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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Zwölftes Heft (Dezember 1906)
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Fischer, Max: [Rezension von: Artur Weese, München, eine Anregung zum Sehen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0231

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Dezember-Heft.

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

223

haben. Im Anschluss an diese drei Gesichtspunkte
einige Bemerkungen:
In dem Kapitel über die Gotik mutet der Ver-
gleich gut an zwischen den Erbauern der Lands-
huter Martinskirche, der . Ingolstädter Frauenkirche
und des hiesigen Domes, wobei geistige Anlage
und Temperament dieser Meister interessant be-
leuchtet werden. Aber Weese ist der geborene
Interpret der glanzvollen Züge, welche der Renais-
sance Kanon und die Baroktendenzen in das Ant-
litz der Stadt gegraben haben. Bei der Suche
nach der Herkunft der Typen und Formen legt er
weniger Gewicht auf die Schicksale des einzelnen
Meisters, als auf die Quelle der grundsätzlichen
Gedanken, ein Gesichtspunkt, den die Erzählung
mit solchem Nachdruck vertritt, dass sie nicht zu
formellen, aber inhaltlichen Wiederholungen greift,
z. B. bei den jesuitischen Ideen, deren Protagonist
Sustris. Das Raumbild von St. Michael eine gran-
diose Erläuterung. Ob mit dem Vlämisch-Augs-
burgisch bei der Besprechung der Fassade das
Richtige gesagt ist? Ich möchte diese Bezeichnung
nur auf den Giebel beziehen, in den unteren Teilen
aber, an einer alten Ansicht festhaltend, durch
Zwischenstufen veränderte Traditionen des Gesü
erkennen, wobei allerdings ebenso der Architekt
für die willkürliche Hintansetzung aller Kompo-
sitionsgesetze verantwortlich gemacht wird. Die
Renaissance- und Barokkapitel zeichnen sich durch
einen grossen Zug aus, aber nicht minder liegen
dem Verfasser die geistreichen Varianten und Ein-
fälle des Rokoko. Sein Effner und Cuvillies sind
sehr sympathisch. Mit feinem Verständnis wird
hier ein Superlativ angebracht. Verdienstlich ist
die Erinnerung an eine sonst ins Schattenhafte
gebannte Gestalt, den Architekten Karl von Fischer,
der den Wandel vom Zopf zum Klassizismus in
Münchens Bauten bewerkstelligt.
Was die Plastik betrifft, so liegt im Kapitel
der bürgerlichen Gotik der Hauptaccent auf dem
Altmeister Erasmus Grasser, dem Weese mit Zu-
schreibung des Aresinger-, Bötschner- und Kaiser
Ludwig-Grabsteins die gesamte Münchener Holz-
und Steinplastik zuteilt. Den Moosburger Meister
sehen wir gern auf der Münchener Ehrenbank,
der doch die deutsche Gotik in Bayern zum Triumph
führt. Im Anschluss an diesen gibt uns der Ver-
fasser einen Einblick in die Konflikte, die sich
zwischen den Forderungen einer verstandesmässigen
Reduktion des Augeneindruckes auf eine Formel
einerseits und dem Bedürfnis, ein Duplikat des
Naturphänomens herzustellen andererseits, in der
Seele eines deutschen Gotikers abgespielt haben
mögen. Eine Abbildung des Moosburger Altares
wäre übrigens unbedingt nötig gewesen. Man will

uns den Blutenburger Meister nehmen, obwohl sich
keine Gründe ergeben, seine Eigenart anders zu
definieren, als durch eine seiner Zeit vorauseilende
Begabung. Die Mausoleumsfrage Wilhelms V. mit
ihren Schicksalen ist interessant. Für die Begrün-
dung der Zerstreuung hätte ein Zug im asketischen
Wesen des Wittelsbachers fruchtbar gemacht wer-
den können. Wenn man heute um die Autorschaft
eines Sustris, Krümper oder Candid streitet, so
liegt das an der Saumseligkeit einer Wissenschaft,
die an wertvollen, würzigen Problemen vorüber-
geht. Ich glaube, im Gegensatz zu Weese, dass
das persönliche Temperament und die Eigenart
eines Künstlers unter den akademischen Forde-
rungen eines einheitlichen Stiles und dem Ringen
nach einem kanonischen Formenideal, das in der-
zeit gelegen, nicht verschwindet. Den Duktus
einer Hand wird man immer fühlen.
Wenn endlich die bayerische Malerei des fünf-
zehnten Jahrhunderts keine so hervorragende Per-
sönlichkeit wie Grasser aufzuweisen hat und auch
das Material erst des Sammlers bedarf, so kommt
sie doch zu kurz weg. Allerdings heute noch eine
trockene Sandwüste, aus welcher nur die Pyrami-
den der Altäre der Franziskaner- und Peterskirche
mit ihren ungeheuren Maschinerien aufragen. Dass
doch ein zorniger Samum dareinfahre und die
Werke vom Schutt der Vergessenheit erlöse!
Liebenswürdige Oasen, wie die von Blutenburg,
würden dem Entdecker reichlich lohnen. Wenn
Weese sich die Möglichkeit offen hält, die Bluten-
burger Tafeln auch dem Plastiker zuzuschreiben,
so gibt er damit ein indirektes Indizium, das nach
Bayern, als der Heimat dieser Kunstwerke weist,
da die Altäre die still verhaltene Empfindung des
bayerischen Temperaments atmen. Auch Wand-
und Glasmalerei der farbendurstigen Gotik erfahren
eine stiefmütterliche Behandlung.
In Anbetracht der grossen Bedeutung, welche
das 19. Jahrhundert für München in sich schloss,
hätte der Verfasser am besten das Werk geteilt
und die Epoche Ludwig I. in einem II. Bande be-
handelt. Plastik und Malerei hätten sich dann
freier bewegen und eine ihrer Teilnahme an dem
Aufschwung ebenbürtige Würdigung erfahren
können.
Bei den Naturalisten legt Weese unbegreif-
licherweise die Cäsur auf Heinrich Bürkel „als den
originellsten und stärksten unter den damaligen
Bildmalern Münchens“. Eine schon seit längerer
Zeit datierende Begeisterung überschätzt dieses
uns Deutschen unverständliche Pathos.
Ein wichtiger Faktor ist von Weese richtig-
erfasst und durch alle Kapitel des Buches hindurch
festgehalten, der erst Wohlklang über das Werk
 
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