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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Sechstes Heft (Juni 1906)
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Lichtenberg, Reinhold von: [Rezension von: Hans Sohrmann, Die altinidsche Säule. Ein Beitrag zur Säulenkunde]
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Popp, Hermann: [Rezension von: Theodor Koch-Grünberg, Anfänge der Kunst im Urwald]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0120

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112

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

Juni-Heft.

der Erdfeuchtigkeit ausgesetztes Ende mit einem
schützenden Schuhe, erst vielleicht aus Binsenge-
flecht, dann aus Metall versehen wurde. Ein
Beispiel, das diese Erklärung sehr unterstützt,
ist uns in den Türzapfen von Balawat (Abb. 35)
erhalten. Später wurde auch diese Form ornamental
in Stein übertragen.
Gewagt erscheint mir wieder die Ableitung des
Sattelholzes (S. 55) aus „zentralasiatischen Ur-
motiven“. Dieses Glied zwischen Säulenschaft und
Gebälk ist in der Holzarchitektur zur Vergrösse-
rung der tragenden Fläche durchaus nötig. Es
findet sich, schon in der mykenischen Baukunst,
wo es gewiss nicht aus Zentralasien übernommen
ist, und wird auch heute noch in Griechenland
bei primitiven Holzbauten verwendet. Es stellt sich
eben mit Notwendigkeit überall da von selbst ein,
wo Holz das wichtigste Material des Baues ist.
Bei der Besprechung des Polsterkapitells wird,
meines Erachtens sehr treffend, die kurze ge-
drungene Gestalt der dies Kapitell tragenden Säulen
und Pfeiler aus dem Grottenbaue abgeleitet, wo
der Architekt mit Beachtung der gewaltigen Last
des darüber lagernden Gesteins durch starke, kurze
Stützen dem Beschauer das Gefühl statischer
Sicherheit übermitteln wollte. Wie das Polster-
kapitell. so wird auch das Vasenkapitell von der
Glocke überfallender Blätter der indopersischen
freistehenden Säule abgeleitet. Sohrmann gibt
eine lange Entwicklungsreihe dieser Kapitellart
und die Ableitung der späteren deutlichen Vasen-
formen mit daraus hervorspriessendem Buschwerk,
das das Gebälk zu heben scheint, aus den früheren
einfachen Formen mit Ranken an den Ecken, so
dass der Gedanke mit der Zeit immer bewusster
und absichtlicher durchgebildet wurde, finde ich
recht überzeugend.
Die ganze Arbeit zeugt von fleissigem, liebe-
vollem Studium dieses interessanten Gebietes, und
mancher gute Gedanke ist darin niedergelegt, der
weiterer Verfolgung wert wäre. Zum Schlüsse
möchte ich aber doch noch vor einer Folgerung
warnen, die der Verfasser als Architekt zieht, wenn
er zum Schluss sagt: „Immerhin bietet sein (des
indischen Kapitells) Organismus ein fruchtbares
Motiv, das wert erscheint, in das moderne Kunst-
schaffen aufgenommen zu werden.“ Nein! Freuen
wir uns am Schönen und Ansprechenden, wo wir es
finden, es wird uns auch durch diese blosse Freude
manche Anregungen geben, aber übernehmen wir
es nicht. Damit erreicht man nichts Wirkliches,
sondern nur eine wertlose Nachahmung. Jede
Kunstform hat sich auf ihrem nationalen Kunst-
boden und aus ihm heraus entwickelt; willkürlich
übertragen muss sie verkümmern. Ueberlassen

I wir ruhig den Indern ihre indische Kunst, den
Japanern und den anderenVölkern die ihrige; behalten
wir Deutschen aber auch unsere herrliche deutsche
Kunst rein und unversehrt. Mit dem heute leider
so beliebten Eklektizismus ist nichts getan. Jede
Kunst ist nur da schön, fruchtbringend und ent-
wicklungsfähig, wo sie bodenständig ist. Nicht-
zumindest gilt auch dem Künstler Schillers ein-
dringliche Mahnung: „Ans Vaterland, ans teure,
schliess dich an.“
Reinhold Freiherr v. Lichtenberg
Verschiedenes.
Anfänge der Kunst im Urwald. Indianer-
handzeichnungen auf seinen Reisen in
Brasilien gesammelt von Th. Koch-Grünberg.
XV, 70 Seiten Text und 63 Tafeln. E. Was-
muth, Berlin. 15,—.
Seit geraumer Zeit richten die Ethnographen
ihr Augenmerk auf die Zeichenkunst des pacifisch-
amerikanischen Völkerkreises, namentlich auf die
Anwohner des Amazonenstromgebietes, die sowohl
wirtschaftlich wie künstlerisch auf der Kulturstufe
der jüngeren Steinzeit stehen. Forscher wie Richard
Andree, Paul Ehrenreich und Karl von den Steinen
zählen zu den ersten, welche uns genauere Kennt-
nis über das eigenartige zeichnerische Talent dieser
brasilianischen Eingeborenenstämme, besonders
der Bakairi gaben, deren Kunst geradezu als
Musterbeispiel aller ursprünglichen Kunstentwick-
lung gelten darf. Hatte schon Andree in seinen
„Ethnographischen Parallelen“,Ehrenreich in seinen
„Beiträgen zur Völkerkunde Brasiliens“, von den
Steinen in seinem 1894 erschienenen Werke „Unter
den N aturvölkern Zentralbrasiliens “ undMaxSchmidt
in seinen „Indianerstudien Zentralbrasiliens“, grund-
legende Arbeiten hierüber niedergelegt, so ist doch
die Publikation Koch-Grünbergs als eine restlose
Ergänzung des bisher noch lückenhaften illustra-
tiven Materials aufs Wärmste zu begriissen. Als
Resultat eines mehrjährigen Aufenthaltes am Rio
Negro und Japurä reproduziert sie über 400 Indianer-
handzeichnungen in der Grösse der Originale. Ein
auf gründlichste Beobachtung gestützter Text gibt
die nötigen Erklärungen zu dieser rein descriptiven
Kunst, die so völlig aus dem Rahmen der bild-
nerischen Leistungen verwandter Völker fällt.
Eine Reihe von Fragen ethnologischer und kunst-
wissenschaftlicher Natur taucht angesichts dieser
Kunstäusserungen auf. Zunächst die Frage, haben
wir es hier wirklich mit den Erzeugnissen einer
ursprünglichen, primitiven Kultur zu tun, oder mit
 
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