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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1900)
DOI Artikel:
Schumann, Paul: Romane in Zeitungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0309

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dirion dringen beunruhigende Bemerkungen zu ihm, der Roman sei nicht
„spannend" genug, früher sei doch „Besseres" geboten morden. Unser Redakteur
setzt sich darüber hinweg: „diese Leute" haben ja kein literarisches Urteil. Bald
regt sichs aber auch im Leserkreise: es laufen Schreiben ein, die der Chef-
redakteur mit gerunzelter Stirn seinem jüngeren Kollegen vorlegt. Nicht, daß
er ihren Jnhalt billigte: diese Zuschriften rühren gering gerechnet zu neunzehn
unter zwanzig von völlig verständnislosen Leuten her, von Menschen, die keine
Ahnung davon haben, was eine dichterische Erzählung eigentlich sür ein Ding
ist. Aber diese Menschen bilden in Deutschland die große Mehrheit der Zeitungs-
leser, und vor dieser pslegt der Herr Redakteur gewaltigen Respekt zu haben.
Denn hinter ihnen steht der heimliche Regent, ach, sast jeder Zeitung, welcher
bekanntlich nicht der „verantwortliche Redakteur", sondern der Verleger ist. Der
erscheint denn auch bald höchstselbst auf dem Plane und er macht dem literarisch
angehauchten Schriftleiter klar, daß er ihm mit seinen Alsanzereien die
Abonnenten vertreibe, sein Publikum brauche eine ganz andere Kost zu litera-
rischer Ilnterhaltung und wenn sich der Herr Redakteur nicht fügen wolle, so
könne er sich ja eine geeignetere Stellung sür seine Fähigkeiten suchen. Unter
diesem Drucke läßt dann der literarische Redakteur seine Jdeale ausfliegen und
greift seuszend zu Arthur Zapp von heute. Bei den allermeisten Redaktionen
gibt es literarische Bestrebungen hinsichtlich des Romanes überhaupt nicht
mehr. Die Wahl richtet sich nach der Frage: was wird der Masse unseres
Publikums am meisten gesallenI

Wollte man eine Liste derjenigen Verfasser aufstellen, üeren Romane
und Novellen in den Zeitungen erscheinen, ich glaube: kaum füns von hundert
könnten auf einen Namen in der Literatur Anspruch erheben, und die Liste
würde sich ganz wesentlich von einer solchen unserer wirklichen deutschen Dichter
und Schriftsteller unterscheiden. Jm Kürschnerschen Schriftsteller-Lexikon sindet
man diese Zeitungs-Autoren — meist schriftstellernde Damen — allerdings samt
und sonders verzeichnet. Bei einem literarisch ganz unbekannten Namen sind
da wohl auch ganze Reihen bereits veröffentlichter Romane und Nooellen auf-
gesührt. Wer kauft das Zeug wohl? Nun — die Zeitungen und, teilweise,
die Leihbibliotheken. Es gibt Verlagsbuchhändler, die ihre Romane nur in
der Zahl der vorhandenen deutschen Leihbibliotheken auflegen und von diesen
Leihbibliotheks-Büchern sonst gar kein Aufhebens machen, keine Rezensions--
exemplare versenden und andere Kreise dafür zu interessieren gar nicht versuchen.
Verleger und Schriststeller, die das „literarische Geschäft" gut verstehen, teilen
auch wohl ihre „Werke" in zwei oder drei ganz gelrennte Gattungen: r.Bücher,
sür die Absatz beim Publikum gesucht wird. 2. Bücher, die nur für die Leih-
bibliotheken gedruckt werden. z. Romane, die sie nur in Zeitungen erscheinen
lassen. So that z. B. der verstorbene Friedrich Friedrich, der manchen Roman
an sünfhundertmal an Zeitungen verkaufte — zum Preise von einigen tausend
bis herunter zu 5 M. —, der aber streng darauf hielt, nur die Romane, die
er sür besser hielt, in Buchsorm erscheinen zu lassen. Viele andere Roman-
schreiber handeln notgedrungen ebenso, weil sie wohl ihre Geschichten in Zeitungen
abzusetzen, aber keinen Verleger zu finden vermögen. Das Neueste aus diesem
Gebiete, das uns ausstieß, war, daß ein Schriftsteller seine „besseren" Werke
unter seinem eigenen, das noch Schlechtere unter einem angenommenen Namen
erscheinen läßt. Einige solcher Leute bemühen sich ja auch sich selbst und anderen
vorzulügen, daß sie wirklich in der deutschen Literatur etwas zu suchen hätten.
Jn Zeitungen — es ist traurig zu sagen — findet jeder Schundroman seinen

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