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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0014

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„fühlenden Schauen" der Kunst. Kunst und Wissenschast — die Namen
sind kurze zwei Jahrtausende alt, die Sache aber war es schon, die aus
dem Halbtier den Menschen machte und sie ist's noch heute, die aus dem
Halbmenschen den Vollmenschen macht. Und gibt es einen Fortschritt
in die Zukunst hinein anders als an ihrer Hand? Wäre doch selbst das
große Gebiet des Sittlichen, die Religion im weitesten sowohl wie im
tiefsten Sinne, ohne diese „Sache" stumm und gelähmt.

So wunderlich es klingt: das ideale Kunstland wäre ein Land,
in dem man von Kunst kaum noch sprechen würde. Man kleidet sich,
man schafft sich Geräte— es ist selbstverständlich, daß die Formen und
Farben, wie einsach immer, so doch bezeichnend und schön sind, denn
wären sie's nicht, es bereitete jedem Unlust und Keiner wollte sie. Man
macht also alles so, nicht weil die „Kunst" das will, sondern weil es
ja zweckmäßig ist. Man malt, man meißelt, man singt und sagt, nicht,
um Künstler zu sein, sondern, weil man sich auseinandersetzen muß mit
Natur- und Menschenwelt, weil man sich verstündigen und austauschen
muß mit dem Mitlebenden und weil vieles sich halt nicht anders aus-
drücken und vernehmen läßt, als auf diesem Wege. Wo sich's um Er-
kenntnisse handelt, natürlich, da spricht man in der Sprache des Denkens,
in Begriffen, Zahlen, wo sich's um Gesühle handelt, natürlich, da nimmt
man sür Auge und Ohr diejenigen Symbole, die allein die entsprechen-
den Gefühle erregen können. Dann sragt man sich: Gab es einst eine
Zeit, in der man von Hrt pour IRrt sprach? „Kunst für Kunst", das
heißt doch: „die Ausdrucksmittel sür die Ausdrucksmittel" — welche
Sinnlosigkeit!—man versteht das nicht mehr. Jetzt, im idealen Kunst-
land, verschwindet ja das Mittel hinter der Sache, wenn der Ausdruck
gelungen ist, jetzt schreitet man ja durch die Kunst in den Tempel, man
spricht nicht mehr über sie, man betet vor den Heiligtümern selbst. Nicht
das Kunstwerk mehr empfindet man als die Gabe, sondern das Erhörte,
Erschaute, Ersühlte, das es uns gebracht hat, wie schon wir Heutigen
bei einer einsachen Mitteilung gar nicht mehr aus die Rede achten, sondern
nur daraus, was sie besagt. Nun, da, — im Jdeallande der Kunst! —,
die Uebermittelung der Gesühle ja vollkommen ist, stehen die Menschen
in einem Austausch des Jnnenlebens, der sie lächeln läßt über das
Mühen der „Kunst" von einst, von heute, wie der Meister des Klaviers,
dem unter den Händen sich das Tonstück schier unbewußt in Klünge ver-
wandelt, über den Schüler lüchelt, der sich Note zu Note aufsucht und
jeden geglückten Griffes freut.

„Verschwinde, Traum!" Es ist nicht zu glauben, daß die Mensch-
heit je dieses Jdealland erreiche, es ist ein Bild der Fee Morgana, das
wir von den Höhen des Lebens über den Meeren sehn. Wo aber zwei
im rechten Geiste beisammen sind, da ist doch schon ein Stück dieses
Bodens. „Kunst sür die Kunst", es ist Klnvierspiel, um das Klavierspiel
zu lernen, technische Vorübung, weiter nichts. Das Ziel ist: Uebermit-
telung unserer Jnnenwelt, und damit: Erziehung, Bildung, Bereicherung
dieser Jnnenwelt.

Wer die Fahnen der Kunst weiter steckt, tieser und tieser hinein in
die zu erobernde Welt der Gesühle und Gesichte, das sind die Genies. Wir
können sie nicht rufen, wir wissen nicht, wie sie kommen. Aber wir können,
um ihr Wirken zu fördern, ihnen solgen, sobald wir sie erkennen. Was
Aunstwart
 
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