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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Erstes Heft (Januar 1906)
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Justi, Ludwig: [Rezension von: Heinrich Wölfflin, Die Kunst Albrecht Dürers]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0009

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MONATSHEFTE
DER KUNSTWISSENSCHAFTLICHEN LITERATUR

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unter Mitwirkung vieler Kunstgelehrten herausgegeben von
Dr. Ernst Jaffe und Dr. Curt Sachs.

Erstes Heft, a Januar 1906.

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Deutsche Kunst.
Heinrich Wölfflin, Die Kunst Albrecht Dürers.
Mit 132 Abb. VI und 316 S. 8°. München
1905. F. Bruckmann, A. - G. Mk. 12,— geb.
Seit dem Erscheinen von Thausings Dürerwerk
sind jetzt dreissig Jahre vergangen. Während dieses
Menschenalters hat sich in der Kunstgeschichte
nicht nur das tatsächliche Wissen ausserordentlich
vermehrt: die Organisation, die Hilfsmittel sind
unvergleichlich reicher und feiner geworden, und
damit auch die Ansprüche an einen, der gehört zu
werden wünscht. Das Empfinden für Stil, Stil-
wandlung, Stilindizien hat sich ganz besonders ver-
feinert. Dass deshalb die modernen Kunsthistori-
ker auch mehr Geist hätten wie die alten, soll
damit keineswegs gesagt sein. Jedenfalls aber
fehlen fast überall die zusammenfassenden Werke,
die dem heutigen Wissen und Verstehen ent-
sprechen : die feinsten Köpfe gerade schreiben nicht
allzu gern, und manches gutgehende dickleibige
Werk ist von Unberufenen gebaut worden,
Zu den Mängeln aller älteren kunstgeschicht-
lichen Werke kommen nun bei Thausings Buch
noch besondere Fehler hinzu: die schlechte Dis-
position, die gerade bei diesem schwer zu über-
sehenden Stoff besonders empfindlich ist, und einige
starke Irrtümer’ im Aufbau der Jugendgeschichte.
Diese Irrtümer sind inzwischen berichtigt: Thau-
sings falsche Hypothese vom Meister W., die dem
jungen Dürer gerade die charakteristischen Arbei-
ten wegnahm, ist endgiltig beseitigt, die Barbari-
hypothese, die ihn unter den faszinierenden Ein-
fluss eines keineswegs hervorragenden Geistes
stellte, ist erschüttert. Unsere Kenntnis von Dü-
rers Beziehungen zu Italien wurde andrerseits durch
manchen Einzelfund bereichert, verfeinert und be-
richtigt, auch durch glückliche Entdeckungen über
seine Tiroler Landschaftszeichnungen. Heues Licht
fiel dann auf diese italienischen Beziehungen, wie
auf seine künstlerische Gesinnung überhaupt durch
die Feststellung des Hineinspielens der Proportions-
studien in das praktische Schaffen.
Zu diesen Korrekturen und neuen Beleuchtun-

gen innerhalb des alten Oeuvres kam dann noch
der überraschende Fund Daniel Burckhards, der
eine erste Epoche reichster Tätigkeit auf deckte.
So stellt sich uns heute die ganze Jugendge-
schichte Dürers völlig anders dar. Für die spätere
Zeit haben insbesondere die Forschungen Gieh-
lows eine Fülle des Neuen und Interessanten ge-
bracht.
Heber Dürers Linienstil hat Vischer eine
prächtige Studie geschrieben. Ferner sind auch
über die Psychologie seines künstlerischen Schaf-
fens unsere Begriffe gereinigt und verfeinert
worden.
Endlich aber und hauptsächlich: wir sind
heute mit Dürers Handzeichnungen völlig vertraut,
zunächst durch Ephrussi, dann durch das glän-
zende Lippmannsche Werk. Was ein solches Werk
gerade bei einem Künstler wie Dürer zu bedeuten
hat, ist kaum zu sagen.
Wer die Handzeichnungen kennt, die neueren
Forschungen beherrscht und mit modern geschul-
ten Augen vor Dürer tritt, der bekommt nun aller-
dings ein ganz anderes Bild, als es Thausing ge-
geben hat. Thausings Buch liegt also heute vor
uns ungefähr wie ein altes Adressbuch: zu seiner
Zeit eine sehr achtenswerte Leistung, ist es über-
all unvollständig und vielfach falsch; und doch
muss man es benutzen, so lange man kein neueres
hat — denn seitdem sind nur kurze Zusammen-
fassungen erschienen. Dass es gerade über den
grössten deutschen Meister kein erschöpfendes und
in unserem. Sinne gutes Werk gegeben hat, ist
gewiss oft und lebhaft bedauert worden. Es ist
daher wohl auch selten ein kunstwissenschaftliches
Buch mit solcher Spannung erwartet worden, wie
Wölfflins Dürer (die erste Auflage soll bereits ver-
griffen sein), zumal da man den Verfasser bisher
hauptsächlich als Künder der italienischen Hoch-
renaissance kannte und nicht wusste, wie er sich
zu dem alten Nürnberger stellen werde. Seine
Vorlesungen mochten ihn auf diesen Stoff ge-
bracht haben.
1. Für den Forscher enthält das Buch im
wesentlichen nichts neues. Die Forschungen der
 
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