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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI issue:
Heft 3 (1. Novemberheft 1899)
DOI article:
Bartels, Adolf: Helene Böhlaus "Halbtier"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0099

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„kleiner frecher Dachs", eine „freche kleine Bestie" sei, aber wir emfinden
sie als seelifch-sinnlich abnorm. Krankhaft ist unzweifelhaft bei ihr auch
die Lust an der eignen Schönheit, und ebenso find die „Seelenräusche",
bie sie sich gern bereitet, sicher kein Zeichen oon Gesundheit. Selbstoer-
ständlich wäre alles das durchaus kein Grund, die Darstellung eines
sotchen Charakters abzulehnen. Aber im Bann ihrer Tendenz stellt
Helene Böhlau diese Jsolde nun durchaus als normal hin, während
sie für die Ausnahmenatur der Heldin des Rangierbahnhofes den klaren
Blick noch hatte. D a steckt die Gesahr sür sie. Lebensmöglich also ist
die Jsolde noch. Der Harry Mengersen jedoch ist auch eine Unmöglich-
keit. Jch möchte wissen, wo Frau Böhlau ihre Studien über das Genie
gemacht hat; denn ein Genie soll dieser Mengersen sein, zugleich aber
eine Alltagsnatur. „Sein Empfinden als Mensch ist vortresslich ge-
schieden von seinem Künstlerempfinden. Seine große Kühle und Vorsicht
ist ganz etwas sür sich. Als Künstler kann er leidenschaftlich, warm,
'groß sein. Er ist sich dessen auch vollkommen bewußt. Er hat sehr viel
über sich nachgedacht, beurteilt und behandelt sich gewissermaßen wie ein
Kunstwerk. — Er hat sich zur Kunst trainiert, wie andere es zu irgend
einem Sport thun, genau so kühl und berechnend. Er will sich seine
Kunst intakt halten, seine Person, seine Toilette." Verehrte Frau Böhlau,
es gibt jetzt solche Trainier-Künstler, Sie haben nicht übel beobachtet,
aber Genies sind die eben nicht, und daß sie in ihrer Kunst leiden-
schaftlich, stark, groß sind, ist einfach nicht wahr, sie sind höchstens über-
raschend. Wo Wärme, Leidenschast, Größe im Künstler ist, da ist sie
auch im Menschen, es kann gar nicht anders sein, denn wie der Volks-
mund sehr richtig sagt, „von nichts kommt nichts." Harry Mengersen ist
weiter nichts als ein im Vanne der Tendenz konstruiertes Ungeheuer,
über das wir lachen, so gut wie über Sudermanns Willy Jannikow
und Wildenbruchs Heinrich Verheißer. Ganz gewiß, auch ein großer
Künstler kann und wird seine menschlichen Schwächen haben, aber
„schmutzig" kann er wohl nicht sein, jedensalls gleichen sich sür den un-
getrübten Blick Schwächen und Vorzüge aus. Manchmal kommt es
einem vor, als ob Helene Böhlau einen wahren Haß gegen das männ-
liche Genie habe (was sie doch gar nicht nötig hat, denn es gibt ja
heute unter den Poeten kaum welche); selbst die alte Anklage gegen den
Optimisten Goethe, daß er dem Schmerz ausgewichen sei, nimmt sie
wieder aus. Aber Goethe wich gar nicht dem Schmerz aus, sondern
nur dem Zwang, ihn öffentlich zeigen zu müssen — wer will denn
wissen, wie er im Stillen die Schwester, die Mutter, seine Frau, den
Sohn betrauert hat! — Lebenswahr ist sicher der Schriststeller Frey, für
den die Versasserin ein gutes Modell gehabt zu haben scheint, und auch
seine verkümmerte Frau darf man wohl gelten lassen. Nur dagcgen soll man
protestieren, daß ihr Mann allein die Schuld an der Verkümmerung
trage; es ist geradezu lächerlich, wenn Helene Böhlau daraus, daß die
Frau srüher einmal Gedichte gelesen hat, solgern will, daß auch sie zu
höherem berufen gewesen. Nein, diese Frauenart kommt sozusagen mit
einer grauen Seele auf die Welt, sie hat a prlorl nicht die Kraft, Poesie
in ihr Leben hineinzutragen, trotz aller Gedichteleserei, das Haus- und
Nachttierhafte ist ihnen angeboren. Herr Frey ist ein Lump, sicherlich,
nber hätte die Frau irgend etwas in sich gehabt, so wäre ihr das Ver-

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