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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 10 (2. Februarheft 1900)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0403

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Fünf Schriftsteller wurden oon Herrn
Axel Delmar eingeladen, fich zur
Sarnmelarbeit zu vereinigen. Wichert
behandelte die Goetheperiode zu Wei-
mar; der Einakter „Vorwürts" von
Lauff führt in die Zeit des Marschalls
Blücher; Georg Engel wollte aus Ber-
binischem Alltagsleben die Erhebung
von erklären; ein elegisch aus-
klingendes Jdyll aus dem Soldaten-
leben von t87o fchrieb Ompteda und
mitten ins gegenwärtige groß-indu-
chrielle Berlin geleitet das Sylvester-
spiel von tyoo von Jacobowski.

Aus diefer einfachen Ausführung
geht leicht hervor, wie beengt die Ver-
fasfer dieser Jahrhundertspiele waren.
Sie mußten zum kleinen Genre, zur
anekdotischen Erörterung Zuflucht
nehmen. Nur bei genialischen Naturen
kommt es vor, datz in einzelnen zu-
fammengepreßten Szenen einumfatzend
gesellschaftlicher Zuftand blitzartig er-
hellt wird. Genialische Naturen hätten
fich freilich nicht zu einem Fünferspiel
gängeln lassen.

Jn dem ftillosen Wirrwarr der
Genreszenen erfreuten die Soldaten-
ftücke von Ompteda und Lauff mehr,
als die hohle Deklamation von Wicherts
„Goethe" und die gewundenen Komö-
dien von Engel und Jacobowski.
Jofef Lauff gibt fich sogar auf
dem engeren Gebiet unbedingt treuer
und herzhafter, als in seinen Jamben-
Historien. Der Marschall Vorwärts
der volkstümlichen Legende gibt aller-
Lings so viel feste beftimmte Züge,
datz man nur mit Treue nachzuzeichnen
braucht, um die Lust an einer kern-
haften, derb resoluten Soldatengestalt
zu wecken.

Jn sanfteren, lyrifchen Akkorden
Lewegt fich die Szene „Bei Wörth"
von Ompteda. Die beraufchenden
und die schwermütig bangen Gefühle
eines jungen Mannes, der zum ersten
Male auf dem Kriegsfeld steht, klingen
als Lichterisch bewegtes Element in dem
Spiel wieder; fie heben das Stück,

das sonst in äußerlicher Schilderung
gar nüchtern würde.

UeberWicherts „Goethe"undüber
die Szenen aus ;8q8 und 1900 würe
es am beften, zu schweigen. Denn
nach pedantischem Maß kann Goethe
nicht gemessen werden; und eine Sitten-
richterei, die von einer geistigen Ge-
walt auch eine Modetugend von hsute
etwa erwartet, ist um nichts wert-
voller, als die Sittenrichterei, die auf
heiligen Lebenswandel erpicht ist. Die
politischen Tugenden eines wohlgesinnt
Nationalen aus irgend einem Bürger-
verein konnte Goethe nicht teilen. Wer
sie ihm zudiktiert, versündigt sich an
der geschichtlichen Wahrheit und thut
an Goethe wirklich kein Heilswerk.

Mit den Guckkastenbildern Engels
ist völlig nichts anzufangen. Unter
der Maske der Parteilosigkeit kläglich
auszuweichen, das erinnert an das
einschläfernde Verfahren der unpartei-
ischen Massenliteratur und der künst-
lerisch verhunzten Wochenblütter, die
mit ihrer Jahrmarktsrnenge elender
Jllustrationen gleichfalls eine edle
Zierde des scheidenden Jahrhunderts
bedeuten. — Nicht viel mehr zu sagen
hat es, wenn Jacoborvski eine Utopie
für ein Gegenwartsbild ausgibt. Er
stellt sich dann als lyrischen Träumer
vor, und in Wahrheit schlüpft er um
den rauhen Kern der Dinge vorbei.
Eine Utopie aber ift Jacobowskis lust-
volle Eintracht zwischen Fabrikanten
und Arbeitern in der Neujahrsnacht
von 1900.

Mit dem Londoner Pinero machte
das Lesfingtheater einen neuen vcr-
geblichen Versuch. Weil das Drama
„Lord Quex" in England „Kasfe macht",
warum soll es nicht flugs ins Deutsche
übertragen werden? Die Engländer
halten von Pinero sehr viel; sie rühmen
felbst sein satirisches Talent. Es ist
möglich, datz man auf dem Londoner
Theater für eine schwere Keckheit hält,
was uns wie ein ziemlich dürftiges,
äußerliches Spötteln über die Heuchelei
2. Februarheft 1900
 
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