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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1899)
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Avenarius, Ferdinand: Hans Thoma
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0031

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Schwind oder Richter mit Thomas „Hüter des Thals". Bei jenen
Schützer und Beschützte beieinander, wie eben die Situation es gibt.
Vei Thoma das Thal, über dem an allen Hängen so sichtbar der Geist
des Friedens wacht, daß wir ihn fühlen, — und nun läßt er ihn sehn.
Mitunter verkörpert er nicht bis zur sichtbaren Einzelgestalt, aber die
Wirkung ist nicht viel anders. Es ist dann, als wenn die Landschast
mit ihren Linien und Farben still vor sich hin sänge. Vor dreizehn
Jahren schon nannte Janitschek Thomas Bilder gemalte Volkslieder.

Thoma ist seinen Weg mit erquicklich ruhigem Schritt gegangen,
nie im leisesten abgelenkt. Schließlich kamen die Jungen zu ihm, er-
kannten und begrüßten ihn, obgleich er auch ihrer Kunst sich nicht anschloß.
Hoffen wir, daß man an seinem sechzigsten Geburtstag ihn nicht auf
jene kindliche Weise befeiere, als den „lieben alten Herrn", dem man
mit einem „samos!" sür seine netten Sachen aus dieSchulter klopst, während

man über seine
Schwächen nach-
sichtig weglächelt.
Thoma hat nicht
nur außerhalb
seiner Kunst be-
wiesen, daß er ein
sehr kluger um-
fassender und sei-
ner Geist ist, der
z. B. fremden
Kunstrichtungen
ungewöhnliches
Verständnis ent-
gegenbringt, son-
dern auch aus
seiner Kunst selber
leuchtet eine wirk-
lich bedeutende
Persönlichkeit. Jch
gehe nicht so weit,


wie z. B. Thode,
ihn über Böcklin
oder Max Klingcr,
den Faust unter
unsern Bildnern,
zu stellen; an Ge-
nialität der Ge-
staltungskrast er-
reicht er meiner
Ueberzeugung
nach diese beiden
nicht. Aber er ist
sehr viel mehr, als
ein Jdylliker, der
etwanuraus fried-
lichen Gesühlen
mit dem Behagen
des Begrenzten
spielte. Durch
manches seiner
Bilder, seiner

Meeresbilder, seiner Spukbilder z. B. geht ein Austräumen nach dem
Unsaßlichen, ein Aufsehnen nach dem Unendlichen, ein Ausklagen
über die Stummheit der Kreatur, — was alles viel mehr als idyllisch
ist. Thoma hat solche Stimmungen und er verwertet sie, aber er läßt
sie seine Kunst als Ganzes nicht beherrschen. Denn immer wieder
geht seine Natur zurück zum Gleichgewicht, zur Harmonie. Ein echter
Jünger Goethes, strebt auch er im letzten Ziel auf jene heilige Freude-
sähigkeit hin, die „Arbeitswochen als Feste tebt", indem sie das Leben
selber durch Bethätigung genießt. Man braucht die Heimatliebe eines
Thoma, um das ganz zu können, dieses Sich in eins sühlen nicht nur
mit dem Sinnen und Träumen, sondern auch mit dem Wollen und
Arbeiten der Heimat, dieses Wurzeln in einem Boden, der eingewachsen
ist in unsere nährende Erde tief bis zu ihrer inneren Glut. Dann kann
Einem erstehen, was Thoma erstanden ist: als Versöhnung von Erden-
weh und Erdenheiterkeit in reisster Weltanschauung der Humor.

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