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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Erstes Heft (Januar 1906)
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Justi, Ludwig: [Rezension von: Heinrich Wölfflin, Die Kunst Albrecht Dürers]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0012

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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

Januar-Heft.

haupt etwas darin zu suchen ist, so kann es nur
die jugendliche und fast kokette Elastizität des
florentinischen Quattrocento sein.*)
Im ganzen aber ist diese Entwicklung — der
Annäherung an das Cinquecento — scharf und
richtig beobachtet und sehr viel geistvoller, als es
gewöhnlich bei Konstatierung italienischen Ein-
flusses zu geschehen pflegt: Wölfflin erfasst hierin
durchaus das Wesentliche und weiss es klar und
fassbar darzustellen. Ganz besonders glücklich ist
wohl das Kapitel „Spätgotik und Renaissance“, wo
das Eindringen des neuen Geistes in die Orna-
mentik geradezu glänzend dargelegt wird; die
kurze Erläuterung z. B. des einen Dekorations-
entwurfs ist ein Meisterstück solcher Darlegung.
Andere Entwicklungslinien, z. B. des Reichtums
und der Sicherheit der Bewegung, der Raumfül-
lung und Lichtbehandlung, der Art, zu konzipieren
und durchzuführen, der Herausarbeitung des Stils
in den verschiedenen Techniken, dann die allmäh-
liche Eroberung der Natur, endlich die mancherlei
Gegensätze und Uebergänge vom Mittelalterlichen
zum Modernen im Menschen wie im Künstler — alle
diese Momente sind nur angedeutet, während ihre aus-
führliche Darstellung m. E. das Bild erst vollständig
gemacht hätte. W. wäre dann auch nicht zu dem
Satz gekommen: „Geradlinig konsequente Entwick-
lungen gibt es überhaupt nicht bei Dürer“ (S. 161).
In dem systematischen Teil stört es zuweilen, dass
*) Man konnte sich einmal an dieser Stellung
die Entwicklung und die verschiedenen Richtun-
gen des Quattrocento vergegenwärtigen. Aus einer
antikisierenden Stellung bildet sich diese spezifisch
florentinische heraus; am stärksten ist das Ge-
spreizte, Gespannte in der Sphäre des Pollaiuolo
(unvergesslich z. B. in Botticellis bestem Bilde,
der Anbetung der Könige, Uffizien). Bei den ruhi-
geren Marmorplastikern erscheint jene Stellung
sehr viel matter; ein später Maler, wie Ghirlan-
dajo, bringt sie fast nur noch bei Knaben u. dgl.
Mit dem grossen Strom florentinischen Einflusses
kommt natürlich auch dies Standmotiv nach Ober-
italien (z. B. Montagna in einer der herrlichen
Tafeln von S. Nazaro e Celso in Verona u. s. w.).
Zur wuchtigen Bewegungsart des Mantegna da-
gegen passt es nicht, wie es denn auch bei
Donatello kaum vorkommt. Zuweilen taucht es
auch in Venedig und Tirol auf, aber meist abge-
mattet. Dürer mag sich irgend eine eindrucks-
volle Figur abgezeichnet haben; legt man aber
Wert auf solide Zusammenhänge, so mag man an-
nehmen, dass ein Blatt aus der Folge der Tarok-
Karten („Chronico XXXII“), von denen er ja
Kopien gemacht hat, das Vorbild gewesen sei.

der Wandel der Dürerschen Art nicht genug be-
rücksichtigt ist, gerade bei einem Künstler, der so
imUebergang zweier Weltalter steht, dessen Kunst
so starke Verschiebungen in Teilen ihrer Funda-
mente erlebte.
Die inhaltliche Würdigung der einzelnen
Werke entfernt sich im allgemeinen nicht vom
Ueblichen und ist meist einwandfrei (bis auf ein-
zelne Sonderlichkeiten, z. B. den kuriosen Irrtum
bei der Erklärung der Wochenstube im Marien -
leben, S. 71; manchmal wird er auch gar zu geist-
reich, wie beim Antonius von 1519, S. 215). Dass
die Erläuterung der formalen Momente stets sehr
stark im Vordergrund steht, wird vielleicht man-
chen sentimentalen Leser kränken, mit Unrecht,
die inhaltlichen Momente machen sich bei der Be-
trachtung schon bemerkbar genug, wenigstens dem
kultivierten Menschen, an den hier gedacht ist;
das Formale dagegen ist schwer zugänglich.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass vielfach in
mehr oder weniger engem Anschluss an die Ma-
terie feine und anregende Gedanken auftauchen —
es ist kein trockener Spezialist, der hier das Wort
hat (z. B. die sehr beachtenswerte Bemerkung zu
Zolas bekanntem Ausspruch, S. 294).
4. Die Form der Darstellung ist vortreff-
lich. Die Disposition des Ganzen freilich ist nicht
so übersichtlich, wie man es bei der verworrenen
Masse des Stoffes vielleicht wünschen möchte und
wie man es von dem Meister der so kristallklar
durchgearbeiteten „Klassischen Kunst“ erwarten
durfte. Ein kleiner systematischer Teil am Schluss,
sonst im allgemeinen biographische Anordnung,
aber auch Systematisches dazwischen, dann ge-
legentlich Zusammenfassen nach inhaltlichen oder
anderen Gesichtspunkten; entlegenere Gebiete wer-
den bei Gelegenheit gestreift.
Die Einzeldarstellung jedoch ist glänzend. Die
Vorzüge der W.’schen Sprache sind bekannt, es
ist eine Kunstsprache, mit Anlehnung an Burck-
hardt, manchmal eine kleine Trivialität sich ge-
stattend oder eine Regellosigkeit, manchmal auch
etwas zu feierlich (der junge Dürer bildet die
Wolken kräftiger als seine Vorgänger, das sind
„quellende Wolken, jene grossen stolzen Wolken,
mit denen die junge Generation so prächtig ein-
herfährt“, S. 42). Hier und da leuchtet ein feiner
Humor auf, aber nur für den aufmerksamen Leser.
Die Sprache ist niemals journalistisch, niemals
abstrakt dozierend: W. hat gerade eine wunder-
volle Fähigkeit, abstrakte Dinge, die sich mit Be-
griffen kaum einfangen lassen, durch irgend ein
schlagendes Bild sofort deutlich und hell zu
machen (z. B. „Alles bewegt sich — an der Ehren-
pforte — wie auf einem Ameisenhaufen“). Auch
 
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