kampse die Kraft spornen wie Marschmusik und Schlacht-
gesang, bestreite ich nicht; wo sich's um starke Willensentfaltung handelt,
siegen nicht die Ritter von des Gedankens Vlässe, die zudem nie regimenter-
weis antreten. Trotzdem: hat Carlyle ganz Unrecht, wenn er meint,
die Vaterlandsliebe sei dort am stärksten, wo man am wenigsten von
ihr spricht? Jedenfalls ist der Wunsch doch wohl bescheiden, daß die
Phrasen auch in völkischen Dingen nicht immer und nicht allein reden
sollen; zur täglichen nationalen Andacht im stillen Kämmerlein gehören
sie ganz gewiß nicht, und auch nicht an den Arbeitstisch des Gelehrten.
Dort wenigstens geht es nicht an, daß man auf die Frage: was ist
denn deutsch? einfach anwortet: das Beste!

Und so ist es zu begrüßen, daß sich jüngst tüchtige Gelehrte ver-
einigt haben, um in Hans Meyers Sammelwerk „Das deutsche Volks-
tum" eine ernsthastere Beantwortung der Frage zu versuchen. Der
beim Bibliographischen Jnstitut zu Leipzig erschienene dicke Band, der
Land und Leute, Religion, Sitte, Recht, Sprache, die bildenden Künste,

Kunstwart 2. Gktoberhefl ^899
 
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