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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1899)
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Was wir wünschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0013

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Mas wir wünscden.

Wenn ein neues Blatt erscheint, pflegt über seinem ersten Aufsatze
zu stehen: „Was wir wollen". Zieht eine Zeitschrist zum dreizehnten
Mal mit Frau Erde um die Sonne, so darf sie annehmen, man wisse,
was sie will. Aber wir möchten einmal zusammenfassen, „was wir
wünschen". Es ist nicht dasselbe: „was wir wollen" besagt: das denken
wir zu thun, „was wir wünschen" besagt: das möchten wir haben.
Und „zusammenfassen" möchten wir, was wir wünschen? Ach, dazu ist
es zu viel, wir können's nur andeuten auf und noch mehr: zwischen
unsern Zeilen.

„Die Kunst soll man pslegen, denn sie verschönt das Leben" —
hören wir das, macht es uns ost den Kops warm. Warum denn, ist's etwa
nicht wahr? Es ist schon wahr, es ist so ein kleines Neben-und Abfall-
wahrheitchen, aber man spielt's aus, als wär's ein richtiger Treffer.
Dabei meint mans doch, wie man sagt: zu einem richtigen Diner gehört
eine Eisbombe hinterher. Die Kunst ist keine Eisbombe, ohne die es
auch geht, meine Herren und Damen, sie ist kein Luxus, sie ist Brot.
Weg mit dem kulinarischen Bilde: die Kunst gibt Leben, nein, die Kunst
ist Leben, ist es selber.

Käme heute einer und sagte: ich liebe das Denken, denn wenn ich
gearbeitet habe, sang ich ganz gerne einmal aus ein Viertelstündchen zu
denken an —- wie würden wir ihn ansehn? Sagt aber einer: ich liebe
die Kunst, denn nach der Arbeit vergnügt sie mich, so sagt er nichts bessres.
Mein Fühlen, sagt er mit andern Worten, und mein innres Schaun,
zum Leben brauch ich das nicht, mir ist's angenehme Zugabe. Er
irrt sich, er braucht es zum Leben. Er ist sich nur noch nicht klar
darüber, was Kunst eigentlich ist. Von der Wissenschaft weiß er: sie ist
die Vermittlung des geordneten Denkens, von der Kunst weiß er nicht,
daß sie die Vermittlung des geordneten Fühlens ist. Das geordnete
Denken schafft nicht nur Klarheit in die Köpse, es stärkt und verfeinert
auch sich selber, indem sich's übt. Genau entsprechend dem geordneten

Kunstwart Gktoberheft ^899
 
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