Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben (13,1.1899-1900)

Gesang.

Raphael:

I>u wolltest, Lserr, und aus deu Dunkeln
Die Borne jauchzten her des Lichts,

Mit tausend 5ternen ließest sunkeln
Zu einem All du auf das Nichts.

Du hauchtesh und aus jedem Bronne
ksinstob's in die Anendlichkeit,

Doch jeder 5taub war eine 5onne,
chortlodernd über Raum und Zeit-

Gabriel:

Und von der 2onnen Erden ruhten
Auf einer deine Blicke aus,

Da hoben Lande aus den chluten
Gebirg' und Lbenen heraus.

Du lächeltest, da lag ein Träumen
Von wonn'gem Grünen über ihr,

Du sprachest, und auf ihren Räumen
Lrwacht' es rings als Mensch und Tier.

Michael:

Und, kserr, aus denr Geschasfnen Linen
Lrkor dein Geist zum Russe sich —

Da lernt' er lachen, lernt' er weinen
Und fand in seinem Innern dich,

Denn wie der Sterne Bilder schwanken
2luf dunkeln IVassern goldig hin,

So weben deine Gottgedanken
Lsell überm Tier im Menschensinn.

Zu Dritt:

kserr, die wir schauen und uns neigen,

Die deine Nähe atmen, wir,

kserr, deine Tngelscharen schweigen,

Denn deine welten singen dir. z. u.

Nundscdau.

Dichtung.

^ Naioetät.

Naivetät ist vielleicht dns, was
unserer zeitgenössischen Literatur am
meisten gebricht. Jch spreche nicht
von Naivetät der Anschauungen, der
Sprache, der Kunstformen und des
Geschmackes, denn diese ist überhaupt
nicht mehr erhältlich, sondern von
Naioetät des Schasfens.

Naiv schasft, wer unbekümmert um
Xunstwart

alles andre, um Vorbilder, ästhetische
Gebote und Verbote, um Weisheit und
Urteil der Zeitgenossen, einfach sein
Ziel auf geradem Wege verfolgt, die
Aufgaben, die ihm Jnspiration und
Thema gesetzt, zu lösen sucht. Ob
seine Unbekümmertheit aus Unkenntnis
oder absichtlicher Nichtbeobachtung
stammen,ist gleichgiltig. Es kann Einer
üie höchste Bildung, die umfassendsten

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