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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1900)
DOI Artikel:
Lublinski, Samuel: Humanität: ein Nachtrag zu den Goethetagen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0341

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Lin Nachtrag zu den Goethetagen.

Viel, sehr viel wurde in letzter Zeit über Goethe gesprochen und
geschrieben, und so weit sind wir doch schon in deutschen Landen, daß
es den Literaten unendlich schwer sällt, über diesen Großen etwas gänz-
lich Falsches zu sagen. Darum erschien das Verhalten einiger von
der Literatur nicht angekränkelter Studenten viel lehrreicher, welche den
Mut hatten, wirklich etwas Falsches und Törichtes und den großen
Wolsgang in Acht und Bann zu thun: „denn er war nicht national."
Den geraden Gegensatz zu diesem Urteil könnte man in dem Verdikt von
M. G. Conrad finden, der Goethen gegenüber Heyse aus den Schild er-
hebt: denn Goethe war ;a kein abstrakter Reichsdeutscher; er war ein
Partikularist, Sohn seines Stammes — ein Franke. Conrad benutzt
eben die Gelegenheit, um dem „Reich" eins zu versetzen, welches ihm
ossenbar zu abstrakt ist, zu sehr Schablone, zu sehr nivellierend sür die
Stammeseigentümlichkeit. Umgekehrt darf angenommen werden, daß der
Nationalismus der Breslauer Burschenschaster, welche Goethe ächteten,
so „reichsdeutsch", wie nur möglich, gewesen ist. Demnach ergibt sich
ein Gegensatz, der zwei Pole darstellt, zwischen welchen das Verständnis
Goethes in Deutschland rastlos hin- und herpendelt. Und wenn man
nun ernstlich wünscht, daß der Einsluß dieses größten geistigen Welt-
eroberers seit dreihundert Jahren in immer tiesere Kreise der Nation
hineingetragen werde, so erhebt sich die Frage, wie man die Einseitigkeit
dieser beiden Standpunkte korrigieren kann, indem man gleichzeitig gewisse
Bedürfnisse des Nationallebens, zu denen ja wohl auch das „Reich"
gehört, nach Gebühr beachtet und würdigt.

Wie Goethe selbst über die eine dieser Einseitigkeiten, nämlich den
Stammespartikularismus, rasch hinauskam, ist bekannt genug. Es ist
wahr, er war ein Franke, ein Sohn der Main- und Rheinlande. Jn
seiner Lyrik und in den genialsten seiner Jugendwerke, zu denen Partien
vom ersten Teile des Faust gehören, wogte und schäumte dieses srische

Runstwart ;. Februarheft ;yoo

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