Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 12 (2. Märzheft 1900)
DOI Artikel:
Bei Ruskin und jenseits von ihm
DOI Artikel:
Platzhoff, Eduard: Vom Schatten der Frauen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0462

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wir bitten nun unsre Freunde, in den „Losen Blnttern" dieses
Heftes zu lesen. Wir haben dort aus Ruskins Schristen eine Anzahl Stellen
zusammengedruckt, die uns besonders geeignet scheinen, von seiner Persön-
lichkeit zu zeugen. Selbstverständlich haben wir nicht solche Stücke ge-
wahlt, die in 'besonderem Maße zum Widerspruch reizten. Vieles von
dem, was wir wiedergeben, wird zu unsern Lesern als echtes Wort
echter Schönheitspriesterschast reden.

voin SclMtken der zfrauen.

Unter den Motwen, die zuerst Frauen zu literarischer Thätigkeit ver-
anlatzten, findet sich ansangs keines, das auf die Eigenart ihres Geschlechts
deutet. Das Arbeitsgebiet und das Können des Mannes gab auch ihrem
Schaffen den Matzstab und die Richtung. Sie trieben Philosophie, dichteten,
übersetzten, und das höchste Lob ihrer Dichtungen mutzte sein: „ganz wie ein
Mann." Das wurde spät erst anders, es lätzt sich vor dem ^7. und ;8.Jahr-
hundert eine Wandelung dieses Zustandes nicht erkennen. Jetzt erst beseelte
die Frau das Gefühl, im dichterischen Schaffen eigenes bieten zu können. Die
wachsende Differenzierung des Jnnenlebens weckte in ihr die Erkenntnis, datz
sie vieles anders sehe und fühle, als der Mann, datz es Verhältnisse gäbe, in
deren Darstellung sie kompetenter sei, und Gebiete, die der Mann nicht zu
überschauen, noch nachschaffend auszuschöpfen vermöge. Das sah der
Mann, und es hob das Ansehn der Frau. Wir sind in der Zeit der Salons
und des politischen Weiberrsgiments. Aber der Fortschritt war zu grotz und das
von der Frau eroberte Terrain zu weit, um dauernd von ihr gehalten werden
zu können. Jmmerhin hatte die Frau als Frau ihre literarische Mission ein
für allemal erkannt, und fortan übte fie diese fedes Mal aus, wenn ihre Zeit
kam. Sobald das Verstandesmätzige, Reslexive, Unkünstlerische überwog,
leitete sie eine Reaktion nach der Seite des Unmittelbaren, Poetischen, Jntui-
tiven ein; man denke nur an die Romantik und an die Gegenwart. Sie that
das aber nicht aus dem Bedürfnis nach Erhaltung des psychologischen Gleich-
gewichts der Menschheit, sondern im Jnstinkt der Selbsterhaltung. So wurde
die Literatur der Frau zum Mittel, zur Waffe. Hisr war Gelegenheit, in die
Welt Zu rufen, was lange ungesagt geblieben und gelitten worden war, fetzt
hietz es, die andern sehn und hören zu lassen, was sie nie hatten begreifen
wollen. Die Frau begann zu reden, nur von ihr selbst und alles von ihr
felbst; sie enthüllte den Abgrund, der sie vom Manne trennt, und sie rief das
eigene Geschlecht auf zur Sammlung und zum Kampf. Sie verachtete den
Mann, weil er unter ihr stand, und sie hatzte ihn, weil sie ihn doch nicht
entbehren konnte. Diese Differenzierung im Verhältnis der Geschlechter hat
natürlich ihren grötzeren geschichtlichen Zusammenhang: die Differenzierung der
Menschenseele überhaupt, die wachsende Reflexion, das Schwinden aller abso-
luten Matzstäbe. Fühlten sich Mensch und Mensch in ihrem immer individu-
eller sich gestaltenden Seelenleben bereits fern von einander, so muhte natür-
lich da die Kluft am tiefsten sich aufthun, wo die Natur schon einen Gegen-
satz geschaffen hatte. Gerade hier aber auch war die Anziehung und das Ge-
fühl, auf einander angewiesen zu sein, am stürksten und die Unmöglichkeit,
ihm Genüge zu thun, säete Leiden bei den Großen und feindlichen Hatz bei
den Kleinen. Jeder Hatz aber und schließlich auch jeües Leiden erreicht einen
Grund der Bewußtheit und Intenfitüt, der aus dem Selbsterhaltungstrieb
Uunstwart
 
Annotationen