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Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur — 2.1906

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Sechstes Heft (Juni 1906)
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Lichtenberg, Reinhold von: [Rezension von: Hans Sohrmann, Die altinidsche Säule. Ein Beitrag zur Säulenkunde]
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https://doi.org/10.11588/diglit.50012#0119

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Juni-Heft.

Monatshefte der kunstwissenschaftlichen Literatur.

111

liegende Buch, das in ausführlicher Weise die
Entwickelung der indischen Säule von ihrer Ueber-
tragung aus der Holz- in die Steintechnik, also
von etwa 300 v. Chr. an, bis in das späte Mittel-
alter verfolgt. Der Verfasser unterscheidet zwischen
Einzelsäulen, d. i. freistehenden, die als Denkmäler'
zu verschiedenen Zwecken aufgestellt wurden, und
den konstruktiven Säulen, die sich als Teil einem
architektonischen Gebilde eingliedern. Die Einzel-
säulen werden wieder stilistisch in die indopersi-
schen und die indoklassischen eingeteilt. Als indo-
persisch bezeichnet der Verfasser die Säulen mit
einem überhängenden Blattkapitelle, das zumeist
noch von mannigfachen Tiergestalten bekrönt
wird. Da aber das nächste Kapitel von dem
Eindringen hellenistisch-klassischer Formen seinen
Namen erhalten hat, so wäre hier noch dem Um-
stande Beachtung zu schenken gewesen, dass auch
in den sogenannten persischen Formen sich bereits
ein starkes Eindringen griechischer Dekorations-
elemente bemerkbar macht, wie Eierstab, Palmette
u. a. beweisen. (Abb. 3 u. 10.) Wünschenswert
wäre es auch gewesen, wenn der Verfasser die
symbolische, religiöse oder sonstige Bedeutung der
figuralen Kapitellbekrönungen untersucht und er-
läutert hätte. Diese Untersuchung wäre aber für
eine Doktor-Dissertation zu weitgehend gewesen,
und hätte eines gewaltigen philologischen, religi-
ons- und kulturgeschichtlichen Apparates bedurft.
Der Verfasser hat sich darum als Architekt mit
der rein formengeschichtlichen Entwickelung be-
gnügt, zuweilen aber recht interessante historische
Erwägungen vorgenommen, um das Eindringen
einzelner Formen zu bestimmten Zeiten und an
bestimmten Orten zu erklären. Mit solchen Er-
wägungen erklärt der Verfasser auch den indo-
klassischen Stil des zweiten vorchristlichen Jahr-
hunderts und schildert, warum in dieser Epoche
das korinthische Kapitell sich leichter als die
anderen griechischen Formen in Indien heimisch
machen konnte.
Die konstruktiven Säulen teilt Sohrmann nach
zwei Gesichtspunkten ein. Erstens nach der Art
der Architektur, in der sie Verwendung finden, in
Steinzaunpfeiler und deckentragende Säulen, dann
nach der Gestalt der Kapitelle in solche mit
Polsterkapitell und solche mit Vasenkapitell.
Bei den Steinzaunpfeilem wird eingehend die
konstruktive Bedeutung untersucht, und davon
dann die halbkreis- oder kreisförmigen Scheiben
abgeleitet, die der indischen Ornamentkunst einen
so weiten Spielraum liessen. Mit diesem ornamen-
talen Schmucke begnügte sich aber der indische
Künstler nicht, gerne brachte er auch figurale
Szenen an Architekturteilen an, und bei diesen

verlässt den Verfasser seine Erklärungskunst, sodass
er mythologische Gestalten, wie die einer wasser-
spendenden Göttin, einfach für eine Tänzerin hält
und aus „einer üppigen erotischen Phantasie“ ab-
leiten will. (Abb. 27.)
Wenn einem, der über derlei Fragen schreibt, das
nötige Material ermangelt, um sich ganz in die
Gedanken und den Anschauungskreis eines fremden
Volkes hineinzuversetzen, dann tut man besser, bei
der rein historischen Entwickelung der greifbaren
Formen zu bleiben, als sich auf Deutungsversuche
einzulassen. Wenn Sohrmann auch indische Litte-
ratur und Mythologie kennen würde, dann hätte
er sich kaum zu so gewagten Behauptungen auf-
geschwungen, wie er es tat, wenn er (S. 42) die
kolossale Grösse göttlicher Figuren inmitten
kleinerer Gestalten, oder die nicht natürliche An-
zahl von Köpfen und Armen, als „die gröbsten
Missgriffe in der skulpturellen Gesamtentwicke-
lung Indiens“ bezeichnet. Uebrigens könnte man
hierzu dem Verfasser auch unsere sogenannten
Stifterbilder entgegenhalten, wo die Person, die
ein religiöses Bild in eine Kirche weihte, bis tief
in das 16. Jahrhundert hinein, in ganz kleiner
Gestalt neben den heiligen Personen dargestellt
wurde. Und was die vielen Köpfe und Arme an-
belangt, so hätte Sohrmann eben bedenken müssen,
dass unsere europäischen ästhetischen Begriffe
nicht einfach als Masstab für das Kunstschaffen
aller Zeiten und Völker benutzt werden dürfen.
In der Entwickelung der indischen Mythologie sind
aber derlei Erscheinungen wohl begründet und
darum nicht ästhetisch anstössig.
Aehnlich ist es, wenn Sohrmann auf S. 49 be-
hauptet, dass die Reiterfiguren auf dem Abacus
einer tragenden Säule, (Abb. 32) „ohne Kritik ihrer
konstruktiven Urbedeutung“ von der Einzelsäule
übertragen seien. Diese Reiter haben eben keine
konstruktive Urbedeutung, haben mit dem an per-
sischen und indischen Säulen zu Tieren umge-
wandelten Sattelholze nichts zu tun; sondern auf
dem Abacus bleibt genügend tragender Raum zur
Aufnahme des Gebälkes und die Reiterfiguren sind
nur als Schmuck auf den vorstehenden Teilen des
Abacus angebracht. Man sieht, es ist nicht an-
gängig, seine persönliche Aesthetik verallgemeinern
und zur alleinigen Richtschnur machen zu wollen.
Uebrigens widerspricht S., indem er das ganz
ähnliche nächste Kapitell (Abb. 33) in der von mir
eben geschilderten Weise erklärt. (S. 52).
Sehr gut und ansprechend ist dagegen der Ge-
danke, mit dem der Verfasser den eigentümlichen
vasenartigen Sockel vieler indischer Säulen er-
klärt. Den Ursprung dieses auffallenden Gebildes
findet er in den alten Holzsäulen, deren unteres,
 
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