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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Viertes Heft (April 1906)
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Hermann, Paul: [Rezension von: Carl Watzinger, Griechische Holzsarkophage aus der Zeit Alexanders des Grossen]
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Popp, Hermann: [Rezension von: K. Münzer, Die Kunst des Künstlers. Prolegomena zu einer praktischen Ästhetik]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0081

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April-Heft.

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

73

den Unterschieden im Formenbau und in der
Dekoration der Sarkophage auch solche lokaler
Natur entsprechen; Abusir und Südrussland stehen
bei der Gemeinsamkeit der Grundauffassung in der
Behandlung der Detailfragen in einem gewissen
Gegensatz. Aber mit Recht hebt Watzinger her-
vor, dass das Gemeinsame das Entscheidende ist.
Die beiden lokalgetrennten Gruppen sind „Ableger
eines und desselben Stammes, die sich an ver-
schiedenen Orten verschieden entwickelt haben.
In Südrussland haben sie eine reiche Entfaltung
genommen, wie es der hochentwickelten Kultur
der milesischen Kolonie entspricht, in Aegypten
haben sie mehr vom alten, ursprünglichen festge-
halten und sind zugleich in manchen Einzelheiten
vom ägyptischen Kunstgewerbe beeinflusst“. Aus
der Fülle der Details scheidet sich also doch eine
höhere, grosse Einheit aus, die geschlossene, kom-
pakte Masse der griechischen Holzsarkophage, die
durch Watzingers muster gütige Publikation ihren
„Platz an der Sonne“ und ihre Stelle im Zusammen-
hänge der griechischen Kunstentwicklung erhalten,
von der aus sie unsere Erkenntnis befruchtend und
fördernd weiter wirken können.
Paul Herrmann
Aesthetik.
Münzer, K. Die Kunst des Künstlers» Pro-
legomena zu einer praktischen Aesthetik.
112 Seiten mit 10 Abbildungen. Kühtmann,
Dresden 1905.
Was Aesthetiker und Kunstgelehrte unter Kunst
verstehen, ist vielfach etwas ganz anderes als das,
was die Künstler darunter verstehen. Jene setzen
mit ihrer Kunstbetrachtung erst dort ein, wo die
eigentliche Kunst aufhört — bei dem fertigen
Werk, diese beginnen da, wo die Kunst anfängt —
bei dem Wirken. In diesem Wirken liegen alle
eigentlichen Kunstprobleme. Um sie zu erkennen
und zu verstehen, bedarf es der sicheren Kenntnis
des künstlerischen Wirkens, des künstlerischen
Schaffungsprozesses in allen seinen Einzelheiten.
Ueber diese ureigenste Domäne des Künstlers ver-
mag natürlich nur der Künstler selbst Auskunft zu
geben und mit vollstem Recht konnte Reynolds
sagen: „Ich bin überzeugt, dass ein kurzer, von
einem Maler geschriebener Aufsatz mehr dazu bei-
tragen wird, die Theorie unserer Kunst zu fördern,
als tausend solcher Bände, wie wir sie manchmal
sehen und deren Zweck eher zu sein scheint, des
Verfassers eigene ausgeklügelte Auffassung einer
unmöglichen Praxis auszukramen, als nützliche

Kenntnisse oder Belehrung irgend welcher Art zu
verbreiten.“ Diese Anschauung wird nicht nur von
Künstlern, sondern auch von Kunstgelehrten ge-
teilt, wenigstens von solchen, die das Missverhältnis
zwischen Kunstgeschichte und gelehrter Aesthetik
erkannten. Wölfflin hat es als abnorm bezeichnet,
dass der Kunsthistoriker und Aesthetiker Dinge
lehrt und sich mit Dingen beschäftigt, von denen
er, wenn er in der üblichen Weise geschult ist,
im Grunde nichts versteht. So ist denn auch die
Kunstgeschichte nicht weit über den Rahmen
einer Geschichte der Künstler hinausgekommen
und vermochte sich nicht über Personen und
Werke hinaus zu einer Künstlerischen Kultur-Ge-
schichte zu erweitern. Und die Aesthetik trägt
nach wie vor ihre Probleme als fremde Elemente
in die Kunst hinein, wandelt die Kunst in Nicht-
kunst, die Formen in Begriffe und verschliesst
sich der Einsicht, dass sie nur dann Existenz-
berechtigung hat, nur dann Bedeutung gewinnt,
„wenn die Kunst, das Künstlerische der Kunst be-
griffen worden ist.“ Zu diesem Begreifen kann
uns jedoch nur der Künstler verhelfen, indem er
uns Einblick in seine geistigeWerkstatt gewährt, uns
die Probleme kennen lässt, die ihn als Schaffenden
beschäftigen und zeigt, wie aus Naturein drücken das
Kunstwerk entsteht, und welche Bedeutung dessen
technischen Qualitäten innewohnt. Infolge solcher
Kenntnis treten wir- dem Künstler überhaupt näher
und werden davor bewahrt, das künstlerische Schaffen
allzusehr oder nur einseitig vom Standpunkte der
Kunstrezeption, des mühelosen Kunstgenusses aus
zu beurteilen. Hält die Aesthetik mit der prak-
tischen Kunst, den schaffenden Künstlern und
ihrem Wirken enge Fühlung, so entgeht sie der
Gefahr, sich in nutzlose Begriffsspekulationen zu
verlieren, was stets der Fall sein wird, wo sie sich
von der Praxis loslöst und unabhängig von ihr
ihre Doktrinen entwickelt. (Wolff, Lionardo da
Vinci als Aesthetiker.) Diese Fühlung kann aber
nur dann erreicht werden, wenn der Aesthetiker’
aus der Welt seiner Begriffe heraustritt und mehr
von seinen Augen als von seinem Hirn Gebrauch
macht, wenn er die „Kunst des Künstlers“ kennen
lernt. Dazu bietet Münzers Buch die beste Ge-
legenheit. Es ist eine praktische Aesthetik, die
sich auf den Aeusserungen der Künstler aufbaut
(in ähnlicher Weise, wie ich es bereits vor Jahren
in meiner „Maler-Aesthetik“ angestrebt habe) und
die nicht wie die theoretische etwa, die Kunst-
wirkung erklärt, sondern sie ermöglicht, nicht die
ästhetische Freude dem Kunststudierenden und
Betrachtenden definiert und psychologisch, meta-
physisch ausdeutet, sondern sie ihm verschafft. An
dieser praktischen Aesthetik, der es nicht um die
 
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