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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Zwölftes Heft (Dezember 1906)
DOI Artikel:
Strzygowski, Josef: [Rezension von: Josef Zemp, Das Kloster St. Johann zu Münster in Graubünden]
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Fischer, Max: [Rezension von: Artur Weese, München, eine Anregung zum Sehen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0230

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222

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

Dezember-Heft.

des Dachraumes wurden wie in S. Maria Maggiore
in Rom und im Dom zu Triest die alten Bilder
entdeckt. Aehnlich fand ich im Dom zu Palermo
über dem modernen Kuppelbau das alte Gebälk mit
seinen Malereien, In der Münsterkirche selbst sieht
man heute, entsprechend den noch mehr anachro-
nistischen Mosaiken von Aachen, die restaurierende
Polychromie vom Ende des XIX. Jahrh. Darunter
liegt zuerst eine weisse Tünche, dann Malereien
des XIII. Jahrh. und darunter erst die karolingische
Schicht. Stichproben zeigten, dass auch sie Gemälde
trug, Z. denkt sich an den Längs wänden je 5 X 8
— 40 einzelne Bilder. Wenn wir diese 2 X 40 Dar-
stellungen, dazu diejenigen der Eingangs- und
Apsiden wand wiedergewinnen könnten! Vorläufig
scheint dazu nur Geld nötig.
Z. untersucht alles bisher Vorgefundene äusserst
genau, geht den Realien der Darstellung ebenso
gewissenhaft nach, wie den künstlerischen Zügen
und der Deutung. Ich kann im Rahmen dieser
Monatshefte nur auf die interessanten Vela und
Rahmen hinweisen, dann darauf, dass am Triumph-
bogen die Himmelfahrt Christi im syrischen Typus
dargestellt war. Die Südwand zeigte denselben,
aber leider fast zerstörten Schmuck wie die Nord-
wand, auf der acht Szenen aus dem 2. Buch Samuel
gemalt sind: 1. Das Weib von Thekoa bittet bei
David für Absalom, 2. Absalom von David empfangen,
з. Absalom schmeichelt sich beim Volke ein, 4. Ab-
salom lässt sich zum König ausrufen und sammelt
bewaffnetes Volk, 5. Davids Flucht, 6. Auszug des
Heeres, 7. mbsaloms Tod und 8. David, der davon I
Nachricht erhält. Z. hätte eine ganze Anzahl alter
Paralleldarstellungen heranziehen und den Stil mit
ähnlichen älteren Zyklen des alten Testamentes
vergleichen können. Die Bilder der Westwand be-
zogen sich ebenfalls auf David. Es wird Zeit, dass
sich jemand in einer Monographie mit denDaviddar-
stellungen beschäftigt. Sie waren im christlichen
Altertum und frühen Mittelalter ausserordentlich
beliebt. Ich verweise auf die Holztür von S. Am-
brogio in Mailand, die Silberschüsseln aus Zypern
и. dgl. m. Z. kommt zu dem Resultat, dass man
die karolingische Kunst von Oberitalien als Quelle
des künstlerischen Schaffens im Kloster Münster
werde betrachten müssen und wirft zum Schluss
Fragen auf wie: Lebt neben orientalischen und
germanischen Elementen eine italische Tradition?
Hat der fränkische Zentralismus Karls d. Gr. der
oberitalischen Kunstübung eine neue Richtung
gegeben? Man sieht, Z. ist der Sache gehörig an
den Leib gerückt! Die Schweizer können stolz
sein auf den grossen wissenschaftlichen Vorstoss,
der da geleistet wurde. Wenn jetzt noch die Ar-
beiten Guyers erscheinen, dann werde ich mit

! meinen „Uebertreibungen“ nicht mehr allein stehen,
alle Welt wird sich Hals über Kopf in die neuen
Bahnen werfen. Dann wird man zu merken an-
fangen, dass in meinen Arbeiten zwanzigjährige
Beobachtung steckt und ich frei und unbekümmert
lediglich eine ehrliche Ueberzeugung ausgesprochen
habe.
Josef Strzygowski
I Artur Weese, München, eine Anregung zum
Sehen. Mit 160 Abbildungen. Leipzig,
E. A. Seemann, 1906.
Das lange vermisste Buch überbrückt eine gäh-
nende Kluft im Bereiche unserer deutschen kunst-
wissenschaftlichen Literatur, und Professor Weese
gebührt das Verdienst, als Erster den schwierigen
Versuch gemacht zu haben, das Inventar der Kunst-
epochen, die sich an das Kulturzentrum Münchens
krystallisiert haben, in historischer Folge zusammen-
zustellen. Die bisherigen Vorarbeiten bewegen sich
in keinem grösseren Zusammenhang. Das neue
Werk, das an Gediegenheit und Volumen aus dem
Rahmen der „berühmten Kunststätten“ herausfällt,
bereichert in schätzbarer Weise die Bibliothek des
Fachmannes, stellt sich aber zugleich durch den
populären Ton und das Erscheinen in dieser Form
auf eine breitere Basis. Zwar erläutert ein reiches
Abbildungsmaterial den Text, jedoch ist die Qualität
desselben nicht nur der dargestellten Gegenstände
sondern auch des Verlages unwürdig.
Umso erfreulicher der Inhalt des Buches. Ein
angenehmes Temperament und eine plastische
Sprache unterstützen die schwungvoll fortreissende
Interpretation. Wird aber die Kompositionstechnik
und die im Temperament begründete Elastizität
dem Riesenapparat in unparteiischer Weise gerecht?
Bei der cyklopischen Synthese der Stile — hier das
getragene, himmelanstrebende Pathos des Barok,
dort ein vorüberquellendes Allegro giocoso formaler
Launen und Spielereien — liegt die Gefahr nahe,
einer Epoche seine besondere Vorliebe angedeihen
zu lassen und wiederum in der dem künstlerischen
Wert nicht adäquaten Kürze eines anderen Kapitels
einen Torso zu liefern. Der Verfasser, der ge-
schichtlich vorgeht und nach den grossen Epochen
der Gotik, Renaissance, des Barok, Rokoko, des
Klassizismus und der modernen Zeit einteilt, orga-
nisiert nicht ganz gleichmässig. Damit fällt aber
natürlich die allweg erschöpfende Behandlung der
Themen weg — — und infolgedessen die Frage,
ob das Buch die Lücke ausfüllt? Im grossen
ganzen ist der Versuch gelungen, obgleich und in-
soferne nur die Architekturgeschichte präzise her-
ausgearbeitet ist, Malerei und Plastik aber sich
einer weniger eingehenden Behandlung zu erfreuen
 
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