Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1900)
DOI Artikel:
Schielderup, Gerhard: Sprechsaal: in Sachen des modernen realistischen Musikdramas
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0394

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
barkeit an. Allein vielleicht die allzugroße Verwicklung der seelischen Motiv
bei den gebildeten Menschen könnte in die Wagschale sallen, obschon „Götter
dämmerung" und „Parsifal", wie der letzte Aufzug des „Tristan" uns zeigen
wie weit verzweigtes und zusammengesetztes Seelenleben die dramatische Musik
zu schildern vermag. Sehen wir davon ab und denken uns ein modernes
realistisches Drama im Sinne Schjelderups, etwa Hauptmanns „Fuhrmann
Henschel". Da haben wir alles, was verlangt wird: Menschen aus dem Volke,
eine einfache, klare, eng begrenzte, tief innerliche Handlung, in welcher bei der
mit so bewundernswerter Naturtreue gezeichneten Ungelenkheit und inneren
Dumpfheit namentlich des Helden die seelenkündende Musik gar viel zu sagen
hätte. Und können wir bei alledem „Fuhrmann Henschel" als Musikdrama
denken? Jch nicht. Und zwar rein üutzerlich deshalb nicht, weil wir ihn uns nicht
gesungen denken können. Gesungene Prosa (der Dialekt thut nichts zur
Sache) ist ein Unding. „Fuhrmann Henschel" in Versen wäre aber eben nicht „der
moderne realistische Fuhrmann Henschel". Der Gesang verlangt also den Gegen-
sap von Prosa, d. h. Poesie, welches Wort wir hier nur in der üußerlichen Be-
deutung von „Vers", „gehobene" Sprache nehmen. Nehmen wir es aber in seiner
inneren Bedeutung, so bedeutet es die ideale Erhebung, Entrückung des Lebens in
höhere Kreise, die Verklürung. Die unbestreitbare, herrliche verklärende Kraft
der Orch estermusik muß im Drama durch die Poesie, die oerklürende Macht
der Dichtkunst, unterstützt werden, in ihr dns dem eigenen Wesen Verwandte
finden, sonst entsteht eben ein Flickwerk. Wie wenig stimmt doch Beethovens
wundervolle Musik zu dem nach jetzigen Begrisfen so bescheiden realistischen,
nüchternen „Egmont", mit Ausnahme von Klärchens Tod und der Traum-
erscheinung, welche eben beide „poetisch" sind, von Schiller jedoch mit Recht
als aus dem Stil des übrigen Dramas fallend bezeichnet wurden. Dieser
„Egmont" und seine Musik ist ein höchst beweiskräftiges Beispiel für den Satz:
„Realistische Dichtung und Musik ist unvereinbar; mit Musik vereinbarte Dichtung
ist poetisch." Es käme also darauf an, wenn ein modernes jd. h. modernes
Leben schilderndes) Musikdrama möglich sein sollte, ein poetisches solches
zu schassen. Jst das möglich? Jch glaube, nein. Poetisch, d. h. verklärt,
verschönert, meinetwegen idealisiert, sehen wir, oder sieht der Künstler, der
künsllerisch veranlagte Mensch, die Vergangenheit — früher wenigstens that er
es, jetzt ist das „unmodern" geworden. Nicht, weil die Zeit Hans Sachsens
uns leicht verständlich ist (warum sollte sie es mehr sein als andere?), nicht
darum konnte auf „geschichtlichem Hintergrunde" Wagner seine „Meistersinger"
schaffen, sondern weil er das vieltürmige Nürnberg mit seinem gemütlichen
Dichter, seinen ungemütlichen Pedanten, seinem Nachtwächter und seinem
Mondschein im verklärenden Lichte der Poesie sah. Wohl bleibt das Rein-
menschliche immer der Hauptgegenstand künstlerischer Darstellung, und darum
wählte Wagner hauptsüchlich die fast reinmenschliche Gestalten darstellenden
Mythen; sonst aber sind die Menschen in ein Zeitgewand gekleidet, welches
ihnen nicht abgestreist werden kann. Und das ist ein Glück, denn wer möchte
es in den „Meistersingern" oder im „Faust" missen? Aber es muß eben, will
es der Verklärung durch die Musik teilhaftig werden, auch durch die Dicht-
kunst, gewissermaßen vorbereitend, verklärt sein. Und wer könnte seine eigne,
ihm ihre Wirklichkeit auf Schritt und Tritt ausdrängende Zeit mit den Augen
der Poesie anschauen? Nur ein solcher dürfte ein „modernes po etisch es Musik-
drama" schaffen! Srust ksartig.

Runftwart

582
 
Annotationen