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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Zweites Heft (Februar 1906)
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Singer, Hans Wolfgang: [Rezension von: W. Waldschmidt, Dante Gabriel Rossetti]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0032

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24

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

Februar-Heft.

So menschlich schön das Freundschaftsverhält-
nis zwischen Th. und Thoma ist, so hat es den
Kunsthistoriker unserer Meinung nach hier doch
verleitet, den lebenden Freund allzunah an den
gestorbenen grossen Meister heranzurücken Ich
glaube nicht, dass Thoma sich an Universalität des
Gefühls und an Tiefe der Phantasie mit Böcklin
messen kann. Thoma steht zu röcklin etwa, wie
Storm zu Keller, womit nichts weiter verglichen
werden soll als die beiderseitige Weite des Welt-
verständnisses und die lyrische Temperamentsanlage
hier, die dramatisch-epische dort. Unserm Genuss
der Schöpfungen Thomas wird durch eine solche
Feststellung ja kein Abbruch getan.
Bei dem Versuche, die Welt Thomaischen
Gestaltens sprachlich zu umschreiben, begegnen
Th. meinem Gefühl nach einige stilistische Ent-
gleisungen, so z. B.: „in dem zu den Wellen sich
herabneigenden Gesträuch singt das Vöglein, dem
es sich gar lieblich lauscht. “ Das „Geheimnis des
grossen, umfassenden Schauens, der Kraft der
Liebe“ Thomas sieht Th. in seinem „reinen Kinder-
gemüt“. Hier liegt wohl Thomas menschliche
Stärke, vielleicht aber auch die Wurzel mancher
künstlerischen Schwächen, und es ist eine indisku-
table Sache des persönlichen Gefühls, ob einem die
eigentümliche „Gewaltsamkeit“ Böcklins, das
„Uebermässige in seinen Schöpfungen“ — oder ob
einem die „ungezwungene Harmonie“, die „deutsche
Schlichtheit“, der Stil Thomas ein tieferes Keich
miterlebender Empfindung erschliesst.
In den neusten Erscheinungen deutscher
Kunst: in dem Symbolismus und der dekorativ-
stilisierenden Richtung erblickt Th. wohl mit Recht
nichts „lebens- und entwicklungsfähiges“. Das
„Heil der Zukunft deutscher Malerei“ liegt
nach Th. nicht in einer Nachahmung der Werke
Böcklius oder Thomas, sondern im „Gestalten aus
ihrem Geiste, besonders dem Thomas“ heraus. So
klingt Th.’s Buch aus in die Erkenntnis, dass
es sich bei dem entfachten Kampfe um künstlerische
Güter im Grunde um den Gegensatz zweier
Weltanschauungen handelt. Die eine ist die
idealistische, die andere die realistische. „Der Grund
und Boden, auf dem wir in diesen Vorlesungen
standen, war der des Idealismus! Dieses aber,
können wir getrost behaupten, ist von jeher die
künstlerische Weltanschauung gewesen und, dürfen
wir hinzufügen, auch die ganz besonders deutsche“.
Als Führer und Helfer sah Th. bei seinen Aus-
führungen Lessing, Herder, Schiller, Goethe,
Wagner, Kant, Schopenhauer sich zur Seite stehen.
Von der Frage abgesehen, ob sich gerade Lessing
und Goethe zu einer rein idealistischen Auffassung
der Kunst im Sinne Th.’s bekennen würden,

brauchte es wohl kaum einer so erlauchten Schar
von Eideshelfern, um zu beweisen, dass uns Böck-
lins Kunst ein Lebensgut ist, das wir nicht ge-
sonnen sind, uns rauben zu lassen, am wenigsten
von so schwachbewaffneten Angreifern.
Th.’s Buch — vor der Oeffentlichkeit entstan-
den als Protest und Bekenntnis in einer die Oeffent-
lichkeit weit erregenden künstlerischen Angelegen-
heit — reizt durch seine kräftige Subjektivität auf
allen Seiten zu Widerspruch und Zustimmung.
Aber gerade deshalb verdient es weit eher das In-
teresse eines grossen Publikums zu finden, als irgend
ein rein objektiv gehaltenes Werk, das nur Unbe-
streitbares und darum lauter Langweiligkeiten
vorträgt. Wilhelm Waetzoldt
Englische Kunst.
W. Waldschmidt, Dante Gabriel Rossetti.
Jena-Leipzig. E. Diederichs. 8°. 1905. 162 SS.
mit J6 Raster drucken. M. 6,—.
Wir verfolgen den Verfasser bei seinem Streben
uns den Dichter und den Maler, weniger den Menschen
„erklären“ zu wollen, wobei ei' auf die verschiedensten
dichterischen, künstlerischen und allgemeinen kul-
turgeschichtlichen Erscheinungen früherer Jahre
zurückgreift, um die einzelnen Regungen, ja die
einzelnen Taten seines Helden zu motivieren.
Gerade über solche frühere Menschen und Schick-
sale findet sich in dem Buch manches interessante
vor, sodass wir darüber und über die Entfaltung des
reichen Apparats die eigentliche Kernfrage zu-
nächst aus dem Auge verlieren Aber bei nach-
heriger Ueberlegung fällt es auf, dass die Ab-
hängigkeiten und die vom Verfasser gesponnenen
Entwickelungsfäden weniger den Tatsachen Rech-
nung tragen, als den Anschauungen, die eben der
Verfasser sich zurechtgelegt hat, wie er sie bequem
zu seinem Bild verbinden kann Ein gewisses
Prunken mit polyhistorischem Wissen erweckte
zuerst unseren Argwohn, der zum Misstrauen an-
wuchs sobald wir auf solche Sätze stossen wie
„Ein Stück Heldentum in der Tat, - aber durch
das Temperament eines Boucher, eines Gainsborough
gesehen “
In der Tat gibt das Buch nicht eine Vor-
stellung des Rossetti, wie er war, sondern wie der
Verf. durchaus will, dass er gewesen sein soll. In
unserer Zeit ist das ja gang und gäbe geworden,
und man kann sich um so leichter Sporen verdienen,
je mehr man in einen Menschen hinein-, je weniger'
man aus ihm heraussieht. Findet man ja Gefallen
an der Feder, die die Ansicht zu verbreiten sucht,
 
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