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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1899)
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Graf, Max: Anton Bruckner, [2]
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Batka, Richard: Musikalische Weihnachtsspiele
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0189

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denn kein sichreres Mittel gibt, einen Künstler mitzzuverstehen, als ihn
mit den Matzen eines andren zu messen. Nnlogisch empfand man einst
selbst die ersten Symphonieen Beethovens (man denke an die Kritik
Webers über die vierte Symphonie): und so wiederholte sich denn bei
jedem Künstler das Schauspiel, datz man diejenigen Dinge zuerst als
Fehler schmäht, welche man später als die besonderen Akzente gerade
dieser künstlerischen Persönlichkeit erkennt und preist. Man hüte sich sehr,
eine neue künstlerische Welt mit „ästhetischen Gesetzen" zu beschwören:
die Kunstgeschichte lehrt, datz in den meisten Fällen jene „ästhetischen
Gesetze" nichts anderes sind, als die vom Kritiker nicht erkannten engen
Grenzen seiner Persönlichkeit. Der grotze sranzösische Kritiker Saint-
Beuve sagt ja mit Recht: „le cÄi-ÄLtere ctistinctik äe la Lottise est äe
prericlre toirjours les lirnites cle sri vue porir les bornes cle ce <yrii
est." Ueberlassen wir ruhig die Entscheidung über diese Frage einer
Zeit, welche mit der Kunstwelt des grotzen deutschen Symphonikers mehr
vertraut ist, als die unsrige. Wir halten uns an das Wort Schopen-
hauers: „Zum Matzstab eines Genies soll man nicht die Fehler in
seinen Produktionen nehmen, um es dann danach tief zu stellen, sondern
blotz sein Vortresslichstes", und dieses Vortrefflichste ist es, was der
Leser dieser Blätter noch weiters in einer Uebersicht der einzelnen Werke
Anton Bruckners kennen lernen möge. Max Graf.

/Dusikaliscde Meibnacdtspiele.

Wie den Oster-Zeremonien der christlichen Kirche im Mittelalter die
Passionen, so sind den mannigsachen Gebräuchen des Christfestes die Weihnacht-
spiele entsprungen. Die Verkündigung der Geburt Christi durch die Engel, die
Szene der heiligen Eltern an der Krippenwiege, die Anbetung der Hirten, das
Erscheinen der drei Könige aus dem Morgenlande u. s. w. boten poetische Mo-
mente von solcher Fülle und Eindruckskraft, daß sie die Phantasie der Künstler
bis heute nicht völlig auszuschöpfen vermochte. Wir haben aus dem vorigen
Jahrhundert das wundervolle Weihnachtsoratorium Bachs, das eigentlich einen
Zyklus von sechs Kantaten für die verschiedeuen Feiertage der Weihnachtswoche
bildet; dann ist die Kindheit Jesu in den großen oratorischen Lebensgeschichten,
in Händels „Messias" und im „Christus" von Liszt, behandelt worden, anderer
Werke von Mendelssohn, Berlioz, Kiel, Rubinstein nicht zu gedenken. Jn den
letzten Jahren nun haben zwei Komponisten den nie veraltenden Stoff in
protestantischem Geiste wieder ausgenommen: Heinrich v. Herzogenberg in
Berlin und Philipp Wolsrum in Heidelberg. Und der passende Zeitpunkt ist da,
um unsere Leser mit ihren Schöpfungen ein wenig bekannt zu machen.

Herzogenberg bezeichnet sein Werk „Die Geburt Christi" ausdrücklich
als ein Kirchenoratorium. * Er hat sich dem Stile Bachs hingegeben und
solgt dem hohen Meister auch in der Form, selbst darin, daß er die Gemeinde
mit Chorälen in die Aufführung eingreisen lüßt. Sogar der später hinzu-
tretende Kindergesang hat im Eingangschor der Mathäuspassion sein Vorbild.

* Herzogenberg op. 90: Die Geburt Christi. Kirchenoratorium für
Solostimmen, gemischten Chor und Kinderchor (mit Begleitung von Harmo-
nium, Streichinstrumenten und Oboe) und für Gemeindegesang und Orgel
(Leipzig, Rieter-Biedermann. (89s. Klavierauszug Mk. e.—).

Dezemberheft ^899
 
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