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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Sechstes Heft (Juni 1906)
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Popp, Hermann: [Rezension von: Theodor Koch-Grünberg, Anfänge der Kunst im Urwald]
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Meier, Paul J.: [Rezension von: Friedrich Adler, Zur Kunstgeschichte. Vorträge, Abhandlungen und Festreden]
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[Rezension von: W. O. Dressler (Hrsg.), Dresslers Kunstjahrbuch. Ein Nachschlagewerk für deutsche bildende und angewandte Kunst]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0121

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Juni-Heft.

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

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einer pathologischen Erscheinung, mit einem Dege-
nerationsphänomen? Martins hat in seinen „Bei-
trägen zur Ethnographie und Sprachenkunde
Amerikas“ gerade von den brasilianischen Indianern
behauptet, dass sie „ehemals ganz anders ge-
wesen und dass im Verlauf dunkler Jahrhun-
derte mancherlei Katastrophen über sie her"
eingebrochen seien, die sie zu ihrem der-
maligen Zustand, zu einer ganz eigentüm-
lichen V erkti m m erring und Entartung herab-
gebracht haben.“ Es gibt kein einziges Natur-
volk, auf das nicht die Entartungstheorie ange-
wandt worden wäre. Aber noch in keinem Ealle
hat man überzeugende Beweise dafür vorgebracht,
ja, die Tatsachen der Völkerkunde sprechen eher
gegen diese Hypothese. Bei Völkern von höherem
Kulturbesitz können wir stets die unterschiedlichsten
Varianten beobachten, dagegen bei solchen von
niederemKulturbesitz eine übereinstimmende Gleich-
förmigkeit. Namentlich bei Jägervölkern, deren
kulturellen Errungenschaften überall die gleichen
Bedingungen zu Grunde liegen. Vom Standpunkte der
Entartungshypothese erscheint diese Einförmigkeit
— wie Grosse mit Hecht behauptet — als ein un-
lösbares Rätsel. „Denn wenn jene Völker von
h öheren Kulturstufen herunterzurücken wären, wie
sollte man es erklären, dass sie sämtlich fast genau,
in derselben Weise verarmt sind, dass sie aus ihrem
früheren verschiedenartigen Kulturbesitz immer ge-
rade die gleichen Stücke gerettet hätten. Es liegt
also durchaus kein Grund vor, welcher uns hindern
könnte, die jagenden und pflanzensammelnden
Stämme, mit denen uns die Ethnologie bekannt
gemacht hat, für die Träger einer primitiven Kultur
und damit auch einer primitiven Kunst anzusehen.“
Die Beantwortung der Erage ist von prinzipieller
Bedeutung, auch für die Kunstwissenschaft, welche
diesen primitiven Kunstformen gegenüber bisher
eine unerklärliche Zurückhaltung an den Tag gelegt
hat. Woermann ist der Erste gewesen, der sich in
seiner „Geschichte der Kunst aller Zeiten und
Völker“ aufs Eingehendste mit der Kunst der
Naturvölker beschäftigt, wenn auch nur, dem
historischen Charakter seines Werkes entsprechend,
in mehr’ konstatierendem Sinne. Aber gerade in
diesen einfachen Formen liegt die Antwort auf so
viele Fragen der Kunst, die noch immer im
Dunkel liegen und nicht eher ihre Lösung finden
werden, bis nicht die Kunstwissenschaft von der
Methode ablässt, die da behauptet, die Kunst beginne
erst bei den Griechen. Hermann Popp
Friedr. Adler, Zur Kunstgeschichte. Vor-
träge, Abhandlungen und Festreden. Berlin
(E. S. Mittler & Sohn) 1906. 8°. 217 S. Mk. 4,—.

Der greise, als Architekt wie als Forscher
gleich bewährte Verfasser hat die früher einzeln
veröffentlichten Aufsätze und Vorträge, die zur
Kunstgeschichte Beziehung haben, zusammenge-
stellt, wie er selbst sagt, als einen Abschiedsgruss
an seine Freunde und Schüler und in der Hoffnung,
durch sie zu Liebe und Kenntnis der Kunst anzu-
regen. Und diese Hoffnung wird sicher in Er-
füllung gehen; denn es ist wirklich ein grosser
Genuss, die formvollendeten, nach hohen Gesichts-
punkten verfassten Arbeiten zu lesen, und selbst
die Ueberzeugung, dass man dem Verfasser keines-
wegs in alle seine wissenschaftlichen Ansichten und
oft kühnen Folgerungen zu folgen vermag, beein-
trächtigt diesen Genuss nur wenig. Die Aufsätze
und Vorträge (Die Pyramiden von Unterägypten,
Die Baukunst von Jerusalem, Der Ursprung des
Backsteinbaus in den baltischen Ländern, Erwin
von Steinbach, Das Reiterbild des Grossen Kur-
fürsten, Friedrich Gilly, Schinkel, Das Schloss in
Berlin, Die Nordlandfahrt des Kaisers, Wittenberg
und Jerusalem, Festrede zur Jahrhundertfeier der
Technischen Hochschule zu Berlin) sind nach der
Zeitfolge der in ihnen behandelten Gegenstände
geordnet und, soweit dies dem Verfasser wünschens-
wert schien, nach dem augenblicklichen Stand der
Wissenschaft von neuem durchgearbeitet, auch was
leider sonst nicht immer geschieht, mit der Angabe
des ersten Ortes, wo sie gedruckt, oder der Gelegen-
heit, bei der sie gehalten sind, versehen worden.
P. J. Meier
Dresslers Kunstjahrbuch. Ein Nachschlage-
buch für deutsche bildende und angewandte
Kunst. Leipzig. E. Haberland, 1906. 8°.
548 Seiten. M. 6.
W. 0. Dressier hat ein Nachschlagewerk zu-
sammengestellt, das alles das bringt, was den
Künstler und Kunstfreund angeht. Personalnotizen
des Vorjahres, ein Bücherverzeichnis von 1905, ein
Lexikon der lebenden Künstler und ihrer Gemein-
schaften sowie eine Uebersicht ihrer Lehrstätten;
dann genaue Angaben über Sammlungen, Aus-
stellungen, Zeitschriften; einen Abschnitt über das
Urheberrecht; am Schluss ein Adressbuch der
graphischen Anstalten, Kunst Werkstätten, Auktions-
häuser und Spediteure für Kunstwerke.
Manches, was jetzt noch mangelhaft ist, Lücken
und entstellende Druckfehler, wird hoffentlich in
künftigen Jahrgängen ausgemerzt werden. Das
überaus brauchbare und notwendige Werk soll
darum nicht minder warm willkommen geheissen
werden. S.
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