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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0015

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befähigt uns dazu? Aesthetische Kultur, die unsre Sinne und unsre
Phantasie pslegt und erzieht, daß sie leisten können, wozu sie angeregt
werden. Aber was schützt uns vor salschen Propheten, deren Gefolge
so oft den echten den Weg verstellt? Aesthetische Kultur, die zu unter-
scheiden lehrt. Die allerwichtigste Ausgabe der ganzen „Kunstpolitik" ist:
die starken Talente aus allen Kreisen des Volkes zu entdecken und zu
sördern, damit ein jeder gerade d a dem Ganzen nütze, wo er als Glied
ihm am b esten dienen kann. Auch das hat zur Voraussetzung ästhetische
Kultur, und zwar allgemeine. So ist's eine Wechselwirkung: sind die
Genies die großen Kunstförderer, so ist eine ästhetische Kultur die große
Förderin der Genies. Des einen wie des anderen bedars es, um
das Empfindungsvermögen der Menschheit durch Ausdruck und Austausch
zu entwickeln. Aber man braucht nicht einmal solch eine Fernsicht zu
gewinnen, um die Wichtigkeit allgemeiner ästhetischer Kultur einzusehn.
Nach Freude drängt jeder, kann er die gute nicht haben, so nimmt er
die schlechte. Gehören aber die Genüsse der ästhetischen Kultur nicht zu
den stärksten zugleich und reinsten? Und ein 20 Pfennig-Bändchen, ge-
süllt mit echtem Golde der Dichtung, ein Notenhest, ein schlichtes Ab-
bild eines edeln Werkes der bildenden Kunst ist billiger zu beschasfen
als rohe Freude und hält doch länger vor. Man muß es nur genießen
können! Und bereichert und vertiest üsthetische Kultur nicht auch den
Genuß an den Schönheiten der Gotteswelt, die selbst ins engste Gäßlein
leuchtet? So erkenut auch der Sozialpolitiker in der Erziehung zur edeln
Genußfähigkeit einen müchtigen Bringer des Heils der Freude.

Welchen Weg aber kann diese Erziehung gehn?

Der Fehler, in den wir Deutschen immer versallen und immer
wieder, ist der: wir wollen das Dach vor dem Keller baun. Die Grund-
lage drunten, die interessiert uns nicht sehr, wir haben sie ja und so
setzen wir sie bei den andern voraus, um den Nächsten möglichst schnell
teilhastig zu machen dessen, was uns die besten Freuden verschafft.
Einzelne Menschen sinden wir auch, deren starke angeborene Empsäng-
lichkeit sie innerlich ausnehmen läßt, was wir bieten. Diesen einzelnen
thun wir dann wohl und dürsen uns dessen sreuen und sollen's nicht
lassen. Um aber den Bau zu errichten, von dem wir sprachen, braucht
es ein tieferes Graben und ein sesteres Mauern im Grunde, das heißt:
im wirklichen Leben.

Blicken wir nun des Beispiels willen auf denjeuigen Teil der ästhe-
tischen Erziehung, der zur Vermittelung von Gefühlen und Gesichten das
Auge bilden soll. Belehrende Vorträge und Zeitungsartikel, Führungen
in Museen, wohlseile Veroielfältigungen von Bildwerken u. s. w. sind
treffliche und notwendige „pekuniäre Erleichterungen" für unbemittelte
Fortgeschrittene oder besonders Begabte. Als solche tragen sie auch zur
ästhetischen Kultur ihren Anteil bei. Aber der Scüwerpunkt der Er-
ziehung zur Kunst kann nicht in ihrer Nühe liegen. Das bildet das
Auge, was es tagtäglich sieht, woran es sich sortwährend übt, be-
wußt oder unbewußt. Wir kommen aufs Wohnen. Es mag so
schlicht und einfach sein, wie die Knappheit der Mittel es wolle,— das
schlicht Zweckmäßige ist niemals häßlich. Nichts wäre verkehrter, als
Wohnung und Haushalt des wenig Bemittelten „reicher" machen zu

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