Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

DOI issue:
Fünftes Heft (Mai 1906)
DOI article:
Hermann, Paul: [Rezension von: Adolf Michaelis, Die archäologischen Entdeckungen des neunzehnten Jahrhunderts]
DOI article:
Hermann, Paul: [Rezension von: A. Furtwängler, Die Bedeutung der Gymnastik in der griechischen Kunst. Sonderabdruck aus "Der Saemann", Monatsschrift für pädagogische Reform]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0098

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
90

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

Mai-Heft.

wo noch, jetzt alljährlich gearbeitet wird, um all-
mählich das ganze Stadtbild blosszulegen. Priene,
Magnesia sind abgeschlossen, die Aufdeckung-
Milets, seit Jahren im Gange, nimmt immer gross-
artigere Dimensionen an. Ein Seitenstück dazu
bilden die Arbeiten der Oesterreicher in Ephesos,
die sich mit den Expeditionen, welche Graf
Lanckoronski zur Bereisung Pamphyliens und
Pisidiens ausgerüstet hatte, an der Städteforschung
in intensiver Weise beteiligt hatten.
Und wieder ein anderes Ziel setzten sich die
Unternehmungen Heinrich Schliemanns, deren Re-
sultate in ihrer absoluten, vorher ganz unvorstell-
baren Neuheit wohl die grösste wissenschaftliche
Ueberraschung darstellen, welche die Archäologie
dem beutereichen 19. Jahrhundert zu verdanken hat,
und die in ihrer Bedeutung kaum hoch genug
eingeschätzt werden können. Die Erschliessung
der Homerischen Welt, seinen Kindertraum, hat
Schliemann zur Tat werden lassen und damit
unsere Kenntnis der griechischen Kulturentwicklung
um mindestens ein Jahrtausend nach rückwärts
ausgedehnt. Und noch sind die Entdeckungen
auf diesem Gebiete in vollem Elusse und werden
wesentlich gefördert, seitdem englische und italie-
nische Gelehrte auf Kreta einen Mittelpunkt
jener Kultur, deren Spuren Schliemann in Troja
und Mykenae aufdeckte, nachgewiesen haben, den
Gesichtskreis und die Perspektiven in uralte Kultur-
zusammenhänge bedeutsam erweiternd.
Das sind nur die grossen Orientierungslinien
durch das Neuland, das die Entdeckertätigkeit des
19. Jahrhunderts der Archäologie erschlossen. In
breiter Verästelung setzen kleinere Unternehmungen
an. Thera und Rhodos, Korinth, Sikyon, Mega-
lopolis werden erschlossen, Tegea kündet neues
von Skopas, Mantineia von Praxiteles, der schon
durch den Fund des Hermes von Olympia die
greifbarste Persönlichkeit aus der Künstlerschar
Griechenlands geworden war. Die Nekropole von
Sidon spendet feinste Blüten der griechischen
Plastik mit ihren Marmorsärgen, von denen
der eine, fälschlich als Sarkophag Alexanders des
Grossen bezeichnet, den ungewohnten Anblick voll-
kommen farbiger Behandlung der Plastik bietet.
Die Skulpturen von Gjölbaschi-Trysa mit ihrem
malerischen Relief Stil, der das am Nereiden-
Monument schon vereinzelt Erkannte in grösseren
und greifbaren Zusammenhang bringt, geben Ein-
blick in interessante Wechselwirkungen zwischen
der Plastik und der monumentalen Malerei der
Griechen und lassen die Nähe Polygnots wittern;
massenhafte Vasenfunde auf italienischem Boden,
dieOeffnung etruskisch er Gräber mit Wandmalereien
und der immer wachsende Zufluss der die Wände

Pompejis schmückenden Gemälde, dazu die dem
Boden Aegyptens entsteigenden griechisch-
römischen Mumienbildnisse bringen Ordnung und
stetig zunehmende Klarheit in unsere Vorstellungen
von der Malerei selbst, die ihre Ansprüche auf
Gleichwertung mit der Plastik, manche meinen
sogar auf eine Vormachtstellung energisch geltend
zu machen beginnt. Welch gehäuftes Mass neuer
Erkenntnis die Baugeschichte durch die massen-
haft aufgedeckten Ruinen genommen hat, kann
und braucht nicht im einzelnen aufgeführt zu
werden.
Mit dem Zuströmen neuen Materiales hält
dessen wissenschaftliche Verarbeitung gleichen
Schritt. Es würde zu weit führen, den grossen
Leistungen des 19. Jahrhunderts auf diesem Ge-
biete auch noch hier nachzugehen. Aber in
Michaelis’ Buche ist auf diese Seite der Darstellung
ein besonderer Nachdruck gelegt. Das Schluss-
kapitel „Entdeckungen und Wissenschaft“ gibt
eine zusammenfassende Uebersicht nach dieser Rich-
tung, aber schon vorher und durch das ganze Buch
hindurch greifen die beiden Arten der Berichter-
stattung fortwährend ineinander über und steigern
die Lebendigkeit des Eindruckes. Ein Buch zum
lesen, dessen Lektüre dem „grösseren Kreise“, an
das es sich wendet, angeleggntlichst empfohlen sei.
Paul Herrmann
A. Furtwängler. Die Bedeutung der Gym-
nastik in der griechischen Kunst. Sonderab-
druck aus „Der Säemann“, Monatsschrift
für p ädagogisehe Reform. Leipzig, Teubner
1905. 15 S. 80. 0,80 M.
Die griechische Kunst wurzelt in der griechischen
Gymnastik. Die Menschendarstellung der Griechen
ist einzig, weil sie als Objekt den gymnastisch
durchgebildeten Körper empfängt, der ebenso einzig
ist wie sie. Indem die Fälligkeit und das Be-
dürfnis hinzutritt, diese Körperformen zu sehen
und zu geniessen, entsteht jenes Gewebe frucht-
barster Wechselbeziehungen, aus denen der be-
sondere Charakter der griechischen Kunst sich zu-
sammensetzt. An den Menschenbildern, die so
entstehen, wirkt nicht nur ein optischer Ein-
druck der Tektonik des Körpers und seines Linea-
mentes, es bilden sich bei ihrem Anblick Begriffe
geistiger und ethischer Art, das Wohlgefühl von
Frische, Kraft und Gesundheit, das für die
Schlussprägung des Eindruckes wesensbestimmend
ist. Aus diesen Vorbedingungen ergibt sich von
selbst, dass im Mittelpunkt des künstlerischen
Schaffens und des geniessenden Interesses der
männliche Körper steht. Er beherrscht unbestritten
die Kunst während der ganzen älteren Entwiche-
 
Annotationen