Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1899)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0221

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mephistophelischen Genies gedacht. Es
ist nur ein sehr gescheiter und im
Grunde auch anständiger junger Herr,
kein produktiver Kopf, aber ein be--
gabter Dialektiker, — auf jeder Uni-
oersität gibt es solche Leute, die sich
schnell entwickeln und früh stillstehen.
Und auf jeder gibt cs gesunde und
gescheite Naturburschen, die auf ihr
blasiertes Ueberlegenthun eine Weile
lang hineinfallen, wenn die Eitelkeit
jener andern sie als Gefolge braucht.
Das also thut auch der brave Hermann,
dieser ehrliche deutsche Michel, und er
macht dabei eine Entwicklungskrank-
heit durch, die sür unsere geistig leben-

von Anfang an unter schiefem Gesichts-,
winkel.

Am meisten Genuß wird davon
haben, wer es gar nicht als Tendenz-
stück, sondern ganz voraussetzungslos,
wer seine Gestalten (es sind Ge-
stalten) einfach als Menschen auf sich
wirken läßt, denen er halt begegnet.
Kann man, um Vischerisch zu rcden,
nicht nur Kirschgeist, sondern auch
Kirschen genießen und läßt man sich
nicht von jedem kleinen Mangel sest-
haken, so wird man recht bald zu dem
wahrhast köstlichen Jnnenleben
dieser Dichtung gelangen. Jch habe
seit Jahren kein neues dramatisches


dige Jugend ebenso typisch ist, wie es
diese Gestalten sind. Das „Ueber-
menschentum", die „Moderne" und
was von solchen Schlagwort-Jdeen
noch dazwischen spielt, es gibt nur
das Zeitgewand ab sür eine allgemein
menschliche Sache. Die Entwicklung
vom Verneinen zum Bejahen, vom
Kritteln und Klagen zum Wollen und
Arbeiten, sie kann man, wenn man
will, in einer Art von Tendenz hier
gepriesen sinden. Wollte man aber
in diesem Stück eine Polemik gegen
„moderne Gedanken" sehen, wie sie
z. B. Paul Hepse in seiner „Wahrheit"
mit so viel Mißerfolg versucht hat, so
thäte man dem Modernen Otto Ernst
sehr Unrecht und besähe sein Stück

Werk getroffen, das von echter Be-
geisterung so durchleuchtet, das von
edler Lebensfreude so durchsonnt wäre.
Das gibt dem ganzen eine Wärme, in
der sür mich wenigstens alle etwaigen
kleinen Fehler von Verzeichnungen usw.
so zusammentrocknen, daß sie mir völlig
gleichgiltig sind. Wer auf's W e s e n t-
liche geht, wird hier bei richtiger
Darstellung im Genuß kaum auf eine
Minute gestört werden. Freilich setzt
z. B. die ganz wunderschöne Gestalt
der Klara zugleich eine Gescheitheit,
eine Lebenskrast und eine ties inner-
liche Keuschheit in der Darstellerin
voraus, die man vereint nicht überall
antreffen wird. A.

209

ü Dezemberheft t«99
 
Annotationen