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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 8 (2. Januarheft 1900)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0330

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die Frage nach dern Zustand und nach
der Herkunft, dem Sein und dem Ge-
wordensein der modernen Seele, die
mich bei der Betrachtung der Literatur
unserer Tage hauptsächlich reizt, so
daß ich dieserLiteratur also vielweniger
als Schöngeist, denn als Psychologe
und Historiker — sozusagen als psycho-
logischer Historiker — mit objektiver
Schaulust gegenüberstehe." Ja, psycho-
logische Hißoriker, das wollen sie heute
alle sein, „Schöngeist", d. h. einfach
Kritiker, Aesthetiker, Literaturhistoriker
im alten Sinne ist ihnen nicht mehr
gut genug. Daß aber die ästhetisch-
kritische und die vergleichende literatur-
historische Arbeit erst zu leisten ist, ehe
man sich zum psychologischen Historiker
auswerfen dars, fällt ihnen nicht bei;
ob ein Haus aus festem Stein erbaut,
ob es Holz oder Lehm, ob es gar nur
ein gemaltes Haus in der Art der
Potemkinschen Dörser ist, untersuchen
sie nicht erst, sondern geben nach dem
Lesen der betressenden Dichterwerke
frischweg allerlei geistreiche Aus-
sührungen aus den Tiesen ihrer
eigenen modernen Seele zum besten,
üie dann natürlich auch stark
an die Potemkinschen Dörfer er-
innern- Max Lorenz hat sich mit
sozialpolitischen Studien abgegeben,
er ist auch kein schlechter Kopf,
und so bringt er hie und da Brauch-
bares, aber den meisten seiner Auf-
sätze sehlt doch das ästhetisch-kritische
Fundament. Um ihn für die Leser
des Kunstwarts zu kennzeichnen, ge-
nügt zu sagen, daß er Fuldas „Hero-
strat", sowie Sudermanns „Johannes"
und „die drei Reihersedern" bitter ernst
nimmt, ernster vielleicht, als die Au-
toren selbst diese ihre Werke genommen
haben. Ein psychologischer Historiker
sollte doch eigentlich erkennen, wo die
moderne Seele — wenn auch meinet-
wegen bis zu einem gewissen Grade
unbewußt— Komödie spielt. Außer-
ordentlich hat mich der Aufsatz über
Hebbels „Herodes und Mariamne"
Runstwart

amüsiert — Lorenz hat nämlich keine
Ahnung davon, daß nach Ausweis
des Bücherabsatzes Hebbel heute nach
Goethe und Schiller wahrscheinlich so-
gar der gelesenste aller älteren deutschen
Dichter ist, und meint ihn einem ver-
ehrungswürdigen Publiko empfehlen
zu müssen. Adolf Bartels.

* PaulHeyseund dieJungen.

„Paul Heyse, der Wiedergenesene",
so lesen wir in den Vlättern, „liest
den »Jungen« in seiner schalkhaften
Weise wieder einmal die Leviten."
Das bezieht sich auf ein Heysesches
Gedicht in der Münchner „Jugend":

" „An Schiller."

Du auch — an den vollen Brüsten
Der Natur hast du gesogen,

Doch die Herrn Naturalisten
Sind dir darum nicht gewogen.

Unbekannt ist dir das große
Zauberwort „Milieu" geblieben,

Und was hast du je als bloße
„Aktualität" geschrieben?

Zwar das Drama der Luise
Millerin ließ Gutes hoffen,

Doch, bis auf den Tell, sind diese
Hoffnungen nicht eingetroffen.

Einen Schimmer von dem Sterne,
Der zu Häupten dir erglühte,

Der den Spuk dir ewig serne
Hielt, öer heute steht in Blüte:

Dieses brünstig freie Liebeln,

Die hysterischen Ehebrüche,

Und dazwischen jenen übeln
Mißduft aus der Pöbelküche.

Wegen solcher tiefempfundner
Mängel darsst du sie nicht schelten,
Willst du als ein überwundner
Standpunkt ihnen ferner gelten.

Darfst du heut' einmal erscheinen,
Auferweckt aus langem Dunkel,

Jsts nur sür die lieben Kleinen,
Unterm Tannenbaumgefunkel.

Den Erwachsnen auch erlaubt mans,
Daß ein Lied sie heut erquicke.

Morgen dann zu Gerhart Hauptmanns
„Sonnenaufgang" gehts zurücke.

Wir vom Kunstwart sind wohl so
ziemlich sicher vor dem Verdacht, diese
unsre Neuesten zu überschätzen, die ja
im Kunstwart und seinem Literatur-
kritiker ihren Feind sehen, aber die
Heysesche Art der Polemik können wir
 
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