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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 3 (1. Novemberheft 1899)
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Unsre Noten und Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0131

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Ansre Ooten und WLlder.

Eine Notenbeilage geben wir diesmal nicht. Unsern neuen Lesern sei
mitgeteilt, was die älteren wissen: wir geben durchschnittlich mindestens
^ Seiten Noten für jedes Heft, verteilen aber diese Seiten nicht gleichmäßig,
sondern wechseln mit längeren und kürzeren Stücken ab und lassen gelegentlich
die Noten aussallen, um ihren Umfang ein ander Mal verdoppeln zu können.
Wir wären sonst bei der Auswahl zu sehr durch äußerliche, räumliche Ve-
dingungen beschränkt.

Unsre B i ld er beilagen bilden dies Mal samt und sonders photographische
Aufnahmen nach der Natur.

Zunächst zwei photographische V i l d n i s s e. Photograpische? Ja —
wir müssen zugeben: in diesem Fall bietet der Photograph nach gewissen
Richtungen hin mehr als der Maler, und wir ziehen aus dieser Erkenntnis
die Folgerung. Wir bitten nun unsre Freunde, die beiden Bildnisse nicht als
photographische Kunstwerke, als „Kunstphotographien", sondern als freilich
vortreffliche Spiegelungen von Naturschönheit zu betrachten.

Weber hat in seiner Besprechung der letzten Münchner Jahresausstellungen
behauptet, daß die Bismarckbildnisse Lenbachs nicht naturgetreu, daß sie, wenn
auch in anderem als dem gewöhnlichen Sinne „verschönt" seien. Unsre Repro-
duktion kann nicht mehr die ganze Klarheit der Originalphotographie zeigen.
Trotzdem, man betrachte sich auf ihr zunächst einmal bei Bismarck das starke
Kinn und die Zickzacklinie oberhalb, die sich wie in unwillig oerhaltenem
Schmerze aufwärts zieht, dann die grimmig vorgeschobene Unterlippe, die dar-
über trotzt und höchste Rücksichtslosigkeit verkündet. Diese Züge, welche die
Natur an Bismarck mit so nachdrücklichem Bemühen herausgebildet, daß sie
im Leben höchst aufsallend waren, alle diese Züge sind für Lenbach von unter-
geordneter Bedeutung gewesen: er ist darüber nur hingeglitten. Er hat dafür
all' seine Kraft auf die Wiedergabe des Auges gewandt. Jst er hierbei glück-
lich gewesen? Gewiß ist auch die äußere Form von Bismarcks Auge eine
große. Aber sein Auge ist nicht die herausgedrehte Kugel, ist nicht das im
Bewußtsein seiner Majestät erhabene, ja, ich kann es nicht anders nennen:
Froschauge, das uns Lenbach zeigt, sondern seine innere Größe beherrscht
die äußere: vor allem wirkt es durch die wundersame Seelenkraft des Blickes,
die unhemmbar und wahrlich nicht erzwungen daraus quillt. Dann scheint
uns der Bismarck, den sich Lenbach zusammenkomponiert, seiner äußeren Er-
scheinung nach durchaus ein Aristokrat, seinem Ausdruck nach ein in seiner Be-
deutung sich fühlender Gedankenmensch zu sein. Nun war ja Bismarck gewiß-
lich in Haltung und Manieren Aristokrat und Diplomat, und sein Aeußeres
zeugte selbstverständlich von der Körperpslege einer seinsten Kultur. Aber das
Bedeutsame an ihm ist für uns ja gerade, daß diese Dinge eben äußerlich
blieben, daß durch diese vornehme Hülle durchaus sieghaft der kernige Ur-
mensch blickte, der mehr vom Bauern als vom Aristokraten hat, und daß
sich dieses sein kernig Urmenschliches bis zum Ausdruck des Elementaren er-
hob. Daß davon bei Lenbach nicht viel zu spüren ist, wird man uns wohl
kaum bestreiten. Auf unsrer Photographie aber schaut es deutlich und rauh
unter den tiefliegenden Lidern hervor. Ferner war Bismarck keineswegs in
ersterLinie Gedankenmensch, das ist er nebenbei gewesen, Willensmensch vor
allem war Bismarck. Nicht sein Gedanke, wie bedeutend er war, sondern sein
Wille war von dämonischer Gewalt. Nun, ich denke auch davon sind auf
unsrer Photographie Spuren vorhanden, die dem Empfänglichen genug geben.
Kein Lenbachsches Vild reicht an die Naturschönheit dieses Hauptes heran.

Novemberheft ^899
 
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